Von Matthias Kros
Heidelberg. Jörn Huber ist Präsident des FAMAB Kommunikationsverbands, dem Fachverband für Messebauunternehmen, Marketing- und Eventagenturen, Messearchitekten und -designagenturen, Caterer sowie deren Zulieferer. Er ist Mitinitiator der bundesweiten Initiative #AlarmstufeRot zu Rettung der Veranstaltungswirtschaft und im Hauptberuf Inhaber und Geschäftsführer der Heidelberger Kommunikationsagentur Ottomisu (früher: Pro Event).
Herr Huber, was bedeutet der aktuelle Corona-Lockdown für die Veranstaltungsbranche?
Jörn Huber fordert mehr Hilfen für die Veranstaltungsbranche. Foto: zgWir sind sicher die am schlimmsten getroffene Branche und befinden uns schon seit acht Monaten praktisch in einem dauerhaften Lockdown. Für die Unternehmen, die vielen Kleinunternehmer und Soloselbstständigen in der Branche, bedeutet das Umsatzeinbrüche zwischen 80 und 100 Prozent. Zudem haben wir keine Perspektive für einen Neustart. Es wird sehr lange dauern, bis wir wieder von Normalität reden können.
Fühlen Sie sich im Stich gelassen?
Die Veranstaltungsbranche wird jedenfalls oft unterschätzt. Mit einem direkten Jahresumsatz von 130 Milliarden Euro und über einer Million Beschäftigten sind wir der sechstgrößte Wirtschaftszweig Deutschlands und in vielen Bereichen Weltmarktführer. Das wurde von der Politik zu lange nicht erkannt. Sicher kann man hier von einer Schlüsselindustrie sprechen, insbesondere wenn man betrachtet, wie viele andere Branchen davon abhängen: Hotellerie, Gastronomie, Einzelhandel und der komplette Verkehrssektor – alle profitieren in erheblichem Maße von Veranstaltungen. Jede zweite Dienstreise nach Deutschland war bisher veranstaltungsbezogen.
Zudem gehen der Wirtschaft durch das Nichtstattfinden von Messen und Veranstaltungen wichtige Marktplätze und Kommunikationskanäle verloren. Dies betrifft insbesondere den Mittelstand.
Doch die Menschen müssen ja gesund sein und Vertrauen haben, um auf eine Veranstaltung zu gehen. Hadern Sie dennoch mit den Schutzmaßnahmen?
Nein. Wir haben alle Maßnahmen anstandslos mitgetragen und quasi über Nacht hervorragende Hygiene- und Sicherheitskonzepte entwickelt. Entsprechend gab es bei den Großveranstaltungen und Messen, die noch stattgefunden haben, bisher keine nennenswerten Ansteckungen. Problematisch sind eher die privaten Feiern, weil es dort in der Regel keine Veranstalter gibt, die dafür geschult sind. Unsere Branche hat sich den Themen angenommen und die Maßnahmen nie in Frage gestellt.
Die Bundesregierung versucht, mit milliardenschweren Soforthilfen gegenzusteuern.
Die Programme wurden sehr schnell auf den Weg gebracht, wirken aber für unsere sehr komplexe Branche kaum. Selbst bei den sogenannten Novemberhilfen ist noch unklar, ob die Veranstaltungswirtschaft da komplett reinfällt. Deshalb brauchen wir ein auf die Veranstaltungswirtschaft zugeschnittenes Sonderprogramm. Auch die Kreditprogramme, sowie der EU-Beihilferahmen müssen angepasst werden. Das für Investitionen und Transformation nötige Eigenkapital ist nämlich bereits für die Betriebskosten aufgebraucht.
Ist die Politik mit der Rettung nicht irgendwann überfordert?
Das glaube ich nicht. Geld ist ausreichend da, es kommt nur nicht bei den Menschen und Unternehmen unserer Branche an. Von dem im Frühjahr zur Verfügung gestellten Rettungspaket über 24,6 Milliarden Euro wurden bis August durch das Überbrückungsgeld I gerade mal 1,2 Milliarden abgerufen.
Und ohne Hilfen wären die wirtschaftlichen Folgeschäden noch höher. Unsere Branche ist im Lockdown für die Gesundheit der Menschen, also muss die Gesellschaft auch dafür sorgen, dass es diese Branche später überhaupt noch gibt. Ein Verschwinden hätte unwiederbringliche wirtschaftliche, aber auch gesellschaftliche und kulturelle Folgen für Deutschland. Es geht ums nackte Überleben.
Viele Konferenzen und Veranstaltungen finden heute virtuell statt. Ist das nicht eine Chance für Ihre Branche?
Natürlich liegt da eine Chance für einige aus der Branche. Wir arbeiten auch an ganz neuen Formaten, etwa hybride. Das ist aber kein Heilsbringer, damit löse ich nicht alle Probleme. Außerdem hilft das nur einem kleinen Teil der Branche, denken Sie nur an die Messebauer, Möbelvermieter, Techniker, Logistiker, Caterer oder auch die vielen Künstler.
Was könnte dann neues Vertrauen schaffen?
Solange es keinen Impfstoff gibt, würde es natürlich helfen, wenn man flächendeckend Corona-Schnelltests durchführen könnte. Dann ließe sich bei Veranstaltungen eine Art Blase aufbauen, in der alle erfasst sind und in der sich nur negativ getestete Personen aufhalten. Den Schnelltests fehlt momentan aber noch die Akzeptanz und sie sind auch nicht ausreichend verfügbar. Zudem müssten die Kunden dazu auch wieder etwas mutiger werden.
Können Abstandsregeln helfen?
Bei Firmenveranstaltungen funktioniert das, dafür braucht es nur größere Räumlichkeiten, ein gutes Hygienekonzept und mehr finanzielle Möglichkeiten. Bei öffentlichen Veranstaltungen macht das aber nur bedingt Sinn. Da rechnet es sich für den Veranstalter oftmals nicht mehr.
Also kann nur ein Impfstoff die Wende bringen?
Ja, oder ein wirksames Medikament. Zunächst braucht es aber die Überbrückung, ohne die brauche ich mir über Anderes keine Gedanken machen. Erste Mitarbeiter wechseln bereits in andere Branchen und sind dann für immer weg. Der Verlust von Know-how und Fachkräften ist unwiederbringlich.
Wie kommt denn Ihre Agentur durch die Krise?
Im Live-Bereich passiert natürlich derzeit wenig. Zum Glück haben wir seit mehreren Jahren noch ein zweites Standbein, nämlich die digitale Kommunikation, aber auch virtuelle Events. In diesen Bereichen stellen wir sogar zusätzlich ein. Wir sind daher sicher besser dran als andere.