Ist es erstrebenswert, im Homeoffice zu arbeiten?
Nicht für alle Beschäftigten, meint Arbeitspsychologe Karlheinz Sonntag

Eine Frau arbeitet in einem Homeoffice. Die Digitalisierung leitet einen tiefgreifenden Wandel in der Arbeitswelt ein. Foto: dpa
Von Barbara Klauß
Herr Sonntag, die SPD will das Recht auf Homeoffice festschreiben. Halten Sie das für sinnvoll?
Will man die Chancen der Digitalisierung nutzen, sind zeitlich und räumlich flexible Arbeitsformen erforderlich. Das sind sich Wirtschaftsverbände und Arbeitnehmervertreter einig. Arbeitgeber steigern ihre Attraktivität im "War for Talents". Beschäftigte können entsprechend ihrer Lebensmodelle Arbeit flexibel gestalten. Homeoffice als eine Form des mobilen Arbeitens ist in seiner Ausgestaltung und Umsetzung sehr facettenreich, viele berufliche Tätigkeiten lassen Homeoffice erst gar nicht zu. Forschung über die Wirkung von Homeoffice ist in ihren Resultaten unterschiedlich. Ich bin mir nicht sicher, ob vor diesem Hintergrund ein generelles Recht auf Homeoffice eine sinnvolle Maßnahme darstellt. Könnte dies nicht auf einem niedrigschwelligen Niveau einer Betriebsvereinbarung vereinbart werden?
Spricht der demografische Wandel nicht auch für Homeoffice?
In der Tat trifft der demografische Wandel auf die Digitalisierung. Das müssen personalpolitische Strategien berücksichtigen. Auf absehbare Zeit werden immer mehr ältere und damit wahrscheinlich auch mehr pflegebedürftige Menschen in den Haushalten leben. Einerseits haben wir also die Möglichkeit, unsere Arbeit flexibler zu gestalten, auf der anderen Seite werden in den Haushalten zunehmend nicht nur Kinder, sondern auch pflegebedürftige Eltern leben.
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Aber dann ist es doch erst recht gut, wenn ich in einer solchen Situation nicht ins Büro muss, sondern zu Hause arbeiten kann…
Das sagen Sie jetzt. Aber stellen Sie sich die Situation doch einmal konkret vor: Zwischen Kindern und pflegebedürftigen Eltern – kommen Sie da noch zum konzentrierten und produktiven Arbeiten? Sicherlich gewinnen Arbeitnehmer mit Homeoffice wichtige Gestaltungsräume. Zu bedenken ist aber auch, dass Arbeiten zu Hause statt zu entlasten auch zusätzlichen Stress verursachen kann. Obwohl Homeoffice für Familien mit Kindern oder für Alleinerziehende eine alternative Arbeitsform darstellt, scheinen eher sogenannte Dinkis (Double income no kids) – also Paare mit doppeltem Einkommen, die keine Kinder haben, davon Gebrauch zu machen. Studien zufolge übt der "ideale" Homeoffice-Beschäftigte qualifizierte Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich aus, verfügt über größere Handlungsspielräume, wird gut bezahlt und ist öfters im höheren und gehobenen Beamtendienst angestellt.

70 Prozent der Deutschen fänden einen Anspruch auf Homeoffice gut. Machen die sich falsche Vorstellungen, was die Arbeit zuhause bedeutet?
Ja, ich fürchte, dass das ein bisschen zu positiv gesehen wird. Wer zuhause arbeitet, braucht eine gute Selbstregulation, ein hohes Maß an Eigenverantwortung, Disziplin und ein gutes Zeitmanagement. Das ist bei der Arbeit im Unternehmen nicht in dem Umfang erforderlich, da vieles vorstrukturiert ist. Es muss aber auch deutlich gesagt werden, dass wirkungsvolles Homeoffice nur dann möglich ist, wenn seitens des Unternehmens klare organisatorische Regelungen und Ziele vorgegeben sind, auf die sich beide Partner einstellen können. Studien zeigen, dass Homeoffice Regelungen, in denen die Arbeitnehmer seltener und bei Bedarf zu Hause arbeiten, häufiger angenommen werden.
Viele betrachten das Homeoffice als ein Instrument zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wenn es das nicht ist – was ist denn die Alternative? Wenn ich im Büro sitze, kann ich ja auch nicht meine Kinder betreuen und meine Eltern pflegen.
Aber wenn alles gut geht, haben Sie geregelte Zeiträume, in denen die Kinder im Kindergarten oder in der Schule sind und Sie konzentriert arbeiten können. Wenn etwas dazwischenkommt, wie etwa Krankheiten, wird es natürlich schwierig.
Aber auch dann ist die Arbeit zuhause nicht unbedingt die beste Lösung, weil sie wieder zu zusätzlichem Stress führen kann?
Genau.
Frage: Welche Nachteile sehen Sie denn noch bei dieser Art des Arbeitens?
Studien zeigen, dass die Menschen, die Homeoffice machen dazu neigen, sich teilweise selbst auszubeuten und viele Überstunden leisten. Die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verschwimmen – und dann arbeiten sie eben auch mal die Nacht durch. Dabei ist gerade das Abschalten von der Arbeit wichtig für die persönliche Erholung und produktive Arbeit am nächsten Tag.
Ein Einwand gegen Homeoffice ist, dass Vorgesetzte weniger kontrollieren können, was die Beschäftigten machen. Aber muss es da in einer zunehmend digitalisierten und individualisierten Arbeitswelt nicht ohnehin hingehen – weg von der Kontrolle, hin zu mehr Vertrauen?
Ja, das muss sich ändern. Homeoffice setzt natürlich eine Vertrauenskultur voraus. Aber auch einen wertschätzenden Führungsstil, der den Mitarbeitern Verantwortungsübernahme und Gestaltungsspielräume ermöglicht. Vertrauenskultur ist eine differenzierte Sache, die stark von der Persönlichkeit des einzelnen Mitarbeiters und der Führungskraft, vom Unternehmen und von der Tätigkeit abhängt. Für die Gestaltung eines guten Homeoffice, das den Mitarbeiter auch zufrieden macht, sind also vielfältige Einflussfaktoren zu berücksichtigen. Nur so können wir die Chancen der Digitalisierung nutzen und gleichzeitig gesundheitlichen Risiken vorbeugen, auch denen psychischer Art.
Hintergrund
Hintergrund
Prof. Dr. Karlheinz Sonntag studierte Betriebswirtschaftslehre und Psychologie an den Universitäten in Augsburg und München. Seit 1993 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Heidelberg. Zu
Hintergrund
Prof. Dr. Karlheinz Sonntag studierte Betriebswirtschaftslehre und Psychologie an den Universitäten in Augsburg und München. Seit 1993 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Heidelberg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Demografie und Arbeitswelt.
Sonntag ist Leiter des 2015 gestarteten Projektes "Maßnahmen und Empfehlungen für die gesunde Arbeit von morgen" (MEgA). Damit begleitet er wissenschaftlich einen bundesweiten Förderschwerpunkt des Bildungsministeriums, bei dem mehr als 150 Partner aus Forschung und Wirtschaft zukunftsfähige Konzepte und Modelle zur Gesundheitsförderung und Kompetenzentwicklung erarbeitet haben.
Was sind denn solche Risiken im Arbeitsalltag?
Aufgrund der Digitalisierung steigt der Informationsfluss, Informationen müssen schneller verarbeitet werden. Arbeit wird in etlichen Bereichen intensiver und komplexer. Durch all das ergeben sich auch mehr Belastungsrisiken für die Beschäftigten. Ein solches Risiko sind beispielsweise Arbeitsunterbrechungen: wenn eine kognitive Aufgabe zu bearbeiten ist, spontane Meetings einberufen werden, das Telefon klingelt oder ständig E-Mails eintreffen – dann ist das ein klassischer Stressfaktor. Oder wenn jemand komplexe Aufgaben zu bewältigen hat, das Unternehmen ihm aber nur wenig Handlungs- oder Gestaltungsspielraum gibt. Dazu kommt die Erwartungshaltung, ständig erreichbar zu sein. Gerade beim mittleren Management wird das besonders erwartet, wie unsere Untersuchungen ergeben haben. Dabei zeigt die Erholungsforschung: Wenn Sie zum Beispiel im Urlaub dienstliche Mails bearbeiten, kann sich der Erholungseffekt schnell verflüchtigen.
Es ist offensichtlich ein großes Problem für viele Menschen heute, eine gesunde Balance zu finden zwischen Beruf, Familie und Freizeit. Wie kann das denn gelingen?
Auch das hängt sehr vom Einzelfall ab, von der beruflichen Tätigkeit, dem Arbeitsumfeld, den Lebensumständen, den Partnern – und von der Fairness unter den Partnern. Das gut hinzukriegen ist alles andere als trivial.
Kann es sein, dass wir manchmal einfach zu viel wollen? Im Job, in der Familie, in der Freizeit …?
Da stimme ich Ihnen sofort zu! Wir wollen alles mitnehmen, alles mitmachen: im Job, in der Familie, im Freundeskreis, beim Sport, auf Reisen. Es gibt so viele Reize und Verlockungen inzwischen. Da ist ein gehöriges Maß an kritischer Selbstreflexion und Verantwortungsbewusstsein erforderlich, den richtigen Weg zu finden, um Arbeit, Familie und Freizeit in Einklang zu bringen. Weniger kann auch mehr sein.