Phantomtor-Urteil: Der Fußball ist gefangen im eigenen System

DFB-Sportgerichts-Urteil: Kießlings Phantomtor gilt und Hoffenheims Einspruch wird wegen fehlender Rechtsgrundlage abgewiesen

29.10.2013 UPDATE: 29.10.2013 05:00 Uhr 2 Minuten, 33 Sekunden
Das Netz des Anstoßes: Hoffenheim hatte nicht nur kein Glück im Spiel, sondern auch nicht vor dem Sportgericht. Foto: dpa
Von Joachim Klaehn

Frankfurt. Was ist absurd - was nicht? Die Verantwortlichen der TSG 1899 Hoffenheim setzten bei der gestrigen Verhandlung vor dem Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) vornehmlich auf die Argumentationsschiene, dass mit der Anerkennung des Phantomtores von Stefan Kießling "das Fußballspiel ad absurdum geführt wird", wie es Hoffenheims Anwalt Dr. Markus Schütz in seinem zwanzigminütigen Plädoyer ausführte. Letztlich wies das Gericht unter dem Vorsitz von Hans E. Lorenz nach knapp zweistündiger Beweisaufnahme und den anschließenden Plädoyers den Einspruch der TSG gegen die Wertung des Duells mit Bayer Leverkusen (1:2) ab. Für ein Wiederholungsspiel sah der 62-Jährige keine Rechtsgrundlage.

In seiner Urteilsbegründung sagte der Vorsitzende Richter des Landgerichts Mainz im Hermann-Neuberger-Saal: "Fragen Sie uns nicht, ob uns das Urteil unter sportlichen Gesichtspunkten gefällt oder nicht. Unter rechtlichen Gesichtspunkten gibt es keine Alternative. Die Tatsachenentscheidung gehört zum System und es ist nicht unsere Sache, das System zu ändern." Die Entscheidung von Schiedsrichter Dr. Felix Brych am 18. Oktober sei zwar falsch gewesen, aber unumstößlich.

Am "Heiligtum" des Weltverbandes Fifa wurde also nicht gerüttelt. Die Züricher Schalt- und Machtzentrale hält seit jeher am Prinzip der Tatsachenentscheidung fest. Regel 5 der Fifa besagt nämlich: "Die Entscheidungen des Schiedsrichters zu spielrelevanten Tatsachen sind endgültig. Dazu gehören auch das Ergebnis des Spiels sowie die Entscheidung auf 'Tor' oder 'kein Tor'." Lorenz legte in seiner allgemeinen Einordnung des Falles Wert auf zwei Aspekte. Maßgeblich seien einerseits die Regeln der Fifa und die Satzung des DFB, "die totale Freiheit haben wir nicht" (Lorenz). Andererseits habe es im Vorfeld der Verhandlung von Seiten des DFB keine offizielle Anfrage an die Fifa gegeben, sondern lediglich einen informellen Austausch zwischen DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock und einem nicht benannten Vertreter des Weltverbandes. Damit versuchte Lorenz dem öffentlichen Vorwurf entgegen zu treten, der deutsche Dachverband aller Fußballer würde sich hinter den Gralshütern des internationalen Regelwerks verstecken. Unterdessen ließ sich der Verdacht auf eine subtile Einflussnahme nicht gänzlich ausräumen. Anton Nachreiner, der Vorsitzende des DFB-Kontrollausschusses, konstatierte in seinem Plädoyer gegen die Neuauflage der Partie "Hoffe" gegen Bayer: "Es hat in der Geschichte der DFB-Rechtssprechung einige Urteile gegeben. Die Konsequenz war, dass die Fifa die Tür für Wiederholungsspiele total zugemacht hat."

Lorenz ahnte den faden Beigeschmack. "Bei einem solchen Fall sehen alle schlecht aus. Die Schiedsrichter, die TSG wegen eines löchrigen Tornetzes, Bayer, Stefan Kießling, der in den Verdacht als unfairer Sportler gerät, aber auch das Sportgericht", sagte Lorenz und plädierte für eine schnellstmögliche Einführung der Torlinientechnik. Lorenz, der die Verhandlung vor zahlreichen Medienvertretern seriös und auch humorvoll geleitet hatte, gewährte sogar einen Einblick in sein Innenleben als Fußball-Fan: "Meine Lebenspartnerin und meine drei Kinder werden mich heute Abend beschimpfen. Ich habe für jeden Verständnis, der anderer Meinung ist. Aber als Richter wende ich Gesetze an."

Die Hoffenheimer, die durch Dr. Markus Schütz, Geschäftsführer Peter Rettig und Manager Alexander Rosen in Frankfurt vertreten waren, nahmen die Ablehnung ihres Einspruchs zur Kenntnis. "Natürlich sind wir zunächst einmal unheimlich enttäuscht", meinte Rosen vor einem guten Dutzend laufender Fernsehkameras, "der Richter hat den Ansatz der Absurdität anders definiert als wir." Die TSG will sich intern beraten und die Chancen einer Revision prüfen, die innerhalb einer Woche zu erfolgen hätte.

"Hoffes" Anwalt Schütz prognostizierte, dass die Anerkennung des Phantomtores den Fußball weiterhin begleiten werde. In eine ähnliche Kerbe schlug Rettig: "Ich kann dem Richter nicht folgen, dass dies der letzte Fall sein könnte. Theoretisch kann es nächste oder übernächste Woche wieder passieren."

Auf mögliche Spätfolgen wies Alexander Rosen gegenüber der RNZ hin: "Am 34. Spieltag könnte es noch mal interessant werden - nicht nur für die beiden betroffenen Vereine." Ob "Hoffe" in die nächste Instanz geht? Nach dem klaren Richterspruch darf dies eher bezweifelt werden. Sicher ist vielmehr: Durch die Umwandlung eines Phantomtores in einen realen Treffer droht das absurde Theater bis zum Ende der Spielzeit weiteren Diskussionsstoff zu liefern. Und die nationale Profifußball-Szene bleibt gefangen im eigenen System ...

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