Grahls langer Anlauf ins Hoffenheim-Tor
Seit vier Jahren spielt Jens Grahl für die TSG 1899 Hoffenheim

Seit vier Jahren spielt Jens Grahl für die TSG 1899 Hoffenheim
Jens Grahl könnte am Montagabend mit einem ganz breiten Grinsen eingeschlafen sein. Zwei Tage war die Presse voll des Lobes für den 25-Jährigen, der bei Eintracht Frankfurt sein Bundesliga-Debüt feierte. Die "Bild"-Zeitung bezeichnete ihn sogar als "Grahls"-Hüter... . Viele Fans setzen große Hoffnungen in den Mann, der die rund eineinhalbjährige Torhüter-Debatte nun endlich beenden soll.
Genau drei Spiele brauchte Grahl bei den Profis, um erst einmal zu überzeugen. Gegen Energie Cottbus feierte er im DFB-Pokal sein Profi-Debüt für Hoffenheim (zuvor hatte er einmal für Paderborn gegen RW Ahlen im Pokal halten dürfen), als Markus Gisdol Koen Casteels in der Zwischenzeit öffentlich immer mehr anzählte ("Koen ist noch kein richtig guter Bundesligatorwart"), schlug in der Arena auf Schalke die Stunde der Hoffenheimer Nummer zwei. Er hielt gegen die Knappen souverän und verdiente sich so sein Liga-Debüt in Frankfurt. Auch dort gewann die TSG. Drei Spiele, drei Siege - eine makellose Bilanz.
Schon seit 2009 schnürt Grahl seine Fußballschuhe für 1899 Hoffenheim. Damals wurde er - wie so viele Talente, die heute im TSG-Kader stehen - von Ralf Rangnick und Ernst Tanner entdeckt und aus Greuther Fürth verpflichtet. Anschließend baute sein heutiger Cheftrainer, Markus Gisdol, den damals 21-Jährigen in Hoffenheims U23 auf. Nach Grahls 27 Oberliga-Spielen feierten beide gemeinsam die Meisterschaft und den Aufstieg in die Regionalliga.
Auch in der Regionalliga stand Grahl seinen Mann, nahm mit 22 Jahren die nächste Entwicklungsstufe. Im Dezember 2010 der erste Rückschlag: Grahl verletzte sich schwer, prallte im Training mit Verteidiger Andreas Ibertsberger zusammen. Die Diagnose: mehrfacher Nasenbeinbruch, zweifacher Bruch der Kieferhöhle und ein Bruch des linken Augenhöhlenbodens. Für den Keeper ging die Spielzeit bei der U23 erst im April weiter. Danach spielte er allerdings wieder, als sei nichts gewesen. Insgesamt sammelte Grahl in der Regionalliga-Saison 24 Einsätze.
Die nächste Stufe in der langfristigen Entwicklungsplanung von Ernst Tanner griff. Der Plan: Hinter dem damals 30-jährigen Keeper Tom Starke, Grahl und Casteels behutsam über mehrere Jahre zu Alternativen entwickeln. Mit 23 Jahren wurde Grahl deshalb in die zweite Bundesliga an den SC Paderborn ausgeliehen. Im Nachhinein möglicherweise ein verschenktes Jahr. Denn bei dem Zweitligist durfte Grahl nur ein einziges Mal im Pokal spielen, sonst pendelte er zwischen Tribüne und Bank. Wie allerdings auch schon damals aus dem Umfeld der Ostwestfalen durchsickerte, nicht aus Leistungsgründen. Eine Muskelverletzung setzte ihn mehrere Monate außer Gefecht. Zudem hatte Paderborn in der vorhergehenden Saison seine ganz eigene Torwart-Debatte um Routinier Daniel Masuch und Neuzugang Lukas Kruse gerade ausgefochten. Schlussmann Kruse soll in der Folge eine Lobby bei der Vereinsführung gehabt haben, die es dem Leihspieler Grahl schwer gemacht habe, den Platz als Nummer eins zu erobern.
Im Sommer 2012 kam Grahl zurück in den Verein, doch die Situation, die er vorfand war eine völlig neue. Die Verantwortlichen hatten alle langfristigen Pläne über den Haufen geworfen. Es herrschte Chaos im Kasten. Tom Starke war vergrault und Tim Wiese geholt worden. Vier Jahre wollte man mit dem Ex-Nationaltorwart zusammenarbeiten. Doch kurze Zeit später wurde Wiese gleich von drei Trainern innerhalb einer Saison demontiert. Tanner, Rangnick und dessen Nachfolger Pezzaiuoli und Stanislawski waren ebenfalls nicht mehr da. Im Winter kam zudem Heurelho Gomes, der sich nach wenigen Einsätzen aber schon wieder verletzte.
Die Konsequenz: Aufgrund des Wechselspiels Wiese-Casteels-Wiese-Gomes-Casteels pendelte Jens Grahl zwischen Nummer zwei der Bundesliga und Stammkraft in der U23. In der Regionalliga stand er 13 mal im Tor, in der Bundesliga 19 mal im Kader ohne Einsatz.
Erst unter Markus Gisdol und Alexander Rosen wurde die Torwart-Diskussion im Kraichgau konsequent angegangen. Wiese flog endgültig aus dem Kader. "Koen Casteels (20) und Jens Grahl (24) als gesetzte Nummer eins und zwei, dazu drei Torhüter-Talente auf dem Sprung – in dieser Konstellation geht Bundesligist TSG 1899 Hoffenheim in die Saison 2013/2014", schrieb der Verein in einer Pressemitteilung im Juni.
Vierzehn Spieltage musste Grahl seitdem auf sein Bundesliga-Debüt warten, spielte in der Zwischenzeit viermal in der U23 und zweimal im Pokal. Seit Samstag ist der gebürtige Stuttgarter offiziell Bundesliga-Torwart, mit einer großen Perspektive auf weitere Einsätze. Dass er einen langen Atem hat und eine gehörige Portion Durchsetzungsvermögen, das hat er in seinem vierjährigen Anlauf zur Stammkraft bereits unter Beweis gestellt. Der Schwabe hat das Zeug dazu, die Torhüter-Debatte bei 1899 Hoffenheim endlich zu beenden.