Gianluca Gaudino wehrt sich, als gescheitertes Talent zu gelten
Für den 25-jährigen Neuzugang des SV Sandhausen, der noch nirgends Stammspieler war, schlägt nun die Stunde der Wahrheit.

Von Wolfgang Brück
Sandhausen. Wie sich Menschen selbst sehen und wie sie von anderen wahrgenommen werden, unterscheidet sich häufig erheblich. Das gilt auch für Gianluca Gaudino. Bevor der 25-jährige Mittelfeldspieler von Young Boys Bern zum SV Sandhausen wechselte, sagte er in einem Interview mit Sport1: "Ich war immer zufrieden mit meinem Leben – auch in schwierigen Zeiten."
Schön, wenn man das von sich behaupten kann. Andere sind der Meinung, dass der Sohn des früheren Waldhöfer Nationalspielers Maurizio Gaudino seine Begabung nur unzureichend genutzt hat. Sie sprechen sogar von einem gescheiterten Talent. Gaudino entgegnet, dass er auf das "Gerede der Kritiker" nicht hört. Gleichwohl will er am Hardtwald beweisen, dass er zumindest ein ordentlicher Zweitliga-Spieler ist.
Jetzt könnte sich die Chance bieten. Gaudino, der an Covid-19 erkrankt war und mehrere Wochen pausieren musste, wird möglicherweise schneller zurückkehren als gedacht. Seit vorletzter Woche trainiert er wieder mit der Mannschaft. Ein Kaderplatz am Freitag (18.30 Uhr/Sky) im Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg ist denkbar.
Denn beim Zweitligisten füllen sich die Reihen nur langsam wieder. Sechs der zwölf Spieler, die sich mit dem Corona-Virus infiziert haben, konnten bis gestern nicht trainieren. Sie werden zwar Anfang dieser Woche zurück erwartet, doch von einer normalen Spiel-Vorbereitung kann man wohl nicht reden. Zumal es weitere Ausfälle gibt. Julius Biada und Rick Wulle sind weiter in der Reha, ob es für Arne Sicker (Fußverletzung), Daniel Keita-Ruel (Knieprobleme) und Tim Kister (Sehnenverletzung) bis Freitag reicht, kann oder will Mikayil Kabaca nicht sagen. Der Sportliche Leiter vertröstete auf die Spieltags-Pressekonferenz Mitte der Woche.
Gut hört sich an, was Kabaca über Gaudino sagt: "Mit seiner Spiel-Intelligenz und seiner Ballsicherheit kann er zu einer Bereicherung für unsere Mannschaft werden." Die Premiere war vielversprechend. Beim 0:2 gegen Düsseldorf schwang der Regisseur eine Halbzeit lang den Taktstock. Dann schwanden die Kräfte. Seitdem wurde er in fünf weiteren Spielen ein- und ausgewechselt - ehe ihn Mitte September das Virus erwischte.
Der bisherige Saisonverlauf ist ein Spiegelbild seiner Karriere. Er war erst 17, als sein Stern bereits hell leuchtete. In acht Bundesliga- und einem Champions-League-Spiel für Bayern München. Der große Pep Guardiola hatte einen Narren an dem feinen Techniker gefressen. Doch bald wurde es still um das vermeintliche Super-Talent. Gaudino musste mit Bayern II über die Dörfer tingeln, wurde nach St. Gallen ausgeliehen und wechselte von dort nach Verona. Weder in der Schweiz noch in Italien konnte er sich durchsetzen. Mit Young Boys Bern wurde er dreimal Schweizer Meister, doch er gibt zu: "Ich war zwar in 60 Spielen dabei, aber kein Stammspieler. Das System habe nicht gepasst. Der Trainer habe ihn auf den Flügeln eingesetzt und nicht auf seiner Wunschposition zentral und hinter den Spitzen.
Wenn einer Sohn ist von einem berühmten Vater, kann das Segen und Fluch sein. Maurizio Gaudino, heute 54, wurde beim SV Waldhof groß, bestritt 294 Bundesliga- und fünf Länderspiele und gehörte 1992 der Meistermannschaft des VfB Stuttgart an. Der Sohn italienischer Einwanderer aus dem Mannheimer Stadtteil Rheinau verfügte über eine unglaubliche Fußball-Intelligenz. Gianluca hat sie geerbt. Aber es kann zu einem Nachteil werden, ständig am Vater gemessen und mit ihm verglichen zu werden.
Gianluca Gaudino ist in die ganze besondere Welt der Berufs-Fußballer hineingeboren. Das kann für die eigene Karriere hilfreich sein, muss es aber nicht. Als Kind hat er kurze Zeit beim SV 98 Schwetzingen gespielt. Die Großeltern leben noch in Rheinau und in Heidelberg. Er sagt, dass er sich auskennt in der Gegend.
Entscheidend für den Wechsel nach Sandhausen sei aber gewesen, dass ihm die Atmosphäre am Hardtwald gefallen habe. "Alles ist so familiär und aufgeschlossen", erklärt er, "die Menschen sind authentisch."
Noch nirgends war der 25 Jahre alte Profi Stammkraft: Nicht bei den Bayern, nicht in St. Gallen, schon gar nicht in Verona, wo er nur zweimal berücksichtigt wurde, und auch nicht während der Jahre in Bern. Trotzdem verwehrt er sich gegen die Einordnung als gescheitertes Talent. "Ich habe den Durchbruch als Mensch geschafft", wird er von Sport1 zitiert.
"In Sandhausen will ich von Anfang an auf dem Platz stehen, der Mannschaft von der ersten Minute an helfen und eine feste Größe im Team sein", hat er dem Sender gesagt. Beim SV Sandhausen schlägt für Gianluca Gaudino die Stunde der Wahrheit.



