Von Tillmann Bauer
Flensburg. Kurz vor dem Anpfiff verirrte sich ein alter Bekannter an den Spielfeldrand. Nikolaj Jacobsen, der ehemalige Trainer der Rhein-Neckar Löwen, war aus seiner dänischen Heimat angereist, um seinen ehemaligen Schützlingen zuzuschauen. Lachend stand er an der Grenze zur Zuschauertribüne, herzte unter anderem seine Freunde Patrick Groetzki und Uwe Gensheimer. Vielleicht hatte der Handball-Experte schon so eine Vorahnung: Nach dem Bundesliga-Spitzenspiel zwischen der SG Flensburg-Handewitt und den Rhein-Neckar Löwen konnte er seinem Herzensverein nämlich nicht gratulieren, denn für die Badener gab es gestern im Norden keine Punkte – mit 30:27 ging das Duell an den deutschen Meister.
Wiedersehen mit Jacobsen
"Die Löwen haben eigentlich echt gut gespielt", sagte der Weltmeister-Trainer nach dem Schlusspfiff im Kabinengang: "Es hätte auch anders ausgehen können."
Doch zum Anfang: Es wird wohl auch für Urlauber Jacobsen überraschend gewesen sein, als er sah, wer sich da zum Anpfiff an der Mittellinie aufstellte. Dass er seinen Freund Andy Schmid, den zuletzt eine Bauchmuskelzerrung plagte, nicht von Anfang an beobachten konnte, wird ihn wohl weniger gewundert haben als der Fakt, dass Gensheimer den Anpfiff ebenfalls nur von der Löwen-Bank hörte. Gensheimers Kollege auf Linksaußen, Jerry Tollbring, bekam den Vorzug.
Es sollte aber nicht lange dauern, bis Kristjan Andresson seine zwei Leistungsträger aufs Feld schickte: Weil die Begegnung zwar eng war, man sich im Angriff gegen die dicht gestaffelte Flensburger Defensive schwer tat, warf der Coach die Freunde und Geschäftspartner Gensheimer und Schmid nach einer guten Viertelstunde in die Begegnung. Und mit dem Schweizer Mittelmann kam – wie zu erwarten – mehr Kreativität in die Offensive. Schmid spielte clever und nahm bewusst das Tempo aus den eigenen Aktionen. Die Löwen agierten häufig nahe am Zeitspiel, schafften es aber trotzdem fast immer, den Ball im Flensburger Tor unterzubringen.
Dass man in die Halbzeitpause dennoch mit einem Vier-Tore-Rückstand stiefelte, lag lediglich daran, dass die letzten fünf Minuten vor dem Seitenwechsel suboptimal verliefen. Erst warf Niclas Kirkelokke einen Ball ohne Not ins Seitenaus, danach suchte Schmid zu früh den Abschluss. Die Folge: Die Norddeutschen kamen genau zu dem Spiel, das sie so gefährlich macht, und zogen durch Gegenstöße davon. Johannes Golla stürmte allein auf Mikael Appelgren, der ein ordentliches Spiel machte, zu und versenkte den Ball mit dem Pausengong im Kasten. Das Publikum stand kopf.
"Wir waren gut, aber eben nicht gut genug", sagte Schmid: "Die Phase vor der Pause war wirklich der Stimmungskiller. Dadurch ist es natürlich extrem schwierig, in Flensburg so einen Rückstand noch aufzuholen." Auch wenn man lange im Spiel blieb, durften am Ende die Flensburger feiern.
Bitter, denn die Löwen spielten eigentlich wirklich gut. Andreas Palicka, der in der zweiten Halbzeit mit einer überragenden Leistung im Tor der Gelben zum Faktor wurde, hielt die Partie offen. Man merkte aber deutlich, dass sich in der Löwen-Offensive nahezu alles auf Schmid versteifte. Traf er die richtigen Entscheidungen, blieben die Badener im Spiel; machte er Fehler, bestraften das die Norddeutschen eiskalt. Als Gensheimer zwei Minuten vor Schluss einen Siebenmeter per Heber deutlich über das Tor setzte, war das Topspiel entschieden.
Stenogramm:
1:2 (5.), 4:4 (10.), 9:7 (15.), 11:10 (20.), 14:12 (25.), 18:14 (Halbzeit)
21:17 (35.), 24:19 (40.), 25:20 (45.), 27:24 (50.), 27:25 (55.), 30:27 (Ende)
Zuschauer: 6300
Flensburg: Buric, Bergerud - Golla 5, Hald 1, Svan 3, Wanne 2/2, Jeppson, Jondal 4, Steinhauser, Versteijnen, Zachariassen 2, Johanessen 2, Gottfridsson 4, Jurecki 1, Rod 6
Rhein-Neckar Löwen: Appelgren, Palicka - Schmid 4, Gensheimer 6/3, Kirkelokke 1, Lagarde 2, Tollbring 1, Abutovic, Mensah Larsen 1, Fäth, Groetzki 3, Guardiola, Petersson 1, Nielsen 3, Ganz, Kohlbacher 5