Im Dezember jubelte Mait Patrail noch in der SAP Arena über den Einzug ins Final Four. Teilnehmen wird er daran aber nicht. F: imago
Von Tillmann Bauer
Heidelberg. Mait Patrail hat sich selbst aus dem Pokal geworfen. Als wir den Esten, der zur kommenden Saison aus Hannover zu den Bundesliga-Handballern der Rhein-Neckar Löwen wechseln wird, am Telefon erreichen, muss er lachen. "Hätte ich das damals nur gewusst", scherzt er. Patrail siegte im Dezember in einem dramatischen Viertelfinale gegen die Löwen und zog mit Hannover ins Final Four ein – weil die Endrunde nun aber ins kommende Jahr verschoben ist, platzte auch für ihn der Traum vom Titel. Blöd gelaufen.
Es sei natürlich extrem schade, versichert er, man müsse diese Situation aber akzeptieren und nach vorne schauen. Sein aktueller Tagesablauf: morgens Kraftraum, mittags den Hund ausführen, nachmittags meist noch Tennisspielen. Patrail: "Dazwischen helfe ich noch im Haushalt und packe Sachen für den Umzug zusammen." Langweilig wird ihm nicht.
Nach acht Jahren Hannover, wo er keinen neuen Vertrag erhalten hat und aktuell noch wohnt, steht nun ein Tapetenwechsel an. Wiesloch, Rauenberg, Walldorf, St. Leon-Rot, zählt Patrail die Orte auf, die ihm Oliver Roggisch, der Sportliche Leiter, empfohlen habe – fündig sei er noch nicht geworden, bis Ende des Monats will er sich entschieden haben, seine Wohnung in Hannover wird er noch bis Ende August behalten. Er sagt: "Ruhig und familiär soll es bestenfalls sein, die Innenstadt ist nichts für uns."
Patrail strahlt eben Ruhe aus. Er hoffe, den Löwen auf dem Feld mit seiner Erfahrung helfen zu können. "Ich wollte unbedingt in Deutschland bleiben", erzählt er. Der Rückraumspieler hat einen Verein gesucht, der noch große Ambitionen hat. Er grinst: "Das hat ja ganz gut geklappt, die Löwen sind für mich eines der besten Teams der Welt – Jackpot."
Wann er auf seine neuen Kameraden treffen wird, weiß er selbst noch nicht. Bei der Vertragsunterzeichnung war lediglich Roggisch dabei, beim Medizincheck wurde er von Mannschaftsarzt Dr. Stephan Maibaum durchgetestet – mit Trainer Martin Schwalb hat er zweimal telefoniert. Er könne nur Positives berichten.
Bei den Recken wurde Patrail im Videochat verabschiedet, das sei schwierig gewesen: "Ich mag lieber den persönlichen Kontakt", sagt er. Schließlich war die Zeit in Hannover für ihn eine prägende; sein Leben veränderte sich, er lernte seine Frau kennen, er fand viele Freunde: "Irgendwann treffen wir uns wieder und trinken ein oder zwei Bier gemeinsam."
Denn auch für ruhige Typen kann zu viel Ruhe irgendwann nervig werden. Ein Geisterspiel hat Patrail noch nie absolviert – und ist von dieser Idee auch nicht begeistert. "Handball ist nicht dafür gemacht, ohne Zuschauer zu spielen", sagt er. Der Lärm, die Emotionen, die Rufe – das sind Dinge, die ihn motivieren.
So soll auch seine Glücksnummer neun, die der Halblinke schon seit seiner Kindheit – Patrail erwartet selbst im Juli erstmals Nachwuchs – auf dem Rücken trägt, dazu beitragen, mit den Löwen erfolgreich zu sein. "Ich bin mir sicher, dass wir um die Meisterschaft mitspielen werden", sagt Patrail. Nach den Abgängen von Mads Mensah Larsen (Flensburg) und Steffen Fäth (Erlangen) soll er in der kommenden Spielzeit gemeinsam mit Romain Lagarde im linken Rückraum für Gefahr sorgen: "Die Löwen haben sehr viele starke Spieler, ich hoffe, dass ich vorne aber auch hinten eine gute Rolle einnehmen werde."
So wie in Hannover. Dort wollte man den Zweimeter-Mann mit dem Vollbart überreden, bei einem möglichen Einzug in die Champions League sein Markenzeichen abzurasieren. "Da hat mir Corona in diesem Fall geholfen", lacht Patrail. Er fühle sich mit seinem Bart schlicht wohler: "Ohne sehe ich so jung aus."
Mit 32 Jahren zählt er aber zu den erfahreneren Spielern. Sein Arbeitspapier läuft im kommenden Sommer bereits wieder aus. "Ich hätte mich natürlich nicht dagegen gewehrt, länger zu bleiben", sagt Patrail. Aber aufgrund der Situation sei es erstmal wichtig gewesen, einen passenden Verein gefunden zu haben: "Über die Zukunft kann man sich dann in einer ruhigeren Phase nochmal unterhalten."
Denn in der Ruhe liegt die Kraft.