Von Claus Weber
Walldorf. Heinz Fütterer musste viele Hände schütteln. Der "weiße Blitz" aus Illingen bei Rastatt, der in den 50er Jahren der schnellste Mann der Welt war, gab bei den Leichtathletikmeisterschaften in Walldorf fleißig Autogramme. Der 86-Jährige erzählte aus seinem interessanten Sportlerleben und der schweren Zeit nach dem Krieg. Fütterer war 1954 Europameister über 100 und 200 m, blieb zweieinhalb Jahre unbesiegt, stellte den Weltrekord von Jesse Owens (10,2 Sekunden) ein und setzte sich bei der Sportlerwahl sogar gegen Fritz Walter durch - obwohl der 1954 mit der Fußball-Nationalmannschaft Weltmeister geworden war.
Heinz Fütterer, wie geht es Ihnen?
Mit 86 Jahren geht es mir gut. Ich spiele zweimal in der Woche Golf und kleine Wehwehchen ignoriere ich. Allerdings spüre ich allmählich auch, wie mich die Dinge anstrengen und ich an meine Grenzen komme. Deshalb habe meinen Besuch bei der EM in Berlin abgesagt. Ich merke, dass ich keine 60 mehr bin.
Wie wurden Sie in Walldorf im Kreis der Leichtathletikfamilie aufgenommen?
Unwahrscheinlich gut. Viele Menschen sprechen mich an, erzählen von früher. Das freut mich - und ich breche mir keinen Zacken aus der Krone, wenn ich auch Ihnen wünsche: Machen Sie’s gut, bleiben Sie gesund.
Ihre erste Rennen bestritten Sie barfuß…
Das war 1946/47, direkt nach dem Krieg. Da hatten wir nichts. Natürlich auch keine Aschenbahn. Wir liefen auf Schlacke. Aber ich hatte den Ehrgeiz und die Begeisterung sowie Eltern und Trainer, die mich unterstützt haben. Es war eine andere Zeit. Von Frankfurt nach Tokio waren wir damals zweieinhalb Tage mit der Propellermaschine unterwegs. In meiner Karriere musste ich drei Notlandungen mitmachen.
1954 glückte Ihnen das "zweite Wunder von Bern", als sie bei der EM über 100 und 200 m siegten…
Ich war den meisten Sprintern aus England und Frankreich bereits bei Sportfesten begegnet. Nur der Russe Ignatjew war mir immer aus dem Weg gegangen. Ich gewann die 100 Meter, er die 400 Meter. Über die 200 Meter habe ich ihn dann gestellt, hatte drei Meter Vorsprung. Sein Trainer sprach sehr gut deutsch. Daraus hat sich eine Freundschaft entwickelt. Er fragte mich später, was ich denn vom Staat bekommen hätte. Ich antwortete: Ein Telegramm und den Silbernen Lorbeerkranz. Sein Athlet hatte auch ein Telegramm vom Verteidigungsminister erhalten, er war darin vom Feldwebel zum Offizier befördert worden. Ich bin vom Laufen nicht reich geworden - aber ich habe die Welt gesehen. Ich war in der Sacre Coeur in Paris, auf der Akropolis in Athen, in Prag, Tokio oder Barcelona. Ich schaue mit Dankbarkeit zurück.
Wie kam es zu Ihrem Beinamen "Der weiße Blitz?"
Ich war zu einer Sprintveranstaltung nach Paris eingeladen. Meine Gegner aus den USA oder England waren alle schwarz. Ich trug das weiß-blaue Trikot des Karlsruher SC. Alles wurde abgedunkelt, der Scheinwerfer fiel auch mich und der Chefredakteur der Sportzeitschrift L’Equipe schrieb daraufhin: ’Heinz Fütterer zuckte durch die Halle wie ein weißer Blitz’. Heute mache ich mir manchmal noch einen Scherz und melde mich am Telefon mit ’Hier ist der weiße Blitz’.
Mit Andreas Hofmann und Johannes Vetter hat der badische Verband derzeit zwei Weltklasse-Speerwerfer. Verfolgen Sie deren Erfolge?
Ja, natürlich, das sind fantastische Jungs. Ich beobachte das: Sie motivieren sich bei den Wettkämpfen gegenseitig, geben sich Tipps, kämpfen dann wieder gegeneinander. Das macht sie groß.
Im Sprint fehlen dagegen seit Jahren deutsche Weltklassesportler. Warum?
Das ist schwer zu sagen. Da sieht man auch immer wieder gute Leistungen, die aber nicht konstant sind. Die Speerwerfer sind jedes Wochenende bei einem großen Meeting, unserer Sprinter sieht man kam. Ich bin ein Fan von Julian Reus, und ich hoffe, dass er in Berlin eine Leistungsexplosion zeigt.
Wenn Sie den Sport zu Ihren Glanzzeiten mit heute vergleichen. Welche Unterschiede sind am gravierendsten?
Das kann man nicht vergleichen. Als ich vorhin hier auf die Kunststoffbahn gegangen bin, wurde ich schon etwas neidisch. Da möchte ich noch einmal 24 sein. Wir hatten nur Aschenbahnen. Das ist wie ein Kiesweg im Vergleich zur Autobahn.
Was war das schönste Erlebnis Ihres Sportlerlebens?
Da gab es viele. Etwas Besonderes war meine erste deutsche Meisterschaft. 1951 stand ich mit 19 Jahren in Düsseldorf im Endlauf, siegte mit 10,5 Sekunden und kam als deutscher Meister nach Hause.
Und Ihr schlimmstes Erlebnis?
In den 50er Jahren war es für uns nicht so leicht im Ausland zu starten. Viele wollten uns nicht. In Athen wollte ich bei einer Händlerin ein Souvenir kaufen und trug das Trikot mit dem Deutschland-Schriftzug. Sie sagte, sie wolle mir nichts verkaufen, denn ihr Sohn sei auf Kreta gefallen. Als Mannschaftssprecher habe ich organisiert, dass wir einen Kranz am Grab des unbekannten Soldaten niederlegten. Kurze Zeit darauf sah ich die Händlerin erneut und sie bot mir an, ich solle mir ein Souvenir aussuchen. So wurde eines der bedrückendsten Erlebnisse zu einem der schönsten.