Freiland- oder Bodenhaltung? Auslegungssache auf dem Hühnerhof

Kann man von Bodenhaltung sprechen, wenn die Hühner einen Tag im Stall bleiben? Züchter Georg Heitlinger aus Eppingen attackiert die Auffassung deutscher Behörden zum gängigen EU-Recht. 

27.03.2015 UPDATE: 29.03.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 20 Sekunden

Hühnerzüchter Georg Heitlinger will sich nicht "kriminalisieren" lassen und kämpft jetzt gegen die seiner Meinung nach zu strenge Auslegung der EU-Verordnung für Freilandhaltung durch deutsche Behörden. Foto: Guzy

Von Armin Guzy

Eppingen-Rohrbach. Morgens, eine Minute nach zehn, droht Georg Heitlinger öfter mal eine Anzeige - immer dann, wenn es am Vortag aus Kübeln geschüttet hat oder das Thermometer knackige Minusgrade zeigt und er seine 12.000 Legehennen am liebsten im Stall lassen würde. Ein behördlicher Kontrolleur hätte dafür allerdings kein Verständnis, und die Folgen für den Rohrbacher Landwirt wären juristisch und finanziell unangenehm. Also lässt er seine Hennen zähneknirschend raus und bohrt im Hintergrund an dicken Brettern.

Hintergrund

Angst vor großen Gegnern hat Georg Heitlinger erwiesenermaßen nicht. Bundesweit bekannt wurde sein Kampf gegen den Absatzfonds der CMA, der staatlich organisierten Centrale Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft. Bis zur höchsten Instanz wehrte sich Heitlinger

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Angst vor großen Gegnern hat Georg Heitlinger erwiesenermaßen nicht. Bundesweit bekannt wurde sein Kampf gegen den Absatzfonds der CMA, der staatlich organisierten Centrale Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft. Bis zur höchsten Instanz wehrte sich Heitlinger gegen die Zwangsabgabe, die die CMA jahrelang von allen Agrarbetrieben für Werbekampagnen einzog. Diese sollten der Absatzförderung dienen, standen aber wegen ihrer teilweise sexistischen Aufmachung wiederholt stark in der öffentlichen Kritik.

Im Februar 2009 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Abgabe schließlich für verfassungswidrig. Der Absatzfonds wurde im Mai 2011 aufgelöst, die CMA GmbH befindet sich noch immer in Abwicklung und Heitlinger wurde für seinen erfolgreichen Kampf von der bürokratiekritischen Werner-Bonhoff-Stiftung ausgezeichnet. (guz)

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Heitlingers Hühner haben viel Platz zum Scharren auf dem sechs Hektar großen Gelände, haben ein vergleichsweise gutes Hühnerleben, und Heitlinger kann ihre Eier als Freilandeier vermarkten. Dass es dafür europäische Gesetze, Verordnungen und Richtlinien gibt, begrüßt er. Mit deren konkreter Auslegung durch deutsche Behörden kann er sich hingegen nicht anfreunden.

Die Kontrolle der EU-Verordnung zur Freilandhaltung ist Sache der Bundesländer. Niedersachsens Verbraucherschutzministerium versucht seit Monaten, hier eine Vorreiterrolle zu übernehmen und seinen Sanktionskatalog bundesweit durchzusetzen. Die sehen so aus: Betriebe, die ihren Tieren ab 10 Uhr keinen Freilauf gewähren, müssen die Eier kostenpflichtig auf Bodenhaltung umregistriert lassen. Das gilt ausdrücklich auch dann, wenn die Hühner wegen schlechten Wetters im Stall bleiben, teilte das Ministerium im November in einem Rundschreiben an niedersächsische Legebetriebe mit und verdeutlicht darin: Gegen Betriebe, die auch nur einen Tag keinen Freilauf gewähren, die Eier aber als Freilandeier verkaufen, wird ein kostenpflichtiges Vermarktungsverbot ausgesprochen und der Sachverhalt wird "zur strafrechtlichen Würdigung" an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. "Kriminalisierung" nennt dies Heitlinger, und der Versuch, diese Praxis bundesweit durchzusetzen, bringt ihn in Rage.

"Als Halter bin ich für das Tierwohl verantwortlich." Unverantwortlich dagegen sei es - auch den Verbrauchern gegenüber -, wenn einzelne Hühner nach Starkregen in schlammigen Pfützen Krankheitskeime aufnehmen und dann der gesamte Bestand mit Antibiotika behandelt werden muss: "Völlig unnötig und unsinnig", findet er.

Seit fast drei Jahren arbeitet sich der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft am Thema ab. Durch dessen Vermittlung fuhr Heitlinger, gut vorbereitet, Anfang 2014 nach Brüssel. Vor dem EU-Parlament reden konnte er allerdings nicht - die Sitzung wurde vorzeitig beendet. Vergeblich war die Reise aber keinesfalls: Auf den Parlamentsfluren traf er auf die EU-Abgeordnete Britta Reimers (FDP) und übergab ihr seine vorbereitete Rede. Reimers nahm sich der Sache an, startete eine parlamentarische Anfrage, die der damalige EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos bereits vor einem Jahr mit Verweis auf Anhang II, Absatz 1(a) der Verordnung (EG) 589/2008 beantwortete. Demnach gilt der Paragraf, der eine Auslaufbeschränkung zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier regelt, auch bei Überschwemmungen, Schlechtwetter oder ähnlichen - insgesamt bis zu zwölf Wochen pro Jahr können die Hennen daher im Stall bleiben, ohne dass die Vermarktung der Eier unter dem Freilandsiegel gefährdet ist. Das Problem: Deutsche Behörden beharren auf der Zehn-Uhr-Regelung - bei jedem Wetter, 365 Tage im Jahr.

Mittlerweile hat Heitlinger die Tierschutzbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Cornelie Jäger, kontaktiert. Sie sieht sich in einer Mittlerrolle und sucht nach einem Kompromiss zwischen der "bislang relativ starren Auslegung und dem Tierwohl". "Wir brauchen da wohl ein bisschen Flexibilisierung", sagt sie, warnt aber zugleich davor, die Richtlinien zu stark aufzuweichen, "um nicht am Ende die Freilandhaltung in Misskredit zu bringen." Heitlinger strebt nach eigenen Worten eine praxisgerechtere Lösung an und würde zur genauen Dokumentation auch eine Wetterstation auf seinem Hof installieren, auf die die Behörden dann aus der Ferne jederzeit Zugriff hätten.

Dass zum Thema mittlerweile eine Konferenz der Agrarreferenten aller 16 Bundesländer stattgefunden haben soll, verneint das Bundeslandwirtschaftsministerium auf RNZ-Anfrage. Wiederholt ist aus Fachkreisen hinter vorgehaltener Hand aber zu hören, dass Heitlingers Vorstoß und sein Teilerfolg bei der EU immer weitere Kreise zieht. Es wäre nicht das erste Mal. "Vielleicht sollte man sich doch mal anzeigen lassen", überlegt er.

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