Heilbronn

Gewalt gegen Frauen hat viele Facetten

Die Geschichte und die Geschehnisse in der Stadt und ihr Gender-Report zeigen, dass Frauen immer noch viel zu oft die Opfer sind.

25.11.2023 UPDATE: 25.11.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 57 Sekunden
Gewalt gegen Frauen kommt auch in der Stadt und im Landkreis Heilbronn immer öfter vor. Für das Jahr 2020 sind insgesamt 440 Fälle bekanntgeworden. Das Dunkelfeld dürfte aber deutlich größer sein. Symbolfoto: dpa/Maurizio Gambarini

Von Brigitte Fritz-Kador

Heilbronn. Heilbronn ist nicht besser und nicht schlechter als andere Großstädte, wenn es darum geht, Zahlen und Fakten zur Gewalt gegen Frauen aufzulisten. Anders ist es beim "Abwägen", wenn es darum geht, welche Rolle diese Problematik in der öffentlichen Wahrnehmung spielt und wie man sie behandelt – oder besser nicht: reißerisch. Jüngstes Beispiel dafür ist das Verbot der Straßenprostitution in Heilbronn; es wurde bekanntlich probeweise, inzwischen aber dauerhaft verlängert.

Kontrovers und von unterschiedlichen Erfahrungen geprägt waren die Ansichten dazu, ob ein solches Verbot die Frauen tatsächlich vor Gewalt und Ausbeutung schützt, oder ob diese, in Wohnungen der Öffentlichkeit entzogen, nicht noch schlimmer werden. Dieser "öffentliche Raum" – die Hafenstraße in Heilbronn – war Schauplatz und Tatort von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Was der jüngste Prozess gegen die Zuhälter an Brutalitäten und Gewalttätigkeiten zutage brachte, lässt sich kaum beschreiben.

Hintergrund

> Einiges an Themen und Veranstaltungen hat die Frauenbeauftragte der Stadt im Umfeld des Internationalen Tages "Nein zu Gewalt an Frauen" an diesem Samstag aufgeboten. Empfehlenswert ist der Besuch des preisgekrönten Stücks "Prima Facie" von Suzie Miller am Dienstag, 28.

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> Einiges an Themen und Veranstaltungen hat die Frauenbeauftragte der Stadt im Umfeld des Internationalen Tages "Nein zu Gewalt an Frauen" an diesem Samstag aufgeboten. Empfehlenswert ist der Besuch des preisgekrönten Stücks "Prima Facie" von Suzie Miller am Dienstag, 28. November, um 19.30 Uhr im Theater Heilbronn, mit anschließendem Publikumsgespräch. Es wäre zu prüfen gewesen, ob man diese bühnenwirksame Auseinandersetzung zum Thema "Me too" für Frauen nicht bei freiem Eintritt hätte stattfinden lassen können – so wie die literarische Spurensuche "Gewalt an Frauen". Diese findet an diesem Samstag um 14 Uhr statt und umfasst kurze Lesungen an verschiedenen Plätzen und Orten der Innenstadt zu diesem Thema. Auch geht es darum, was zu tun ist, um häusliche, sexualisierte und strukturelle Gewalt zu überwinden sowie Krieg und staatliche Repression. Der Rundgang beginnt am Theaterbrunnen am Berliner Platz und endet beim Verein "Frauen Räumen" in der Achtungstraße 37 mit Kaffee und Tee. (bfk)

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Frauenhäuser stehen dafür, Frauen vor Gewalt zu schützen und sie gleichzeitig zu verstecken. Ein Pilotprojekt der diakonischen "Mitternachtsmission" in Heilbronn wagt den Spagat: In ihrem "Open House" werden Frauen, die vor häuslicher Gewalt flüchteten, nicht versteckt, aber trotzdem geschützt und betreut. Dennoch: Auf ein anonymes Frauenhaus kann man nicht verzichten. Das Konzept der "aufsuchenden Hilfe" funktioniert nicht ohne Zugang, in Heilbronn gibt es beispielsweise den "Offenen Treff", zweimal wöchentlich, im Kiosk am Industrieplatz, für Menschen – also auch für Männer – in herausfordernden Lebenssituationen.

Diese Lebenssituationen, genau und nach wissenschaftlichen Kriterien erarbeitet, stellt der Gender-Report der Stadt Heilbronn dar, erstellt von der Frauenbeauftragten Sylvia Payer und von Professorin Yvonne Zajontz, stellvertretende Studiendekanin BWL und Gleichstellungsbeauftragte der DHBW Heilbronn, die mit Professorin Nicole Graf eine Rektorin hat.

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Interessant ist diese Zahl daraus: Mit 49,8 Prozent sind Frauen, entgegen der sonstigen Statistik, in Heilbronn in der Minderheit. Die Schlussfolgerung wird ungern oder schon gar nicht öffentlich gezogen, auch wenn sie im Stadtbild unübersehbar ist: Die starke Präsenz von jungen Männern mit Migrationshintergrund. Wer dies thematisiert, wird schnell des Rassismus bezichtigt.

Das Statistische Landesamt hat das Thema in seinen Monatsheften aufgenommen und zitiert Schlagzeilen wie "Wird Stuttgart immer männlicher"? oder: "Eine Stadt voller Kerle" oder: "Plötzlich übermannt". Dazu stellt es fest: Seit Mitte der 1950er-Jahre sind per saldo rund 150.000 mehr Männer als Frauen nach Baden-Württemberg zugezogen. Wichtiger Einflussfaktor sei das geschlechtsspezifische Wanderungsverhalten besonders im erwerbsfähigen Alter.

Sicher ist das nicht die einzige Erklärung, weder für die Frauen als Opfer von Partnergewalt noch für die Männer, die dann per Volkes Stimme gleich unter Generalverdacht gestellt werden. Da liegt noch ein weites Feld zur Differenzierung vor. Dennoch: Die Tabellen im Gender-Report zeigen, dass, eben da, wo es um Gewalt geht, der Geschlechtsunterschied der eindeutig zählende Faktor ist. Dabei wird nach Geschlecht, Art des Verhältnisses sowie Art des Delikts differenziert, aber immer wieder zeigen die Zahlen: Frauen machen – sowohl im Stadt- als auch im Landkreis – den überwiegenden Teil aller Opfer aus, und zwar insgesamt und unabhängig von der Art des Delikts.

Die tatverdächtigen Personen sind am häufigsten ehemalige Lebenspartner, manchmal auch Lebenspartnerinnen. Dieser deutsche "Normalzustand" zeigt sich auch in Heilbronn, wo in neun der zehn tabellarisch aufgeführten Situationen beziehungsweise Fälle der Anteil der weiblichen Opfer so unübersehbar groß ist. Im Stadtkreis Heilbronn gab es im Jahr 2020 (auf Grundlage dieser Zahlen wurde der Report erstellt) mit 191 mehr als achtmal so viele weibliche Opfer partnerschaftlicher Gewalt wie männliche.

Im Landkreis waren hier 249 von 292 Opfern Frauen. Und: Im Stadt- sowie im Landkreis Heilbronn gab es im Jahr 2020 mehr als sechsmal so viele männliche Tatverdächtige partnerschaftlicher Gewalt wie weibliche. Alle diese Zahlen zeigen dazu noch einen Trend nach oben.

Die Grenzen von Gewalt sind fließend, vor allem, bei den subtileren Formen im täglichen und im politischen Leben. Das zeigt allein die Tatsache, wie mühsam es war, dem Heilbronner Gemeinderat die Zustimmung zur Bereithaltung kostenloser Menstruationsartikel auf öffentlichen Toiletten abzuringen, und das zunächst mal "probeweise". Appelle an Frauen gibt es immer, auch von Männern, wenn es zur Aufstellung von Kandidatinnen für die Gemeinderatswahl geht. Bei der Wahl 2019 standen insgesamt 122 Frauen auf den Listen, gewählt wurden nur 13: "Frauen wählen Frauen" – das funktioniert offenbar noch nicht so richtig.

Allerdings: Unter den gewählten Stadträtinnen, das lässt sich beobachten, gibt es dann doch auch Solidarität, so wie beim oben genannten Antrag, während bei den Männern eher Kumpanei herrscht. In der SPD konnten sich weibliche Stadträtinnen schon sehr viel mehr und früher durchsetzen, beispielsweise Käthe Kaden oder Franziska Schmidt. Paula Fuchs, deren politische Lebensleistung als Vorsitzende der CDU-Fraktion überschaubar ist, aber bekam eine eigene "Allee". Das spiegelt nicht nur die Mehrheitsverhältnisse, sondern auch, wie sehr die Anerkennung der Leistung von Frauen immer noch dem Zeitgeist unterliegt.

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