Nun ist auch der Angeklagte tot
Der 66-Jährige, der seine Frau umgebracht haben soll, wurde leblos in der Gefängniszelle gefunden. Was bisher bekannt ist.

Symbolfoto: dpa
Von Christian Beck und Tim Kegel
Sinsheim. So mancher Prozessbeobachter hatte im sogenannten Dührener Hammermord-Prozess auf eine Wende gehofft, doch damit hat niemand gerechnet: Der Angeklagte ist tot, vermutlich hat er sich in der Nacht auf Samstag im Mannheimer Gefängnis umgebracht. Dies teilte eine Sprecherin des Landgerichts Heidelberg am Samstag mit. Damit wird auch der Prozess nicht fortgesetzt. Die Frage, ob der 66-Jährige seine Frau erschlagen hat, dürfte somit wohl nie gänzlich geklärt werden.
"Wir sind zutiefst bestürzt. Es ist sehr schade, dass man das nicht verhindern konnte", sagten die Rechtsanwälte des Angeklagten, Iris Lemmer und Jens Klein, am Sonntag auf Anfrage. "Es tut uns für die Kinder unheimlich leid."
Die Tochter und der Sohn des Angeklagten und des Mordopfers waren in dem Prozess als Nebenkläger aufgetreten. Deren Vertreter, Anwalt Sven Höpp, musste ihnen am Samstag die Nachricht vom Tod ihres Vaters übermitteln. Höpp sprach am Sonntag von einer "Riesen-Tragödie" und sagte: "Für die Angehörigen wäre es besser gewesen, wenn ein Urteil gesprochen worden wäre."
Für manche mag der Suizid als Schuldeingeständnis anmuten. Dies sieht Höpp nicht so, findet aber, dass es gewichtige Indizien gibt, die dafür sprechen, dass der Angeklagte den Mord begangen hat. Als Beispiel nennt er Sachverständige, die im Zeugenstand mitgeteilt hatten, dass keine Fremd-DNA im Auto gefunden wurde. Das Mordopfer war im Kofferraum ihres Autos in einem Gewerbegebiet gefunden worden.
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Zum Tatvorwurf hatte der Angeklagte stets geschwiegen, war durch Indizien wie verdächtige Google-Suchbegriffe und Blutspritzer in der Garage aber belastet worden. Allerdings gab es Beobachter des Prozesses und auch Zeugen, die Schwachstellen in der Indizienkette erkannt zu haben glaubten, darunter ungenaue Handy-Ortungspunkte, das heiße Wetter, dass die Festlegung des Todeszeitpunkts erschwerte, sowie die überschaubaren Internet-Kenntnisse des Manns.
"Eigentlich hätte das nicht passieren dürfen", sagt Höpp zum Suizid des Angeklagten. Denn die Oberstaatsanwältin habe sich beim Mannheimer Gefängnis extra dafür eingesetzt, dass verstärkt nach dem Angeklagten geschaut wird. Offenbar war dieser zuletzt in einer Einzelzelle untergebracht. "Wir hatten das Gefühl, dass er von Prozesstag zu Prozesstag mehr abbaut", berichtet Höpp. Zuletzt habe er wohl kaum noch geschlafen. Während des Prozesses wirkte der Angeklagte teilnahmslos und teilweise überfordert. Mehrmals brach er in Tränen aus, zuletzt am Freitag, als seine Schwester als Zeugin aussagte.
Dass sich Insassen deutscher Gefängnisse das Leben nehmen, kommt häufiger vor, die jährliche Zahl liegt offenbar im hohen zweistelligen Bereich. In diesen Fällen laufen automatisch Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft, dies ist auch hier der Fall.
Zum Grund des Suizids lässt sich nichts mit Sicherheit sagen – laut Höpp hat der Angeklagte dies nicht angekündigt und auch keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Er hält zwei Erklärungen für möglich: Entweder sei er mit dem Stress nicht mehr zurechtgekommen, oder er habe die Vorwürfe als zu belastend empfunden.
Am Freitagnachmittag hatten die Anwälte des Angeklagten um eine fast zweistündige Unterbrechung des Prozesses gebeten, um sich mit ihrem Mandanten zu besprechen. Zum Inhalt des Gesprächs gab Klein keine Auskunft. Manche Prozessbeobachter vermuteten, dass der Druck so groß geworden war, dass der Angeklagte gestehen wollte. Dass seine Verteidiger das Wochenende nutzen wollten, um eine Erklärung vorzubereiten, in der nicht mehr von Mord, sondern von Totschlag die Rede ist, erscheint möglich. Denn wer wegen Mordes verurteilt wird, erhält immer eine lebenslängliche Gefängnisstrafe, bei Totschlag sind es mindestens fünf Jahre. Höpp hält es aber auch für möglich, dass die zwei Verteidiger dem Angeklagten aufzeigen wollten, welche Indizien bislang auf dem Tisch liegen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.
Anfragen an die Staatsanwaltschaft und das Mannheimer Gefängnis blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet, wohl auch wegen des Wochenendes.
Der Hammermord-Prozess war am Wochenende Gesprächsthema Nummer eins in Sinsheim: Als die Nachricht vom Tod des Angeklagten am Samstagnachmittag die Runde machte, herrschten Entsetzen, große Anteilnahme mit den Angehörigen des Manns, stellenweise auch Mitgefühl für dessen Schicksal.
In eigener Sache: Normalerweise berichtet die Rhein-Neckar-Zeitung nicht über Suizide. Hier handelt es sich jedoch um einen Vorfall von erhöhtem öffentlichem Interesse.
Wer suizidale Gedanken bei sich oder einem Angehörigen/Bekannten festgestellt hat, sollte Hilfe in Anspruch nehmen. Die Telefonseelsorge berät anonym rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern 0800 / 1110111 und 0800 / 1110222 sowie 116123. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter www.telefonseelsorge.de
Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: www.suizidprophylaxe.de/hilfsangebote/adressen