Eppingen

Katastrophenschutz-Übung zeigt Schwachstellen auf (Update)

Novum im Landkreis Heilbronn: Strom weg, Handy tot. Eppingen testete seinen Notfall-Plan.

10.05.2025 UPDATE: 11.05.2025 19:51 Uhr 5 Minuten, 51 Sekunden
Foto: Buchner

Von Julian Buchner und Angela Portner

Eppingen. Die mehr als 20.000 Einwohnerinnen und Einwohner von Eppingen sind ohne Strom. Schnell wird Katastrophenalarm ausgelöst. Ein Szenario, das sich keiner vorstellen möchte, wurde am Samstag im Rahmen einer großen Bevölkerungsschutzübung in der Fachwerkstadt trainiert. Feuerwehr, Landratsamt, Stadtverwaltung, der Stromversorger Netze BW, das Rote Kreuz und sogar das Regierungspräsidium ziehen an diesem Tag an einem Strang. Die groß angelegte Bevölkerungsschutzübung sollte unter möglichst realen Bedingungen stattfinden und aufzeigen, wo es klemmt.

> Monatelange Vorbereitung: Feuerwehr-Chef Thomas Blösch schlendert um 9 Uhr mit einer Cola-Flasche ins Gerätehaus. Er sagt: "Ich bin nicht aufgeregt." Gleich zeigt sich, ob der mehr als ein Jahr akribisch vorbereitete Ablaufplan funktioniert. Er sieht vor, dass nach einem Großbrand im Umspannwerk "Scheuerlesstraße" der Strom auf 88 Quadratkilometern Stadtgebiet ausgefallen ist. Die Reparatur wird den ganzen Tag dauern. Das Ordnungsamt probt auf dem Feuerwehr-Hof per Dachlautsprecher die Bandansage, die im Ernstfall bei der Durchfahrt in Wohngebieten zu hören sein wird.

> Ohne Strom geht nichts: Mobilfunkmasten funktionieren nicht ohne Strom. Das Handynetz ist tot. Auf ein paar Funkkanälen und Satelliten-Telefonen der Behörden laufen alle Drähte zusammen. Notfall-Treffpunkte werden allmählich aufgebaut. Lautes Knarzen und viel Gerede ist aus Lautsprechern auf dem Feuerwehrhof zu hören. Im Funkraum herrscht Hochbetrieb. Blösch wird später sagen, dass ihm die Jungs an den Funkgeräten Leid getan haben. Eine Erfahrung von vielen, die Stadt und Land nach der Übung ziehen und noch ziehen werden. Die Auswertung soll zwei Wochen in Anspruch nehmen. Dann werden Konzepte angepasst.

> Klirrende Kälte: Trotz 20 Grad Celsius und strahlendem Sonnenschein schaut Oberbürgermeister Klaus Hollaschke ernst und grimmig. Alle spielen an diesem Tag eine Rolle: "Wir haben den 8. Januar und minus sechs Grad Außentemperatur", verkündet das Stadtoberhaupt. Gleich wird er im Bürgersaal des Rathauses den Krisenstab anführen und sich einen Überblick der Lage an dem fiktiv-kalten Januarmorgen holen. Im Altersheim herrscht nach dem Totalausfall klirrende Kälte. 30 Bewohnerinnen und Bewohner zeigen Erschöpfungserscheinungen. Die Feuerwehr ist mit Wärmeerzeugern unterwegs. Gleichzeitig rollt die Netze BW mit großen Lastwagen mit Strom-Generator an. 14 Mitarbeiter verlegen lange Kabel und weisen Feuerwehrleute in die elektrischen Anlagen ein. Für den Netzbetreiber ist es die erste Großübung gemeinsam mit Rettungskräften.

> Notfalltreffpunkte eingerichtet: Die Feuerwehr liefert nach und nach 28 Gitterboxen mit städtischen Strom- und Wärmegeneratoren sowie Zelte und medizinisches Material aus. "Die haben wir komplett vorgepackt in der Feuerwehr zum Verteilen", sagt Blösch. Die werden nun in den Stadtteilen und der Kernstadt an den extra dafür eingerichteten Notfalltreffpunkten – meist Mehrzweck- oder Sporthallen – verteilt. Sie sind die erste Anlaufstelle für Anwohner, um sich über die Lage zu informieren. Auch Rettungskräfte stehen dort bei medizinischen Problemen bereit.

Vor den sieben Notfalltreffpunkten hippelten bereits vor 9 Uhr die Ehrenamtlichen, warteten am Funk eine Stunde lang aufs Startsignal und hatten danach in "Nullkommanichts" die Hallen flott gemacht. Als zwischen 9 und 10 Uhr die Einsatzwagen der Feuerwehr mit Lautsprecherdurchsagen durch einen Großteil des Stadtgebietes fuhren, rauchten im Bürgersaal des Rathauses längst die Köpfe. "Wir haben lange gebraucht, bis die Kommunikation funktioniert hat", sagt Oberbürgermeister Klaus Holaschke.

> Jahrelang Konzept erarbeitet: Seit zwei Jahren arbeitet die Stadt in enger Absprache mit dem Landkreis an einem Konzept für Großschadenslagen. "Wir haben vieles beschafft und Sirenen ersetzt, deswegen war uns wichtig, das Szenario Stromausfall einmal zu proben", sagt Blösch. Die Sirenen im Stadtgebiet zu erneuern sei wichtig, da die alten Geräte nicht ohne Strom funktioniert hätten. So könne man trotz Stromausfall warnen und sogar Durchsagen per Sirene ausspielen. Wenn das nur die Frau am Info-Zelt vor dem Rathaus wüsste. Eine Stadt-Mitarbeiterin liest Vorbeigehenden eifrig eine Erklärung der Pressestelle vor. "Habe ich auch erst vor zwei Minuten bekommen", sagt sie schulterzuckend. Es bestehe keine Gefahr, man solle Ruhe bewahren sowie Fenster und Türen geschlossen halten. "Was bringt mir das, wenn ich zu Fuß hier unterwegs bin?" fragt eine Passantin neugierig aber bestimmend. "Wo sind die Notfalltreffpunkte?" fragt die Bürgerin weiter. Bei der Frau im roten Info-Zelt ohne Funkgerät herrscht Ratlosigkeit.

> Einsatz während Einsatz: Auf ein Mal klingeln die Funkmelder der Wehrleute. Ein echter Einsatz: Bei einem Getränkehersteller in Mühlbach hat die automatische Brandmeldeanlage ausgelöst. Auf einen Schlag wirkt das Gerätehaus wie leergefegt. Zum Glück ein Fehlalarm, wie sich später herausstellt. In einem 18-Tonnen-Laster neben der Feuerwache wird die Übung koordiniert. Der Lkw ist eine mobile Leitstelle mit dem Namen "ELW 2" und rollt regelmäßig bei großen Einsätzen von Neckarsulm durch den Landkreis. Von dem Real-Einsatz bekommt man hier nichts mit. Meldungen über Verletzte prasseln via Funk ein. Immer wieder werden Kräfte eingeteilt, Material nachgeholt und Feuerwehrautos fahren durch den Ort. Die schiere Größe der Übung lässt sich nur erahnen.

> Einige Probleme: Während der Übung stellt sich heraus: Nicht alles funktioniert einwandfrei. Abgesehen von der anfangs nicht funktionierenden Funkverbindung, kamen die Gitterboxen, die von der Feuerwehr mit allen notwendigen Utensilien gepackt waren, viel zu spät bei den Treffpunkten an. "Wir hatten noch nicht einmal Schreibpapier", erzählen Ulrike Stahl und Anna Mairhofer in der Stadthalle. Dass die Evakuierung der Realschule wegen Ausfall der Heizung super funktioniert hat, findet Carmen Probst. Die angenommenen Notfallszenarien seien zwar alle fiktiv gewesen, hätten aber gezeigt, dass sich das Team "schnell eingespielt" hat. Roy Jastrow hatte sich im Vorfeld überlegt: "Was machen wir denn mit Hilfesuchenden, die unsere Sprache nicht sprechen?" Er hatte zwei junge Männer aus Sri Lanka mitgebracht, die beim Aufbau mitgeholfen haben.

> Kein medizinisches Material: Auch im Kinderhaus, das mit vier Ärzten und zehn Helfern als Anlaufstelle für medizinische "Notfälle" eingerichtet war, hätte es besser laufen sollen. Dort hatte man praktisch gar nichts, als die ersten Statisten als Patienten vor der Tür standen. "Wir mussten mit unseren privaten Materialien arbeiten", erzählt Dr. Tatjana Hilker. Die Gitterboxen mit den Notfallkoffern seien erst um 10.15 Uhr, das Funkgerät sogar noch eine halbe Stunde später eingetroffen. Statt auf Feldbetten wurde auf Spielmatten behandelt, Decken und Sauerstoff fehlten Stunden später immer noch. Trotzdem, sagt Hilker, würde man mit der Besetzung im Ernstfall bis zu zehn Menschen im Liegen und noch viel mehr ambulant behandeln können.

> Axtunfall in Richen: In den Ortsteilen haben Mitglieder der DRK-Ortsgruppen oder Ersthelfer die Aufgaben übernommen. Für jeden Treffpunkt gab es "Notfallszenarien", die von Statisten nachgespielt wurden. Im medizinischen Bereich waren das in der Regel nur kleinere "Wehwehchen" wie Kopfschmerzen, Übelkeit oder Kreislaufstörungen. Doch so ein flächendeckender Stromausfall zieht viele Einschränkungen nach sich. Vielleicht wollte der Bürger, der sich in Richen mit einem Axtunfall meldete, noch schnell einen Vorrat an Holz hacken, bevor die Familie frieren muss. Die 60 Kühe, die eigentlich automatisch gemolken werden, haben im Ernstfall sicher nichts gegen "Handarbeit", und auch die aufgebrachten Bürger hatte Ortsvorsteher Giselbert Seitz und seine Mannschaft schnell beruhigt.

> Alles im Griff: In Adelshofen gab es einen fiktiven Verkehrsunfall, aber Ortsvorsteher Steffen Gomer sagt: "Wir hatten zu jeder Zeit alles im Griff." Aus Kleingartach berichtete Ortsvorsteher Andreas Oechsner von Schwierigkeiten mit der Stromversorgung: "Der Sicherungskasten muss dringend überarbeitet werden." Stolz ist er, dass die 35 Ehrenamtlichen sofort Hand in Hand arbeiteten und gute Ideen zur Bewältigung der Notfälle hatten, beispielsweise die Evakuierung der "Kinderheimat".

> Eklat bei Pressekonferenz: Dreieinhalb Stunden nach Beginn halten Stadt und Feuerwehr eine Pressekonferenz. Wie akribisch die Übung geplant wurde, zeigt sich, als ein Mann in den Zuschauerreihen aufsteht und laut herumbrüllt. Der Eppinger Polizeirevier-Leiter Bernd Walter befördert den Komparsen-Querulanten nach draußen. Dann ist das Extrem-Training zu Ende.

> Nun wird ausgewertet: Die Übung sei nicht sehr gut, aber gut verlaufen, resümiert Feuerwehr-Chef Blösch. Die Problematik des extremen Funkverkehrs werde man angehen. "Das ist einfach ein Flaschenhals", gibt er zu. Jede beteiligte Hilfskraft und jeder Beobachter muss nun einen Fragebogen ausfüllen. Nach dessen Auswertung habe man einen genauen Überblick, was gut lief und was nicht. "Unsere Pläne sind aber alle aufgegangen", meint Blösch.

Thomas Maier, Leiter der Abteilung Sicherheit und Ordnung im Landkreis lobt das Pilotprojekt in Eppingen. "Hier wurden zum ersten Mal Notfalltreffpunkte trainiert. Die Erfahrungen zeigen, wie wichtig solche Trainings sind." Während der Übung lösten Warn-Apps aus, um die Bevölkerung zu informieren. "Das fällt bei Stromausfall auch flach", sagt Maier. "Das Handynetz geht ja nicht." Das Geprobte treffe den Nerv der Bevölkerung und zeige, was alles plötzlich nicht mehr funktioniert.

Dass nicht alles auf Anhieb klappen könne, findet auch DRK-Katastrophenschutzbeauftragter René Rossow: "Wir leben in einer Vollkasko-Mentalität, aber erst durch solche Trainings können wir Schlüsse ziehen und sind dann gut aufgestellt." Die anwesende Übungsbeobachterin ist zurückhaltend und routiniert. "Von uns gibt es beide Daumen hoch nach Eppingen." Sie erntet Applaus und Nicken. Jetzt müsse einfach viel geredet werden, sagt Blösch.

> Verbesserungsvorschläge: Seitz’ Einschätzung, gut aufgestellt zu sein, hört man aus allen Ortsteilen. Verbesserungsvorschläge gibt es aber auch: Angesichts der verspäteten Auslieferung der Gitterboxen, sagt Hannelore Faber: "Das wichtigste sollte vor Ort sein." Die Rohrbacher Ortsvorsteherin wünscht sich mehr Struktur in der Logistik und schlägt außerdem eine Schulung für die Ehrenamtlichen vor. Auch wenn alle hoffen, dass eine solche Großschadenslage niemals eintritt, bleibt eine wichtige Erkenntnis: Beim Krisenmanagement ist noch Luft nach oben, aber Nachbarschaftshilfe und Ehrenamt funktionieren bestens und sind das stärkste Pfund, auf das man in solchen Fällen setzen kann.

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