In diesem Verein dürfen Küken noch Küken sein
Das Ziel ist, seltene und bedrohte Nutztiere züchten und schützen. Es geht um biologische Vielfalt und Bewusstsein.

Von Friedemann Orths
Epfenbach. Cröllwitzer Pute, Mechelner Huhn, Schwarzwälder Kaltblut, Wiltshire Hornschaf oder das Glan-Rind und das Genter Bartkaninchen: Sie alle sind alte und seltene Tierrassen, manche sind sogar vom Aussterben bedroht. Schon seit zehntausenden Jahren halten Menschen Nutztiere. Früher waren sie weit verbreitet, grasten auch auf den Kraichgauer Hügeln oder pickten nach Körnern in der Badischen Masthuhnanstalt in St. Ilgen. Doch mit Beginn der Massentierhaltung wurden sie immer seltener "genutzt". Um diese Tiere und das Wissen über sie zu erhalten, hat sich vor Kurzem ein Verein mit Sitz in Epfenbach gegründet: der "Verein zum Schutz und Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen" (VSEH).

Dessen Vorsitzender Georg Welker kommt "aus dem Metier", arbeitet bei einem Mannheimer Tierfutterhersteller im Produktmanagement. Privat züchtet er Geflügel, ist als Kind mit Tieren aufgewachsen. Sein Großvater hatte als Kriegsrückkehrer in den 1950er-Jahren Kaninchen, Ziegen und Hühner zur Selbstversorgung – weil es sonst nichts gab. Jetzt will der Enkel mit seinen rund zehn Mitstreitern im Verein auf die gefährdeten und seltenen Tiere aufmerksam machen.
"Ich kann eine alte Rasse schützen, wenn ich sie halte", sagt der 55-Jährige. Denn als zum Beispiel die Geflügelzucht industrialisiert wurde, wurden die Hühnerrassen immer "perfekter" zum Eierlegen oder Fleischproduzieren gezüchtet. Da haben sich andere Rassen nicht mehr gerechnet, weil sie zu wenige Eier legen oder nicht schnell genug ihr Schlachtgewicht erreichen. Welker verdeutlicht, dass ein Huhn, aus dem später mal Nuggets für die Fastfood-Ketten werden, schon nach 30 Tagen geschlachtet wird. Die Mechelner-Hühner, die der Verein züchtet, liegen nach 30 Tagen noch unter einer Wärmelampe und gelten als Küken, erklärt er. In den 1950er- und 1960er-Jahren waren sie in Deutschland noch recht weit verbreitet, bis sie vom sogenannten Hybrid-Masthähnchen abgelöst wurden.
Welker hat neben Hühnern noch Schafe und Ziegen, seine "Anglo Nubier" fressen besonders gerne Brombeerhecken, weshalb er sie zur Pflege seines Grundstücks nutzt. Diese Rasse mache laut Welker in Deutschland nur etwa sechs Prozent aller Ziegen aus. Sie geben sehr gut Milch "und manchmal auch ein Osterkitz", sagt Welker: "Das wäre dann ein dreifacher Nutzen: Milch, Fleisch und Landschaftspflege", erläutert er.
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Andere Mitglieder halten als Hobby Schwarzwälder Kaltblüter, kleine, stämmige Arbeitspferde, die früher Baumstämme aus dem Wald gezogen haben. Die werden im Schwarzwald manchmal sogar noch heute eingesetzt, wenn die großen Schlepper nicht durchkommen. Welker erwähnt die für die biologische Vielfalt so wichtigen Streuobstwiesen in der Region, die oft zuwuchern würden, weil sich die Besitzer nicht um deren Pflege kümmern können, weil die Zeit fehlt. Welker kann sich vorstellen, ein paar Ziegen oder Schafe auf den Wiesen grasen zu lassen, wenn die Eigentümer das wollten.
Hauptsächlich möchte der Verein aber informieren. Welker spricht von Kooperationen mit Kindergärten und Schulen, im Mai ist eine Kükenschau in Meckesheim geplant. Wenn man schon den Kindern zeige, welche Tiere es in der Region gibt, trage das ja auch zum Erhalt der seltenen und bedrohten Tierrassen bei, in dem man sie ins Bewusstsein bringt. Auch Besuche bei Seniorenheimen sind eine Idee des Vereins. "Meine Ziegen hören wie ein Hund", verweist Welker darauf, dass die Tiere zahm sind. Weiter geplant sind Workshops, Infoveranstaltungen, Auftritte auf Festen, ähnlich einem Streichelzoo.
Welker hat sich einiges Wissen über viele, beinahe schon in Vergessenheit geratene Rassen angelesen. Teilweise hat er Bücher in Antiquariaten gekauft, weil die Infos nur darin zu finden waren – oder hat mit Menschen gesprochen, die die Tiere noch selbst gehalten haben. Mittlerweile hat er ein digitales Archiv in seinem Computer angelegt.
Der Verein möchte auch auf Probleme aufmerksam machen, die aufgrund von Massentierhaltung oder hohem Fleischkonsum entstehen. Wer weiß, wie die Tiere aufwachsen, was sie fressen und wie sie gehalten werden, der verstehe auch, dass ein Huhn nicht für 1,50, sondern eher für acht Euro verkauft werden müsse. "Wir wollen Biodiversität erreichen und zeigen, wie es anders geht", spricht Welker das Thema an. Eine Lege-Hybrid-Henne bekomme 17 Impfungen, bevor sie ihr erstes Ei gelegt habe, sagt Welker. Die hohe "Leistung" dieser Tiere werde eben mit einer "Empfindlichkeit" bezahlt. Aber die "robusten Rassen" sind in der Massentierhaltung eben nicht rentabel. "Wir wollen Tierwohl" – und dazu könne man als kleiner Verein vielleicht auch etwas beisteuern. Alle Mitglieder fragen sich beispielsweise, wie Nahrung in der Zukunft erzeugt werden wird. All diese Themen will der Verein ins Bewusstsein rufen.
"Wir haben einiges vor", kündigt Welker an. Jetzt soll zunächst die Facebook-Seite mit Inhalt bestückt werden, später soll eine Homepage folgen. Und der Verein ist noch auf der Suche nach einem Treffpunkt.