Alle Varianten führen durchs Nadelöhr am See
Regierungspräsidium Karlsruhe stellte im Gemeinderat mögliche Verläufe der geplanten St. Leoner Umgehungsstraße vor

Von Sebastian Lerche
St. Leon-Rot. Eine Umgehungsstraße für St. Leon betrachtet das Land wegen der hohen Belastung des Ortskerns nach wie vor als gerechtfertigt. Die Planungen sind – nach coronabedingten Verzögerungen – wieder voll im Gange und der aktuelle Stand wurde jetzt St. Leon-Rots Gemeinderat vorgestellt. Marcell Biedermann vom Regierungspräsidium Karlsruhe (RP), Fabian Hockenberger vom Büro RS Ingenieure aus Achern und Martin Reichert vom Planungsbüro Modus Consult Karlsruhe gaben Auskunft.
Nach einer ersten Machbarkeitsstudie 2010 ist die Ortsumfahrung der Landesstraße 546 seit 2013 im Generalverkehrsplan des Landes enthalten. Biedermann räumte ein, dass so ein Planungsprozess langwierig sei, weil vielerlei Aspekte eingehend geprüft werden müssten. Das bedeute aber auch, dass Bürgerschaft und Gemeinde noch viel Zeit für Anregungen hätten. So will das RP ihm zufolge zwar Anfang 2023 eine Vorzugsvariante der Umgehung festlegen, die Gemeinde kann aber ebenfalls Wünsche anmelden – und bis ins Planfeststellungsverfahren hinein ist es möglich, Ideen oder Einsprüche kundzutun. Wann der endgültige Baubeschluss – beziehungsweise ein ebenfalls nicht unmögliches Aus für die Umgehung – erfolgen, ist laut Biedermann noch völlig offen: "Prognosen zum Zeithorizont wage ich nicht."
Waren es 2019 noch drei, stellten die Fachleute jetzt fünf Varianten vor. Sie unterscheiden sich nicht nur in der Länge, sondern vor allem auch im Ausmaß, wie sie gewisse Schutzgüter berühren. Eine Umgehungsstraße nah am Ortsrand bedeutet eine höhere Belastung für die dortigen Anwohner, gerade durch Lärm. Wird die Straße weiter weg verlagert, durchschneidet sie wiederum in stärkerem Ausmaß die Natur. Und dabei geht es sowohl um bei den Menschen beliebte Naherholungsgebiete als auch nach Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie geschützte Flächen. In den Vortrag flossen Ergebnisse erster Voruntersuchungen zu den möglichen negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur, aber auch zur Entlastungswirkung der Ortsumfahrung ein.
Fest steht, dass nur eine Nordtrasse in Betracht gezogen wird, im Süden ist laut RP der Rhein-Neckar-Kreis zuständig (Kirrlacher Straße, Kreisstraße 4152). Die Umgehung der Landesstraße verläuft zwischen dem Ortsausgang Richtung Reilingen und entweder der Durchfahrt zwischen St. Leon und Rot oder der Roter Umgehungsstraße. Das heißt: Alle Varianten führen durch die Engstelle zwischen St. Leoner See und Ortsrand im Bereich Talhammer, Breitenweg, Antoni- und Leostraße. Die Menschen dort vor Lärm, Feinstaub und anderen Bürden zu schützen, hieß es, muss also ein Ziel der Planungen sein, ohne die Entlastung des Ortskerns aus den Augen zu verlieren.
> Variante 1 ist 3,16 Kilometer lang und knüpft an die Straße Richtung Reilingen über einen neu zu schaffenden Verkehrsknoten an. Sie wird mit Brücken über Kraichbach und Kehrgraben geführt. Sie schwenkt auf den Feldscheuerweg und bleibt unter A 5 und Roter Umgehungsstraße, die vorhandenen Brücken müssten also ausgebaut werden. Diese Variante braucht überdies eine neue Kreuzung nahe dem Knoten, wo Roter Umgehung, Walldorfer Straße und L 598 Richtung Astorstadt aufeinandertreffen.
> Variante 2 und 3 messen 3,26 Kilometer und benötigen ebenfalls einen neuen Anschluss an die Straße Richtung Reilingen. Auch sie überqueren Kraichbach und Kehrgraben, aber weiter südlich als der Feldscheuerweg, und werden von Osten her an die Roter Umgehung angebunden. Sie unterscheiden sich nur in einem Punkt: Sie verlaufen entweder per Brücke über A 5 und Roter Umgehung oder in einem Tunnel.
> Variante 4 ist 2,47 Kilometer lang und soll ebenfalls einen neuen Knoten am Ortsausgang Richtung Reilingen erhalten. Sie verläuft näher an der Wohnbebauung, zerschneidet weniger landwirtschaftliche oder naturbelassene Flächen – dafür braucht sie aber mehr Lärmschutz als fernere Varianten. Sie überquert zwar Kraichbach und Kehrgraben, wird aber westlich der A 5 an die Roter Straße angebunden, muss also Autobahn oder Roter Umgehung nicht kreuzen. Die Folge wäre jedoch, dass nicht mit einer Verkehrsentlastung der Roter Straße zu rechnen wäre und womöglich die Roter Ortsdurchfahrt wieder mehr Verkehr erfahren könnte.
> Variante 5 ist mit 1,89 Kilometern die kürzeste und liegt am nächsten am St. Leoner Ortsrand. Sie nutzt den vorhandenen Kreisverkehr am Ortsausgang Richtung Reilingen. Diese Straße müsste nur den Kraichbach überqueren, weil sie westlich des Kehrgrabens schon Richtung Roter Straße abbiegt und ohne Kreuzung der A 5 an die Verbindungsstraße zwischen St. Leon und Rot anknüpft. Ähnliche Herausforderungen in Sachen Lärmschutz wie bei Variante 4 stellen sich hier, außerdem könnte sich ebenfalls eine Mehrbelastung der Ortsdurchfahrt Rots ergeben.
"Die Varianten sind nicht in Stein gemeißelt", so Fabian Hockenberger, "sie sind auch kombinierbar." So könnte die spätere Umgehung westlich Variante 1 entsprechen, östlich aber Variante 4.
Für diverse Wirtschaftswege müssten Brücken über die Umgehung errichtet werden. Zudem sind neue begleitende Rad- und Fußwege angedacht und erste Berechnungen der erforderlichen Lärmschutzmaßnahmen wurden bereits angestellt. Die Umgehung könnte teilweise ins Erdreich abgesenkt werden, bis zu zwei Meter unter Nullniveau: Lärmschutzwälle oder -wände müssten dann zudem angelegt werden – je nach Variante bis zu 2,50 oder auch bis zu vier Meter hoch.
Die Verkehrsprognosen, die auf Zählungen von 2019 basieren, erläuterte Martin Reichert von Modus Consult näher. Er versicherte, dass die bis 2040 angelegten Vorhersagen belastbar seien. Jüngst habe man sicher wegen Coronakrise und wachsendem Umwelt- und Klimaschutzbewusstsein Veränderungen im Verhalten der Menschen beobachtet: Dahingehend wurden die Prognosen aktualisiert, so Reichert. Zudem enthielten sie avisierte Neubaugebiete, so errechne man "eine deutliche Steigerung zum Ist-Zustand" ohne Umgehung.
Reilinger und Kirrlacher Straße laufen im Ort wie ein Trichter zusammen: Aus gegenwärtig über 8000 Fahrzeugen am Tag auf Reilinger und mehr als 6000 auf Kirrlacher Straße werden rund 15.000 auf Markt- und Roter Straße. Ohne Umgehung könnten es an dieser höchstbelasteten Stelle fast 18.000 Fahrzeuge werden. Eine optimal gestaltete Umgehung wiederum könnte in Zukunft bis zu 8000 Fahrzeuge aufnehmen und der Ortsmitte mehr als 5000 Fahrzeuge abnehmen.
Je nach Variante bedeuten diese Werte "eine mögliche Halbierung des Durchgangsverkehrs", so Reichert. Die Zusatzbelastung durch Lärm am nördlichen Ortsrand wegen der Umgehung hielte sich dank diversen Schutzmaßnahmen mit einem bis 1,5 Dezibel in Grenzen – Reichert zeigte anhand von Grafiken die entsprechenden Berechnungen.
Info: Mehr Details zu den Plänen des Landes gibt es auf der Webseite.