Noch zwei Gurs-Zeitzeugen leben
27 Ladenburger Juden wurden am 22. Oktober 1940 deportiert. Mehrere ausländische Hilfsorganisationen konnten neun Kinder retten.

Von Katharina Schröder
Ladenburg. "Am 22. Oktober 1940 waren noch 27 Menschen jüdischen Glaubens in Ladenburg", sagt Ingrid Wagner, Sprecherin des Arbeitskreises Jüdische Geschichte Ladenburg. Anlässlich des 80. Jahrestags der Deportation der badischen und pfälzischen Juden ins südfranzösische Lager Gurs hätte Wagner eigentlich gerne eine Gedenkveranstaltung organisiert. In Zeiten der Corona-Pandemie, in der man seine Kontakte beschränken sollte, habe so eine Aktion aber wenig Sinn. "Jetzt war ich eben nur beim Mahnmal am Marktplatz und habe die Inschrift gereinigt", erzählt sie.
Unter den 27 Ladenburger Juden, die im Oktober 1940 noch in der Römerstadt lebten, waren neun Kinder. "Sie alle wurden tagsüber auf dem Marktplatz mit Lastwagen abgeholt und nach Mannheim an den Bahnhof gebracht", erklärt Wagner. "Von dort wurden sie alle nach Gurs deportiert, und das dauerte mehrere Tage." Mit 91 Jahren war Mathilde Kaufmann die älteste Deportierte, Joel Hirsch war mit einem Jahr der jüngste.
Hintergrund
Weitere Artikel zum Thema:
https://www.rnz.de/gurs
Weitere Artikel zum Thema:
https://www.rnz.de/gurs
"In Gurs wurden sie getrennt, Frauen mit Kindern und Männer kamen in verschiedene Baracken", sagt Wagner. "Es gab keine sanitären Anlagen und das Lager war zu dem Zeitpunkt schon völlig überfüllt." Hinzu sei die Jahreszeit gekommen. Der viele Regen habe Ende Oktober alles aufgeweicht, Essen habe es kaum gegeben. "Vor allem für die Älteren waren das noch härtere Bedingungen", sagt die AK-Sprecherin. Die 91-jährige Mathilde Kaufmann starb noch in Gurs an Entkräftung. Von ihren sieben Kindern wurden sechs in Auschwitz ermordet, nur einem gelang die Flucht.
Von den am 22. Oktober 1940 deportierten Ladenburger Juden leben heute noch Ruth Steinfeld (geborene Krell) und Joel Hirsch. "Alle Ladenburger Kinder wurden aus dem Lager gerettet", erklärt Wagner. "Die Wachen waren bestechlich", führt sie aus. "Quäker aus den USA, das Schweizer Rote Kreuz und die Organisation Œuvre de secours aux enfants (OSE) haben Kinder aus dem Lager geholt – in Absprache mit ihren Eltern." Mindestens drei Ladenburger Kinder seien so in einer Art Waisenhaus der OSE untergekommen.
Auch interessant
Die Schwestern Ruth und Lea Krell waren sieben und acht Jahre alt, als sie deportiert wurden. Drei Jahre später kamen sie in eines der OSE-Häuser. "Dort ging es ihnen gut", sagt Wagner. "Bis Denunziationen ins Spiel kamen." Als diese zunahmen, bemühten sich die Organisationen, die Kinder mit falscher Identität bei französischen Familien unterzubringen. "Das war organisiert, sie wurden getauft und hatten gefälschte Pässe", erklärt Wagner. Nach außen wurden die Kinder von den Familien als Verwandte aus dem Elsass vorgestellt, "dann passte auch der Akzent". Mit dieser Tarnung gingen Ruth und Lea Krell bis Kriegsende in Frankreich zur Schule. "Die Familie hatte immer Angst, denunziert zu werden, aber das ist nicht passiert", weiß Wagner. Heute lebt die 87-jährige Ruth Steinfeld in den Texas. Vor zwei Jahren war sie für die Ausstellung "Nachbarn 1938" in der Römerstadt. Wagner kennt sie persönlich.
Während die Kinder aus dem Lager gerettet wurden, war das Schicksal der Erwachsenen ein anderes. "Sie wurden Ende August 1942 alle nach Auschwitz deportiert und gingen sofort ins Gas", sagt die AK-Sprecherin. Auch die Eltern von Ruth Steinfeld wurden in Auschwitz ermordet. "Sie hat einmal zu mir gesagt, dass es ein gewisser Trost für sie war, dass ihre Eltern nicht noch mit Zwangsarbeit geschunden wurden, sondern direkt in die Gaskammern kamen", erinnert sich Wagner. Nur einer der erwachsenen Ladenburger Juden sei die Flucht gelungen. "Selma Hirsch hat es mit ihrer Tochter Rachel in die Schweiz geschafft." Ihre anderen sechs Kinder seien über die Quäker in die USA gekommen.
Heute erinnert der Gedenkstein am Ladenburger Marktplatz an die Deportation der jüdischen Mitbürger nach Gurs. Der Riss durch den Stein soll den Riss durch die Gesellschaft symbolisieren, der ab den 1930er Jahren spürbar war. Verbunden werden die zwei Steinhälften durch eine metallene Tora-Rolle, die an die Tora-Rolle erinnert, die bei der Zerstörung der Synagoge in der Reichspogromnacht gerettet wurde.