Ein tragisches, ereignisreiches und doch glückliches Leben
Der 1926 in Baiertal geborene Flagg war oft in seiner Heimat zu Gast. Nun starb er im Alter von 97 Jahren in den USA. Ein Nachruf.

Wiesloch. (RNZ) Ein bewegtes Leben fand sein Ende: Paul Flagg, ehemals Flegenheimer, ist kurz vor seinem 97. Geburtstag in Mequon in Wisconsin, USA, verstorben.
Flagg, der am 4. September 1926 als Paul Benjamin Flegenheimer in Baiertal zur Welt kam, war der älteste aus Wiesloch stammende Überlebende des Holocaust. Viele Wieslocher erinnern sich nachdrücklich an den letzten Besuch Paul Flaggs gemeinsam mit seinem jüngeren Cousin Joel Flegenheimer im Oktober des vergangenen Jahres zum Gedenktag "82 Jahre Deportation Wieslocher Juden nach Gurs".
Hierzu waren die beiden letzten Überlebenden aus Wiesloch extra aus den USA angereist, um noch einmal beeindruckend Zeugnis ihres bewegenden Lebensschicksals zu geben.
Paul Flegenheimer verbrachte seine Kindheit und Jugend in Wiesloch, besuchte zunächst die Gerbersruh-Volksschule und später obligatorisch die Jüdische Schule in Heidelberg. Er war 14 Jahre alt, als er zusammen mit seinen Eltern und der ein Jahr jüngeren Schwester sowie über 6500 weiteren Juden aus Baden und der Saarpfalz am 22. Oktober 1940 in das Lager Gurs in Südfrankreich deportiert wurde. Für die Familie Flegenheimer begann eine Odyssee durch verschiedene Lager in Südfrankreich – immer in der Hoffnung, ein Ausreisevisum in die USA zu erhalten.
Pauls Schwester Lore wurde in ein Waisenhaus gebracht und überlebte. Paul selbst wurde von einer Krankenschwester des schweizerischen Roten Kreuzes an die jüdische Hilfsorganisation O.R.T. vermittelt, die ihre Schützlinge in einer Landwirtschaftsschule in der Nähe von Agen in Südfrankreich ausbildete. So wurde er gerettet. Die Eltern jedoch wurden nach Auschwitz transportiert und dort ermordet. Pauls Weg führte ihn in den Untergrund: Er schloss sich der französischen Widerstandsbewegung Résistance an und wurde schließlich französischer Soldat.
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Nach dem Krieg kehrten der nun 20-Jährige und seine Schwester im Mai 1946 nach Wiesloch zurück und kamen zunächst bei Verwandten unter. Die Geschwister konnten später in das alte Haus der Familie Flegenheimer, Hauptstraße 131, gegenüber dem Restaurant "Erbprinz", einziehen.
Ohne Schulabschluss und Berufsausbildung sah Paul Flegenheimer jedoch keine Zukunftsperspektive in Deutschland und entschied an seinem 23. Geburtstag 1949, in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Dort hat Paul Flagg sein Glück gemacht. Er stieg als Arbeiter in Milwaukee in den Gerbereibetrieb von Verwandten der Familie Flegenheimer ein. Dort lernte er das Handwerk des Gerbers von der Pike auf, sanierte später mehrere Gerbereien, unter anderem in Santa Cruz, Kalifornien, und machte sich schließlich mit seiner eigenen Gerberei sehr erfolgreich selbstständig.
Der Kontakt zu Wiesloch kam im Jahr 1990 wieder zustande, als der damalige Stadtarchivar und Kulturamtschef Manfred Kurz die Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag der Deportation nach Gurs vorbereitete. Kurz nahm damals Kontakt mit den Cousins Joel Flegenheimer und Paul Flagg auf, um sie nach Wiesloch einzuladen.
Paul Flagg reagierte zunächst zögerlich. Erst nach einem persönlichen Gespräch mit Manfred Kurz entschieden sich Flagg und seine Frau zur Reise und nahmen an der Gedenkveranstaltung in Wiesloch teil. Seither verband ihn und Manfred Kurz ein freundschaftliches Verhältnis mit wechselseitigen Besuchen, zuletzt 2022 bei der großen Gedenkveranstaltungen der Stadt.
Paul Flagg hatte ein tragisches, ereignisreiches, aber nach eigenen Worten auch glückliches, erfolgreiches Leben.