"Kein Platz im Rat für soziale Themen"
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Scholz und seine Vorgängerin Eva-Marie Pfefferle im RNZ-Interview.

Von Annette Steininger
Hirschberg. Das neue Jahr beginnt für die SPD-Fraktion mit einem Umbruch: Gemeinderätin Eva-Marie Pfefferle ist Ende 2020 aus dem Gremium ausgeschieden. Thomas Scholz, der schon einmal für eine Wahlperiode im Gemeinderat saß, rückt nach und übernimmt den Fraktionsvorsitz des zweiköpfigen Teams. Im Doppelinterview blicken die beiden zurück und voraus – und erklären, warum sie mit dem Abstimmungsverhalten im Gemeinderat nicht zufrieden sind.
Frau Pfefferle, Sie sind nun keine Gemeinderätin mehr – nach über 16 Jahren. Wie sehr wird Ihnen das fehlen?
Pfefferle: Tja, auf der einen Seite natürlich schon sehr. Vor allem die Menschen und der Umgang miteinander werden mir fehlen. Daher bin ich nun als beratende Bürgerin Mitglied im Ausschuss für Technik und Umwelt. Aber es gibt auch Sitzungen, die mir sicher nicht fehlen werden, in denen ich alles versucht habe und trotzdem unterlegen bin.
Die Stellungnahme Ihres Fraktionskollegen Jörg Büßecker pro Gewerbeparkserweiterung war jetzt noch mal harter Tobak für Sie, oder?
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Pfefferle: Ja, sehr. Weil ich vorher nichts davon gewusst habe. Ich habe das aus der Presse erfahren. Er hat vor der Stellungnahme für die Zeitung nicht mit mir gesprochen. Jeder darf natürlich seine Meinung haben in der SPD. Ich war mit Thomas Scholz auch hin und wieder anderer Meinung. Aber wir wussten das, haben in der Sache darüber gestritten und uns dann über das Vorgehen geeinigt. In diesem Fall wusste ich es eben nicht.
Scholz: Es ist absolut legitim, innerhalb einer Fraktion mal unterschiedlicher Meinung zu sein und das auch zu sagen. Das ist ok. Schade war nur, dass diese Stellungnahme nicht intern abgestimmt war. Ich bin mir dennoch sicher, dass wir da auch wieder zusammen kommen.
Die SPD wäre eigentlich für eine Erweiterung um bis zu fünf Hektar gewesen. Warum kam dieser, wie Sie es nennen, Kompromiss, dann aus Ihrer Sicht nicht zustande?
Pfefferle: Die fünf Hektar waren immer Konsens, und plötzlich haben Freie Wähler, CDU und FDP einen Antrag auf Erweiterung des Gewerbegebiets gestellt, in dessen Erläuterung sie von fünf bis zehn Hektar gesprochen haben. Die zehn Hektar hat der Bürgermeister aufgegriffen. Das wurde uns gegenüber nicht vorher kommuniziert.
Scholz: Es gab mal ein Aufeinanderzugehen aller Fraktionen in dieser Sache. Das waren fünf Hektar. Wenn die andere Seite diesen Kompromiss nun aufkündigt, muss sich keiner wundern, dass wir die neue Größenordnung nicht mitgehen. Wir sehen natürlich gewissen Bedarf, aber die fünf Hektar waren von unserer Seite aus schon ein Zugeständnis. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation – Bund und Land appellieren, den Flächenverbrauch zu reduzieren, – ist eine Verdopplung einfach auch nicht zeitgemäß. Es wird von den Befürwortern gerne argumentiert, dass wir die Steuereinnahmen aus der Erweiterung für Großprojekte wie die Hallensanierungen oder das Bürgerhaus benötigen. Aber man sollte doch nicht glauben, dass damit auf einmal ein Goldesel im Rathaus steht und wir als Gemeinde dann quasi in Geld schwimmen.
Können Sie das konkretisieren, Herr Scholz?
Scholz: Wir sind unter der Bedarfsmesszahl in Hirschberg. Eine Erhöhung von Steuereinnahmen führt daher zu einer Reduktion der Schlüsselzuweisungen vom Land. Damit geht schon relativ viel weg. Und wenn man mal darüber nachdenkt, was die Firmen, die auf der Erweiterungsfläche bauen, in den ersten Jahren alles steuermindernd abschreiben können, muss einem klar sein: Da wird auf absehbare Zeit nicht viel Geld fließen. Umgekehrt hat die Gemeinde durch die Erweiterung laufende Kosten. Nicht vergessen darf man auch die Auswirkungen hinsichtlich Verkehrsbelastung, Klima, Boden und Umwelt. Auch das sind ja quasi "Kosten", die möglichen Einnahmen entgegenstehen. Damit sieht die Bilanz dann schon ganz anders aus.
Der Bürgermeister, den Ihre Partei auch unterstützt hat, glaubt, dass fünf Hektar nicht reichen. Liegt er damit falsch?
Scholz: Er hat da seine Meinung, wir haben unsere. Das ist ok. Uns würde aber schon interessieren: Welche Firmen wollen dorthin und mit welchem Flächenbedarf? Unsere Vermutung ist, dass manche Unternehmen durchaus an mehreren Standorten nachgefragt haben. Und wenn beispielsweise vor einem Jahr Bedarf angemeldet wurde, als es noch kein Corona und kaum Homeoffice gab, dann hat sich das vielleicht mittlerweile auch geändert.
Die Befürworter der Erweiterung vermissen von den Gegnern Argumente, wie alternativ Geld in die leere Haushaltskasse kommen könnte. Was schlägt denn die SPD hier vor?
Scholz: Bevor man anfängt, zehn Hektar Boden zu versiegeln, sollte man sich erst einmal die Möglichkeiten anschauen zu sparen. Wenn man sieht, was in den letzten Jahren ausgegeben wurde, muss man sich schon fragen: Haben wir wirklich einen Skulpturengarten für rund eine viertel Million Euro gebraucht? Beim evangelischen Kindergarten Leutershausen genauso: Brauchen wir da wirklich ein Bauwerk mit Gesamtkosten von inzwischen etwa acht Millionen Euro? Benötigt man unbedingt rund 400.000 Euro, um den Spielplatz am Landwehrhagener Platz zu sanieren, oder gibt’s da nicht günstigere Möglichkeiten?
Es wurde in den letzten Jahren sehr viel Geld ausgegeben. Ich war da immer skeptisch und habe das auch gesagt. Wir hatten ja gerade auch zwei Haushaltssperren. Die erste Möglichkeit, wenn es nicht reicht, ist doch, dass man schaut, wo man gegebenenfalls Ausgaben sinnvoll reduzieren kann, und nicht: Wo bekomme ich auf Teufel komm raus neues Geld auf Kosten von Natur, Umwelt und zusätzlicher Verkehrsbelastung her? Oder man muss Maßnahmen eben eine Zeit lang strecken. Stichwort Bürgerhaus: Das hat die SPD schon lange gefordert, aber man sollte angesichts der vielen vor uns stehenden Investitionen nicht denken, dass es in den nächsten drei, vier Jahren kommt. So wünschenswert das auch wäre.
Pfefferle: Ich sehe es als schwäbische Hausfrau so: Lieber kauft man was Richtiges als was Schlechtes und hat dann viele Jahre etwas davon. Sonst muss man nachher immer wieder nachbessern. Ich denke da sowohl an den Kindergarten als auch an den Spielplatz. Generell müssen wir aber schon sparen. Und angesichts der Großprojekte wie Hallensanierungen notfalls auch Kredite aufnehmen. Im Moment ist es günstig, und man kann sich das – natürlich in Grenzen – bei diesen Vorhaben auch erlauben. Anderes muss dann aber eben zeitlich nach hinten geschoben werden.
Die Sozialdemokraten wollten ja eigentlich ein Neubaugebiet mit sozialem Wohnungsbau. Nun soll eines mit preisgedämpften Wohnungsbau kommen. Wie enttäuscht ist die SPD diesbezüglich?
Pfefferle: Sehr, sehr, sehr. In den Sitzungen der letzten Jahre haben alle Fraktionen betont, dass sie sozialen Wohnungsbau wollen. Im Antrag von Freien Wählern, CDU und FDP zum Fassen eines Grundsatzbeschlusses stand dann auf einmal "preisgedämpft" und "bezahlbar". Da habe ich gesagt: Wenn ich viel Geld habe, ist für mich alles bezahlbar. Ein blöder Begriff, den die anderen Fraktionen da in den Raum werfen. "Preisgedämpft" bedeutet immerhin günstiger als normal, aber eben doch rund zwei Euro pro Quadratmeter mehr Miete als sozialer Wohnungsbau. Für sozialen Wohnungsbau würden wir zudem eine Förderung bekommen.
Scholz: Das war genau wie beim Gewerbegebiet ein Aufkündigen der bisherigen gemeinsamen Linie. Und das kann man in den Protokollen oder Zeitungsberichten nachlesen. Ob das jetzt von der Verwaltung, vom Bürgermeister in seinem Wahlkampf oder von den anderen Fraktionen in Sitzungen war: Der Begriff "sozialer Wohnungsbau" war immer dabei. Jetzt einfach zu sagen: Man weiß nichts mehr davon, das geht einfach nicht und spricht in gewisser Weise für sich. Wir haben gemeinsam mit der GLH beantragt, dass der Begriff "sozialer Wohnungsbau" in den Grundsatzbeschluss wieder mit aufgenommen wird. Das hat die Mehrheit aus FW, CDU und FDP abgelehnt, wodurch es einen klaren Schwenk weg vom sozialen Grundgedanken gegeben hat, der ja anfangs noch da war. Warum dieser Schwenk gekommen ist, weiß ich nicht. Aber es passt leider ins Bild der letzten Monate.
Sind Sie auch sauer auf den von Ihnen unterstützten Bürgermeister?
Pfefferle: Was das Gewerbe- und das Neubaugebiet angeht, bin ich schon etwas enttäuscht.
Scholz: Bei einzelnen Punkten hat er mit uns gestimmt: zum Beispiel bei der Sozialstaffelung und beim Zuschuss für die Zukunftswerkstatt. Was er diesbezüglich im Wahlkampf versprochen hat, hat er eingehalten. Aber es gab Punkte wie den sozialen Wohnungsbau, wo wir uns schon gewundert haben, dass er bei der Abstimmung davon abgerückt ist.
Pfefferle: Christian Würz (CDU-Fraktionsvorsitzender und Bürgermeisterkandidat für die CDU 2019, Anm. d. Red.) hat sozialen Wohnungsbau und Sozialstaffelung in seinem Wahlkampf ebenfalls noch betont.
Auch beim Bürgerpass oder der Sozialstaffelung der Kindergartenbeiträge waren die Sozialdemokraten nicht erfolgreich. Ist im Hirschberger Gemeinderat kein Platz mehr für sozialdemokratische Ideen?
Pfefferle: Es scheint so.
Scholz: Ja, es ist offensichtlich kein Platz für soziale Themen. Viele Vorschläge dazu kamen ja von uns. Auch der Antrag für den Sozialbericht, der ja die Grundlage für weitere Anträge war, stammt von der SPD. Es handelt sich aber nicht nur um Anliegen, die ausschließlich wir unterstützt haben, sondern erfreulicherweise auch die GLH. Die Gemeinderatsmehrheit von CDU, Freien Wählern und FDP verhält sich aber immer mehr gemäß dem Spruch: "Not invented by us!" Sprich, wenn es nicht von ihnen vorgeschlagen wurde, können sie anscheinend auch nicht zustimmen. Wären das Ideen der Freien Wähler gewesen, wäre selbstverständlich alles durchgegangen. Wir hätten auch dafür gestimmt, wenn wir es für sachlich richtig gehalten hätten. Umgekehrt funktioniert das wohl nicht. Daher fällt gerade alles Soziale unter den Tisch. Uns ging es ja durchaus um sehr günstige Maßnahmen: Die Sozialstaffelung der Kindergartenbeiträge hätte die Gemeinde praktisch nichts gekostet. Die Verwaltung und die meisten Betreiber waren dafür. Ich weiß nicht, was man da dagegen haben kann. Auch das soziale Kulturparkett Rhein-Neckar hätte die Gemeinde nur etwa 3000 Euro im Jahr gekostet – dafür braucht man sicher kein neues Gewerbegebiet.
Pfefferle: Nur mal ein Beispiel für das Abstimmverhalten: Die SPD hat vor Jahren eine Beleuchtung in der Galgenstraße von der Heddesheimer Straße aus bis zum Sportzentrum beantragt. Das wurde abgelehnt. Im Jahr drauf haben die Freien Wähler den selben Antrag gebracht. Da wurde dann zugestimmt.
Zumindest bei den Hallen, dem Bürgerhaus und der Ortsrandstraße sind sich fast alle einig. Freut Sie das?
Pfefferle: Ja, schon. Die Ortsrandstraße ist aber auch so ein Punkt, den wir gar nicht alleine bezahlen können. Jetzt müssen wir mal schauen, wie sich das Land beteiligt. Aber das ist noch ein ganz dickes Brett, das da zu bohren ist. Und beim Bürgerhaus ist es genauso. Das ist wünschenswert. Ich als Vorsitzende des Heisemer Dorftheaters begrüße das auch ausdrücklich. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Auflagen in der Aula der Martin-Stöhr-Schule so hoch sind, wäre das schon toll. Wenn wir irgendwann keinen Platz mehr haben, wo wir spielen können, gibt es auch kein Heisemer Dorftheater mehr.
Scholz: Ich sehe das auch so. Was die Ortsrandstraße betrifft: Wir alle kennen die Situation in der Ortsdurchfahrt von Großsachsen; da gibt es bezüglich der Notwendigkeit einer Entlastungsstraße eigentlich keine Diskussion. An der Stelle verstehe ich die GLH, die ja dagegen ist, nicht ganz. Sie fordert doch sonst immer Maßnahmen zur Lärm- und Verkehrsminderung im Ort. Das Bürgerhaus ist ebenso etwas, das wir als SPD, genauso wie die Ortsrandstraße, schon lange fordern und auch wollen. Aber man muss natürlich bei beidem trotzdem schauen, was man sich wann leisten kann.
Pfefferle: Genau, die Hallensanierungen sind jetzt erst mal wichtiger. Das geht vor.
Frau Pfefferle, was würden Sie der Fraktionsarbeit der SPD 2020 für eine Note geben und warum?
Pfefferle: Wir haben getan, was wir konnten. Daher würde ich uns schon eine 1 geben. Wir haben aber natürlich auch oft verloren. Aber auch wenn wir mit unseren Anliegen nicht immer erfolgreich waren, haben wir doch unsere Schwerpunkte gesetzt.
Herr Scholz, Sie starten nun als neuer Fraktionsvorsitzender und Nachfolger von Frau Pfefferle in einer in vielerlei Hinsicht harten Zeit. Was bereitet Ihnen jetzt schon Kopfzerbrechen?
Scholz: Ich möchte an dieser Stelle jetzt erst einmal ein dickes Dankeschön an Evi sagen für ihre Arbeit in den letzten 16 Jahren. Das was sie in den Gemeinderat reingebracht hat, ihr Herz, ihr Verstand und natürlich das Soziale werden fehlen. Zur Frage selbst: Es ist schon eine schwierige Zeit, die ich auf mich zukommen sehe. Zum einen sind wir nur zu zweit in der SPD. Und zum anderen macht es Corona auch nicht einfach. Nachsitzungen des Gemeinderats, bei denen man noch einmal über alles reden kann, sind derzeit nicht möglich. Das wirkt sonst oft harmonisierend. Ich glaube auch, dass wenn man in den letzten Monaten öfter mal miteinander geredet hätte, es vielleicht nicht ganz so auseinandergedriftet wäre. Hallensanierungen, Zukunftswerkstatt, Neubaugebiet und etliches mehr – das sind zudem große Themen, die auf uns zukommen. Es wird also spannend, und da freue ich drauf. Aber einfach wird es sicherlich nicht.
Was hat sich die SPD denn für 2021 vorgenommen?
Scholz: Die großen schon genannten Themen gut auf den Weg zu bringen, mit der Sicht, die wir als SPD einbringen. Gerade auch mit den sozialen Aspekten. Das wird durch die aktuelle Krise umso wichtiger werden. Und für die Hirschberger das Beste zu erreichen. Ich hoffe dabei natürlich, dass sich gerade in diesem Sinne die Zusammenarbeit im Gemeinderat wieder deutlich verbessert.