Einwanderer will Deutscher werden

Darum wird Sergei Nechaev seinen russischen Pass nicht los

Der 40-Jährige flüchtete vor den Repressalien und "will nichts mit Russland zu tun haben". Jetzt kämpft er um die deutsche Staatsbürgerschaft.

16.11.2023 UPDATE: 16.11.2023 06:00 Uhr 3 Minuten, 25 Sekunden
Sergei Nechaev versucht vergeblich, seine russische Staatsbürgerschaft abzulegen. Foto: luw

Von Lukas Werthenbach

Leimen. Sergei Nechaev ist verzweifelt. In seiner Heimat Russland brachte er schon den Mut auf, gegen die Besetzung der Krim zu protestieren, woraufhin er festgenommen wurde. Weil er aufgrund seiner Putin-kritischen Haltung zunehmend "Druck" seitens russischer Behörden spürte, wanderte er 2016 nach Deutschland aus.

Der Informatiker fand eine gute Arbeitsstelle, lernte schnell Deutsch und fühlt sich hier mit seiner später nachgekommenen Familie wohl. Deswegen würde er nun gerne deutscher Staatsbürger werden und dafür auch seine russische Staatsangehörigkeit ablegen – doch sein Heimatland, das stattdessen immer mehr Männer in den Krieg in die Ukraine schickt, stellt sich quer. Und bei den deutschen Behörden wiederum gibt es deshalb für ihn bisher kein Weiterkommen.

Hintergrund

> Insgesamt 51 Russen wurden im Rhein-Neckar-Kreis seit 2021 eingebürgert. Bis zum 31. Oktober dieses Jahres gingen seither 113 Anträge auf Einbürgerung von russischen Staatsbürgern ein, wie das Landratsamt auf RNZ-Nachfrage mitteilte. Dabei wird darauf hingewiesen, dass

[+] Lesen Sie mehr

> Insgesamt 51 Russen wurden im Rhein-Neckar-Kreis seit 2021 eingebürgert. Bis zum 31. Oktober dieses Jahres gingen seither 113 Anträge auf Einbürgerung von russischen Staatsbürgern ein, wie das Landratsamt auf RNZ-Nachfrage mitteilte. Dabei wird darauf hingewiesen, dass "alle Einbürgerungen unter Verlust der russischen Staatsangehörigkeit erfolgten". Beim Blick auf die Zahlen fällt auf, dass die Quote der eingebürgerten Russen im Verhältnis zur Zahl der Anträge gesunken ist: 2021 wurden noch 20 von 22 Anträgen positiv beschieden, 2022 waren es 24 von 59 und in diesem Jahr bis Ende Oktober nur sieben von 32 Anträgen. luw

[-] Weniger anzeigen

"Im Rhein-Neckar-Kreis wohnen viele Russen, die momentan auf die deutsche Staatsangehörigkeit warten; sie können diese aber wegen der bürokratischen Prozedere nicht bekommen", sagt der 40-jährige Russe: Deshalb habe er sich nun an die RNZ gewandt. In Moskau sei er infolge einer Demonstration festgenommen worden und für ein "paar Stunden" in Gewahrsam gekommen, erzählt er. Wegen seiner Teilnahme am Protest gegen die Krim-Besetzung 2014 habe er zudem ein Bußgeld von umgerechnet etwa 30 Euro zahlen müssen. "Ich bekam wegen meines politischen Engagements immer mehr Druck", berichtet er. Also entschied er, gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinem heute zehn Jahre alten Sohn nach Deutschland auszuwandern.

Wegen der Arbeit zog der Vater zuerst um, 2017 kamen Frau und Kind nach. Sein Sohn besucht inzwischen das Gymnasium in Bammental, die Familie ist glücklich in der hiesigen Region. "Ich wohne hier jetzt seit fast acht Jahren, ich zahle Steuern und habe nie Hilfe vom Sozialamt gebraucht, ich bin gut integriert", sagt der Informatiker, der mittlerweile bei SAP in Walldorf arbeitet. Übrigens war es auch ein Arbeitskollege, der ein Hilfsangebot für hier angekommene ukrainische Flüchtlinge organisierte: Nechaev musste nicht lang überlegen, um sich daran zu beteiligen.

Auch interessant
Russische Invasion: Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage
Kremlkritikerin: Mordfall Politkowskaja: Täter kommt für Kriegseinsatz frei
Krisendiplomatie: Baerbock plant Ukraine-Hilfe massiv auszuweiten

Außerdem sagt der 40-Jährige: "Ich will nichts mehr mit Russland zu tun haben und finde es nicht gut, wenn jemand zwei Staatsbürgerschaften hat." Auch will er hierzulande politisch aktiv werden, eine "Stimme" in der deutschen Demokratie haben. Und: Er befürchtet, als Soldat vom russischen Staat "eingezogen" zu werden. "Wenn ich eingezogen werden soll und hier in Deutschland sitze und nichts mache, bedeutet das eine Straftat." Weil seine Eltern noch in der Heimat leben, hat er kein gutes Gefühl dabei, seine russische Staatsbürgerschaft zu behalten: "Wenn ich irgendwann mal zur Beerdigung meiner Eltern nach Russland muss, wird das ganz problematisch für mich." Seine Frau will unterdessen ihren russischen Pass behalten.

So beantragte er bereits im November 2022 die deutsche Staatsbürgerschaft – im Juli dieses Jahres habe er eine "Zusicherung" bekommen, berichtet er. Doch er musste zunächst seine russische Angehörigkeit ablegen, wofür er das in Frankfurt ansässige – und damals noch geöffnete – Konsulat aufsuchte. "Ich habe alle Papiere mitgebracht, ein Beamter dort nahm sie an sich und meinte, ich solle zehn Minuten warten", erzählt Nechaev. "Dann kam er zurück und sagte, dass sie meinen Antrag ablehnen – ohne Angabe von Gründen." Zudem hat das russische Konsulat inzwischen offiziell mitgeteilt, dass es seit dem 26. Oktober nicht mehr möglich sei, die russische Staatsbürgerschaft abzulegen.

Mit diesen Informationen wandte sich Nechaev erneut an das Ordnungsamt des Rhein-Neckar-Kreises, in dem die Staatsangehörigkeitsbehörde angesiedelt ist. "Ich habe darum gebeten, dass ich und mein zehnjähriger Sohn schnellstmöglich eingebürgert werden", berichtet er. Tatsächlich Hoffnung gibt ihm Paragraf 12 im sogenannten Staatsangehörigkeitsgesetz, der in Ausnahmefällen eine doppelte Staatsangehörigkeit ermöglicht, "wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben kann". Doch ihm sei nur geraten worden, das russische Konsulat in Bonn aufzusuchen und dort erneut eine "Entlassung" zu beantragen. Bei seinem Besuch in der RNZ-Redaktion zeigt Nechaev, dass auf den Internetseiten der Konsulate in Bonn und Berlin aktuell keine Termine für derartige Anliegen vereinbart werden können. Und er legt eine E-Mail der russischen Botschaft vor, in der erklärt wird, dass der "Entzug der russischen Staatsbürgerschaft seit dem 26. Oktober 2023 vorübergehend ausgesetzt ist".

Silke Hartmann als Sprecherin des Landratsamts des Rhein-Neckar-Kreises bestätigt auf RNZ-Nachfrage, dass "nach derzeit noch geltender Rechtslage eine Einbürgerung russischer Staatsangehöriger in der Regel nur möglich ist, wenn die russische Staatsangehörigkeit vor der Einbürgerung in den deutschen Staatsverband aufgegeben wird". Auch sie nennt den Paragrafen 12, der eine Einbürgerung "unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit" ermöglicht. Auf die Rückfrage der Redaktion, warum in Fällen wie jenem von Nechaev dieser Paragraf nicht greift, meldete sich Jürgen Gruber als Referatsleiter der Staatsangehörigkeitsbehörde: "Wir haben einen Bundeserlass seitens des Bundes-Innenministeriums, der beispielsweise für Ukrainer eine Einbürgerung unter Hinnahme der Doppelstaatigkeit ermöglicht." Aber für Russen gebe es "aktuell keine neuen Erkenntnisse über Probleme bei der Entlassung". So seien seiner Behörde die Hände gebunden, solange kein entsprechendes Signal von übergeordneter Stelle komme. "Für Paragraf 12 müssen wir die Fälle ans Innenministerium vorlegen", so Gruber: Dafür brauche es "konkrete Nachweise" aus den Konsulaten darüber, dass das Ablegen der russischen Staatsbürgerschaft nicht möglich sei.

Diese hohen bürokratischen Hürden empfindet Nechaev als "ungerecht". "Ich erwarte auch vom Ordnungsamt, dass es sich da proaktiv einmischt", sagt er. So hat er inzwischen auch die aus der Region stammenden Bundestagsabgeordneten Lars Castellucci (SPD), Jens Brandenburg (FDP) sowie Moritz Oppelt (CDU) kontaktiert. Zudem hat er einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Nechaev gibt nicht auf und versucht weiter, seinen russischen Pass loszuwerden – oder zumindest einen deutschen zu bekommen ...

Dieser Artikel wurde geschrieben von:
(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.