"Die Kunden sind nett wie nie"
Innenstadthändler erfahren Solidarität - Dennoch haben sie Anlass zur Sorge - Einige fühlen sich ungerecht behandelt

Von Philipp Weber
Weinheim. Sie haben es wieder getan, zur Freude der Passanten: Die Einzelhändler, die im Verein "Lebendiges Weinheim" organisiert sind, haben den Brunnen vor dem Alten Rathaus geschmückt. Dabei müssen die meisten von ihnen ihre Läden geschlossen halten. Doch auch abseits des Osterbrunnens machen sich die Händler Mühe, um die Verbindung zur Kundschaft aufrechtzuerhalten. Viele liefern ihre Waren zu den Kunden nach Hause – oder bieten einen Bestell- und Abholservice an. Die Menschen zeigten sich dankbar, berichten die Händler. Die Solidarität mit dem inhabergeführten Handel hält an. Dennoch blicken die Unternehmer mit Sorge in die Zukunft: Einen Monate währenden "Lockdown" würden viele nicht durchstehen, lautet die Befürchtung.
Per Tholander ist seit 29 Jahren Mitinhaber des Floristikgeschäfts "Blumen Christian Mayer". Aus seiner Sicht haben Stadtgesellschaft und Handel zumindest etwas Glück im Unglück. "Das Wetter war die letzten zwei Wochen über fast durchweg sonnig", stellt er fest. Wenn die Menschen sich draußen bewegen können, tue dies der Stimmung gut; der Florist hat aber auch die Möglichkeit, einen kleinen Teil seines Sortiments vor seinem Laden anzubieten, zur Mitnahme und gegen Bezahlung per Einwurf.
Bis er die Erlaubnis dafür sicher hatte, musste er sich mit Polizei und Stadt auseinandersetzen, zwei Tage habe das Hin und Her gedauert. Ergebnis: Tholander darf seine Pflanzen auf seinem eigenen Drei-Quadratmeter-Grundstück vor dem Laden anbieten. Die zusätzlichen fünf Quadratmeter direkt auf der Hauptstraße, die er sonst ebenfalls für die Auslage mitnutzt, sind dagegen tabu.

Für den Floristen ist das ein Ärgernis: Immerhin zahle er Jahr für Jahr 138 Euro, um die städtische Fläche bespielen zu dürfen. Wie andere Händler hat er aber noch gewichtigere Gründe, sich benachteiligt zu fühlen. So dürfen Gartencenter oder Supermärkte weiter öffnen, im Nachbarland Hessen sind zum Beispiel Floristen gar nicht vom "Lockdown" betroffen. Und: Wenn samstags Wochenmarkt ist, werden sogar auf dem Weinheimer Marktplatz Pflanzen und Blumen verkauft. Von den Marktbeschickern, versteht sich. Nicht von Tholander.
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"Es wäre für uns kein Problem, den Laden so weit freizuräumen, dass jeder Abstand halten kann", sagt er. Dass nicht zu viele Leute auf einmal reinkommen, sei in den kleinen Geschäften der Innenstadt leicht zu kontrollieren. Tholander ist sich sicher, dass er damit auch für andere Händler sprechen könnte, nicht zuletzt die nahe gelegene Buchhandlung Schäffner.
Wenn er Blumen ausfährt, nimmt er ab und zu auch Bücher mit. Auch die Waren von Helena Berghoffs Marktplatz-Geschäft für Kunsthandwerk haben Platz im Lieferfahrzeug. "Viele Händler machen ihren Lieferservice selbst, aber wir unterstützen uns auch gegenseitig", sagt er. Beim Ausliefern machen er und seine Kollegen Erfahrungen, die anrühren, erzählt Tholander. Verwandte schicken einander Blumengrüße, ältere Menschen in "freiwilliger" Quarantäne bekämen Sträuße von Kindern und Enkeln: "Die sind oft vorsichtiger unterwegs als die Alten", meint er. Man kann bei ihm und anderen Händlern aber auch am Telefon bestellen – und die Ware an der Ladentür abholen. Dies ist erlaubt.
"Die Leute sind so freundlich wie nie zuvor", beobachtet er. Obwohl er derzeit keine Liefergebühr verlangt, legten viele Kunden von sich aus etwas drauf. "Unser Azubi hat Sträuße ausgefahren, die gerade mal 15 Euro kosten; aber dann hat er fünf Euro Trinkgeld bekommen." Die Kundschaft solidarisiert sich mit den Händlern. Die können Unterstützung gebrauchen. Tholander schätzt, dass seinem Betrieb rund 70 Prozent der Einnahmen weggebrochen sind. Die meisten Firmenkunden fallen aus. Werden Beschäftigte von ihren Arbeitgebern verabschiedet, müssen sie nun meist ohne Blumen gehen.
Auch die Staatshilfen fangen nur einen Bruchteil der Betriebskosten auf. Was passiert, wenn die Zahl der erfassten Covid-19-Fälle steigt und die Zwangsschließungen andauern? Für Tholander ist die Antwort klar: "In Handwerk und Handel geraten dann viele in Bedrängnis, auch etablierte Betriebe." Einige hätten bislang das Glück gehabt, Aufträge abarbeiten zu können, die vor den Corona-Maßnahmen reingekommen sind. "Einer meiner Bekannten ist Schreiner", erklärt Tholander dazu. "Für ihn wird es jetzt schwierig, an Aufträge zu kommen, wenn mögliche Kunden schon das Beratungsgespräch scheuen."
Am Marktplatz erblüht nun erst einmal der Brunnen. Bleibt zu hoffen, dass die Händler ihn auch übernächste Ostern schmücken können.