Lützelsachsen: Landkreis belegt Winzerhalle mit Flüchtlingen

Die Halle wird von heute an zum Winterquartier für 120 Männer - Die Kommunalbehörden "hatten keine Reaktionszeit"

15.10.2015 UPDATE: 16.10.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 19 Sekunden

Die Vereine in Lützelsachsen hatten sich darauf eingerichtet, nach und nach Abschied von "ihrer" Winzerhalle nehmen zu können. Mithilfe von Mitarbeitern der Stadt mussten sie bereits am Donnerstagvormittag die Halle ausräumen. Danach ließ der Kreis Feldbetten aufstellen. Foto: Kreutzer

Von Günther Grosch

Weinheim-Lützelsachsen. Die Dimension des Mangels und die Begrenztheit an vorhandenen Flüchtlingsunterkünften übertreffen mittlerweile alle Vorstellungen. Erlebbar wurde dies am Mittwochabend, als Erster Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner am Ende der öffentlichen Gemeinderatssitzung um 20.10 Uhr die Stadt- und Ortschaftsräte zum Bleiben aufforderte.

Er habe eine "wichtige Mitteilung" zu machen. Zur nicht-öffentlichen "Nachsitzung" eingeladen waren darüber hinaus Angehörige des Netzwerks Asyl für Integration Weinheim ("Nawi") sowie Vertreter von Vereinen, welche die Winzerhalle in Lützelsachsen belegen.

Die Nachfrage der RNZ, ob die lokale Presse ebenfalls bleiben dürfe, beschied OB-Referentin Gabi Lohrbächer-Gérard mit einem kategorischen "Nein". Fetzner vertrat auf der Ratssitzung OB Heiner Bernhard, der zur Zeit in Urlaub weilt.

Gute zwei Stunden später, um 22.15 Uhr, erreichte die RNZ per Mail von Stadtsprecher Roland Kern dann die offizielle Bestätigung dessen, was zuvor bereits gerüchteweise die Runde gemacht hatte. Der Rhein-Neckar-Kreis beabsichtigt, die Gemeindehalle ("Winzerhalle") in Lützelsachsen vorübergehend mit bis zu 120 Flüchtlingen zu belegen. Es handle sich um allein stehende Männer. Zunächst hieß es, die Flüchtlinge kämen bereits am heutigen Freitag. Gestern Abend war der kommende Dienstag im Gespräch.

Das Land Baden-Württemberg habe kurzfristig seine Vorgehensweise geändert: Zuweisungen von Flüchtlingen - von der Zuständigkeit des Landes in die der Kreise - seien nicht mehr wie bisher monatsweise, sondern künftig wochenweise abzunehmen sind, so der Leiter Ordnungsamts im Landratsamts des Rhein-Neckar-Kreises, Stefan Becker, in einer Presseerklärung.

Zusätzlich sei die Anzahl der wöchentlich von den Kreisen aufzunehmenden Flüchtlinge erneut deutlich erhöht worden. Diese belaufe sich für den Monat Oktober auf 1138 Menschen: "Dafür reichen die vorhandenen und geplanten Kapazitäten in den Unterkünften des Rhein-Neckar-Kreises nicht aus."

OB Bernhard sei bereits in der vergangenen Woche vom Stellvertretenden Landrat, Jochen Bauer, über die geplante Hallenbelegung informiert worden. Die Halle in dem alten Bergstraßenortsteil soll im kommenden Frühjahr abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden.

Becker: "Die Halle ist aber noch voll funktionsfähig, verfügt über ausreichend Toiletten und Duschen und ist im Winter beheizbar." Der Kreis werde die Halle in Parzellen aufteilen und diese mit Feldbetten und Spinden bestücken. Ein Caterer soll sich um die Verpflegung, ein Sicherheitsdienst um ein leidlich ordentliches Miteinander kümmern. Ein anderer Grund für die kurzfristige Inanspruchnahme der Gemeindehalle liegt darin, dass sich die vorgesehene Belegung des früheren Druckhauses des Weinheimer Zeitungsverlags Diesbach verzögert. Offenbar müssen hier noch Sanitäreinrichtungen eingebaut werden.

Darüber hinaus bereitet das zuständige Ordnungsamt des Rhein-Neckar-Kreises für die nächsten Wochen die Notunterbringung weiterer Flüchtlinge vor. "Die Lage ist mehr als angespannt", so Landrats-Stellvertreter Bauer. Man müsse "gemeinsam mit den Kommunen alle Kräfte bündeln, um in kürzester Zeit Unterkünfte Zeit bereitzustellen".

Damit wolle man "zumindest zum jetzigen Zeitpunkt", die Belegung weiterer Kreissporthallen an den Berufsschulen in Schwetzingen, Sinsheim und Weinheim vermeiden: "Gebraucht werden große Unterkünfte und leer stehende Hallen, die schnell bezogen und nicht noch zuvor umgebaut oder saniert werden müssen." In der knapp zweieinhalb Seiten langen Presseinformation bittet das Landratsamt die Bevölkerung zugleich um Verständnis, wenn nicht in jedem Fall ausführlich und vorab über die Neubelegung weiterer Flüchtlingsunterkünfte informiert werde: "Bei den sich fast täglich ändernden Zuweisungszahlen bleibt uns keine Reaktionszeit. Jede Belegung wird zu Eilentscheidung", so Bauer.

Bauer lobt jedoch ausdrücklich die haupt- und ehrenamtlichen Helfer in Weinheim. Man danke den Städten und Gemeinden sowie allen Engagierten, die den Kreis bei der Bewältigung dieser Mammutaufgabe unterstützen.

"Sie tragen dazu bei, dass allen Flüchtlingen auch unter schwierigen Umständen Obdach gewährt und eine angemessene Versorgung gewährleistet werden kann", so der Stellvertreter des Landrats Stefan Dallinger.