Erinnern und mahnen, so oft wie nur möglich
Verein Spätlese bereitete die Geschichte Baiertals in den Jahren vor der Pogromnacht auf.

Baiertal. (arb) "Als die Idee zu dieser Veranstaltung an uns herangetragen wurde, war einer meiner ersten Gedanken: Kann man so eine Veranstaltung machen, in dieser Zeit, diesen Tagen? Und ich denke, man kann sie nicht machen, man muss sie machen, in dieser Zeit, in diesen Tagen." So leitete Stefan Weisbarth, Vorsitzender des veranstaltenden Vereins Spätlese, vor etwa 90 Besuchern die Veranstaltung zum 85-jährigen Gedenken an die Reichspogromnacht ein. In jener Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 haben die Nationalsozialisten in einer systematisch vorbereiteten Gewaltaktion mehr als 1300 Menschen jüdischen Glaubens getötet, 1400 Synagogen beschädigt oder zerstört und mehr als 7000 jüdische Stätten angegriffen, so Weisbarth. Damit so etwas nicht mehr passiere, müsse daran erinnert werden, so oft wie nur möglich.
Auch vor Baiertal haben diesen Geschehnisse nicht Halt gemacht. Weisbarth berichtete dabei aus einer Chronik des Baiertaler Ratsschreibers Gefäller. 1926 habe man der Nationalsozialistischen Partei Deutschlands (NSDAP) noch wenig Beachtung geschenkt. Bei einer Helden-Gedenkfeier in Baiertal im März 1926 sei erstmals eine Gruppe junger Leute in Uniformen – Hitlerjungen – aufgetreten. Auch in Baiertal haben sich in der Folge die Anhänger vermehrt.
Am 30. Januar 1933 habe zur Machtergreifung auch in Baiertal ein Fackelzug stattgefunden, ergänzte Anna Steinherr die Chronik Gefällers. Die Ortsgruppe der NSDAP wurde stärker, Straßen wurden umbenannt, der Zentrumsbürgermeister abgelöst von Johannes Pfister. Auch in Baiertal habe es eine Adolf-Hitler-Straße gegeben; die heutige Kirchengrundstraße sei die neueste und schönste Straße gewesen und daher umbenannt worden, erklärte Weisbarth.
Ein am 7. November 1938 verübtes Attentat auf den deutschen Diplomaten Ernst von Rath habe zur Gleichschaltung der Presse geführt. Noch in der folgenden Nacht, berichteten die Organisatoren, sei die Presseberichterstattung an alle Redaktionen vorgegeben worden: "Die Nachricht muss die erste Seite voll beherrschen." Diese Nachricht war zutiefst antisemitisch in ihrer Ausrichtung. Ähnlich habe es sich nach den Pogromen verhalten: Der 9. November war jedoch bewusst gewählt worden; die Parteimitglieder gedachten des Hitlerputsches von 1923. Trotzdem sollte die Presse von "im ganzen Land spontanen judenfeindlichen Kundgebungen" berichten.
Am 10. November 1938, gegen neun Uhr am Morgen, so Steinherr, seien etwa 20 SA-Männer und Zivilisten aus Wiesloch gekommen, um in die Synagoge Baiertals einzudringen und das Inventar, Bücher und rituelle Gegenstände auf einem Haufen vor der Synagoge zu verbrennen. Steinherr verlas dabei Passagen aus den Erinnerungen eines Baiertalers an diese Nacht, der berichtet, die Steine der Synagoge seien später zur Trockenlegung des nahe gelegenen Schrottplatzes verwendet worden. Männer haben Kalkbrühe angerührt, Häuser, in denen Menschen jüdischen Glaubens gewohnt haben, angespritzt und die Eimer mit der Brühe gegen die Wände geworfen. Zu dieser Zeit, sagte Steinherr, seien es 25 Jüdinnen und Juden gewesen, 1890 noch 104.
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Auch die Jüngeren wurden in die Veranstaltung eingebunden. So verlasen die Konfirmanden biografische Texte über Schicksale dieser 25 – trotz des Einsatzes mancher Baiertaler Familie konnten die wenigsten der Verfolgung entkommen. Um sie in Erinnerung zu halten, verwies Weisbarth auf die Stolpersteine, die sich inzwischen in Baiertal befinden. Diese haben die Kinder noch am Abend davor geputzt und mit Blumen belegt. "Erinnern und Mahnen sollte als ständiger Prozess begriffen werden", sagte Weisbarth.Das bekräftigte auch Kurt Roberg: Der inzwischen 99-Jährige hatte in den Jahren vor 1938 mehrere Sommer in Baiertal, bei seiner Tante, der Jüdin Babette Marx, verbracht, bevor er in die USA ausgewandert war. Weisbarth hatte den Kontakt zu ihm hergestellt und so schloss die Veranstaltung eindrucksvoll, als Roberg telefonisch zugeschaltet wurde und Geschichte lebendig werden ließ.