Walldorf

Demenzwerkstatt in Walldorf findet erstmals statt

"Geht damit offen um". Angehörige wünschen sich einfache Möglichkeiten der Begegnung und Betreuung.

02.11.2021 UPDATE: 03.11.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 50 Sekunden
In Kleingruppen wurde bei der Demenzwerkstatt in Walldorf deutlich, wie wichtig der Austausch für Angehörige ist, um über ihre Erfahrungen mit Demenz zu sprechen. Foto: Hebbelmann

Von Sabine Hebbelmann

Walldorf. "Diskutieren Sie, gehen Sie in den Austausch", sagte Bürgermeister Matthias Renschler. Zur ersten "Demenzwerkstatt" im Rahmen des Projekts "Demenz im Quartier" lud die Stadt Walldorf über Video gleichzeitig an vier verschiedenen Standorten in Walldorf ein. Demenz ist weit verbreitet, entsprechend war die Resonanz in Walldorf groß. Viele Besucherinnen und Besucher berichteten sehr persönlich über ihre Erfahrungen mit Partnern, Eltern oder Großeltern und über ihre eigene schwierige Situation als pflegende Angehörige. Es beteiligten sich auch Personen, die beruflich mit dem Thema zu tun haben oder die sich im Stadtrat oder in Initiativen engagieren. Die Anwesenden waren ein Querschnitt durch die Walldorfer Stadtgesellschaft.

Das eigene Leben wird durch die neue Situation auf den Kopf gestellt, berichteten gleich mehrere Teilnehmende. Eine berufstätige Frau, deren Eltern an Demenz erkrankt sind, stellte fest: "Man schränkt sich selbst stark ein."

Ein Walldorfer erzählte: "Bei meiner Frau hat die Krankheit einen wahnsinnig schnellen Verlauf genommen." Er bedauere, dass er die Überforderung, die er erlebt hatte, zu lange für sich behalten habe. Zu sehen ist er auch in einem Film, der im Rahmen des Modellprojekts entstanden ist und in dem viele pflegende Angehörige aus Walldorf zu Wort kommen. "Geht damit offen um", riet der Mann eindringlich. Er selbst machte gute Erfahrungen mit einer außergewöhnlichen Aktion: Per Mail schrieb er alle seine persönlichen Kontakte an.

Viele Betroffene wollen einfach dabeisitzen, Leute beobachten, Kinder erleben dürfen, sagte ein 82-Jähriger. "Kann nicht auch der Kindergarten die Möglichkeit bieten, Kindern beim Spielen zuzusehen?", fragte er eine Kita-Leiterin.

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Marco Schirmacher, Fachdienst Soziale Hilfen der Stadt Walldorf, war für Andrea Münch eingesprungen, die das Projekt mit viel Herzblut vorantreibt. Bei der Denkwerkstatt gehe es darum, Ideen zu entwickeln, wie soziale Isolation verhindert und Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen die Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglicht werden kann, sagte er. Die Ergebnisse würden im Anschluss vom Projektsteuerungsteam ausgewertet und veröffentlicht.

Was braucht es dafür vor Ort, was lässt sich in Walldorf entwickeln? Sandra Gladis von der Alzheimergesellschaft wurde von Stuttgart aus zugeschaltet. Gesucht seien innovative Vorhaben wie das Umfeld "demenzaktiver" gestaltet werden kann. "Es ist mehr möglich als man denkt", sagte sie und wies im Zusammenhang mit der demoskopischen Entwicklung auf die deutlich zunehmende Zahl an Menschen mit Demenz hin.

Nach der Vorstellungsrunde verteilten sich die Teilnehmenden auf mehrere Kleingruppen und kamen so noch intensiver ins Gespräch. Klar wurde dabei: Menschen sind verschieden und bleiben es auch dann, wenn sie erkranken. Die einen wollen ihre Ruhe haben und sich nur von engsten Angehörigen versorgen lassen, andere leiden unter der Isolation und suchen Gesellschaft, sind aber nicht mehr mobil oder finden sich draußen nicht mehr allein zurecht. Natürlich spielt es auch eine Rolle, in welchem Stadium der Demenz sich eine Person befindet. Aufklärung tut not, denn beim Umgang mit Erkrankten beobachten die Teilnehmenden viel Unsicherheit. Dies bestätigte eine Apothekerin, die bei Stammkunden Veränderungen bemerkt. "Darf ich auf Angehörige zugehen, sie anrufen, Prospekte mitgeben?", fragte sie.

Viele wünschen sich die Möglichkeit, andere pflegende Angehörige zu treffen und sich auszutauschen. Auch Treffen dementer Menschen mit ihren Angehörigen wurden genannt. Es müsse weder ein Programm noch aufwendiges Essen geboten werden.

Als gelungenes Angebot wurde der Bürgertreff am Adenauerplatz "Bütz" in Wiesloch genannt, der einmal im Monat am Markttag stattfindet. Hier sitzen auch die Kranken mit am Tisch, es wird gemeinsam gegessen und manchmal auch gekocht. "Das ist ein attraktiver Ort, man ist mittendrin und blickt von oben über den Markt. Im Sommer kann man draußen sitzen, da setzen sich dann auch Leute dazu", erzählte eine Frau begeistert. Auch der Gesprächskreis in der Scheune Hillesheim fand Anklang. Jemand erzählte von einer Seniorin, die in Stuttgart eine "Schwätzbank" vors Haus gestellt und Kuchen gebacken hat als Einladung an die Nachbarn.

Angehörige wünschten sich tageweise Betreuung, die einfach und kurzfristig zugänglich ist. Auf der Wunschliste standen außerdem Angebote, die Demenzkranke mit ihren Familien nutzen können. Zum Beispiel Zeiten im Schwimmbad oder Bewegungsflächen mit Geräten für Jung und Alt. Angeregt wurde, die Angebote, die es in Walldorf schon gibt, bekannter zu machen – auf der Internetseite der Stadt und über einen Flyer, der alle Angebote mit Adressen und Tipps zusammenführt.

Walldorf beteiligt sich am von der Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg initiierten zweijährigen Modellprojekt "Demenz im Quartier" als einer von fünf Modellstandorten in Baden-Württemberg. Das Projekt läuft seit April und ist Teil der Landesstrategie "Quartier 2030 – Gemeinsam.Gestalten." des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration.

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