Wie Musik Helen Kemmerer im Kampf gegen Burnout hilft
Nach einer tiefgreifenden Diagnose verarbeitet Helen Kemmerer ihre Erlebnisse musikalisch.

Neckar-Odenwald-Kreis. (adb) Von einem Moment auf den anderen war die Stimme weg: Als Helen Kemmerer eine Rhythmikstunde mit Kindergartenkindern gestalten wollte, glitt ihr kein Ton mehr über die Lippen. Die Diplom-Musikpädagogin aus Balsbach – im Buchener Stadtgebiet gleichsam bekannt als eine der treibenden Kräfte der "Singpause" an den örtlichen Grundschulen – fühlte sich ausgebrannt, matt und leer.
Die Diagnose war eindeutig: Burnout-Syndrom. Das liegt sechs Jahre zurück – sechs Jahre, in denen sich für die damals 39-Jährige vieles änderte. Am Ende dieses Weges steht ein bemerkenswertes Musikstück: Helen Kemmerers Debütsingle "Schwarz" wurde unter ihrem Geburts- und Künstlernamen Helen Schwarz veröffentlicht. Mit der Rhein-Neckar-Zeitung sprach sie über ihre Erlebnisse sowie die Entstehung des selbst getexteten und komponierten Liedes.
Helen Kemmerer erklärt den Hintergrund: Den Text des Lieds "Schwarz" hatte sie bereits im Jahr 2019 während eines Reha-Aufenthalts geschrieben. "Direkt nach meinem Burnout hatte ich viel Musik gehört und neue Genres für mich entdeckt, mit denen ich vorher keine Berührungspunkte hatte", blickt sie zurück.
"Eines Tages beschloss ich, einen Stift in die Hand zu nehmen und darüber zu schreiben, wie sich der Zustand vor der Diagnose Burnout anfühlte", erklärt sie. Seither vergingen mehrere Jahre: Sommer und Winter kamen und gingen, neue Gefühle und Eindrücke kamen und blieben. Helen Kemmerer hat zwischenzeitlich den zweijährigen berufsbegleitenden Lehrgang "Zertifizierung Popgesang" an der Bundesakademie in Trossingen begonnen: "Hier lerne ich, wie ein qualitativ guter Popsong hinsichtlich Komposition, Melodie, Akkordfolge sowie Text und Inhalt aufgebaut sein muss, um sein Publikum zu erreichen", betont sie.
Während der Fahrt von Trossingen in den Odenwald fasste sie im vergangenen Jahr einen Entschluss, der weitreichende (Klang-)Folgen haben sollte: "Eine lange und tiefsinnige Unterhaltung mit einer Leipziger Singer-Songwriterin ermutigte mich dazu, aus dem Text einen Song zu machen", erklärt Helen Kemmerer. Zunächst galt es, die passende Tonart auszuwählen: Sie landete bei c-Moll, bildete den sogenannten "Turnaround" (Akkordfolge; Anm. d. Red.) "und sang einfach drauf los", wie sie berichtet.
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Die Melodie habe sich recht bald ergeben und wurde in Noten festgehalten; einzig die "Bridge" nach den Strophen erwies sich als schwieriger: "Mehrere Variationen wurden ausprobiert, bis auch dieser Abschnitt nach einigen Tagen feststand", lässt die Diplom-Musikpädagogin wissen. Für die Eigenkomposition sprach auch ein weiterer Aspekt, den sie im Laufe der letzten Jahre gewonnen hatte: "Ich habe keine Musik gefunden, die zu meinem Zustand während des Burnouts passte – entweder waren die Lieder zu düster oder zu fröhlich", gibt die Mutter dreier Kinder zu bedenken.
"Schwarz" 2019 geschrieben
Seine Uraufführung hatte das Lied "Schwarz" – der Titel versinnbildlicht den schwarzen Moment des Zusammenbruchs und die völlige Hilflosigkeit in jener Stunde – Ende September 2023 in Trossingen auf der "open stage". Die Reaktionen waren unterschiedlich, wie Helen Kemmerer betont: "Einerseits bewirkte das Lied eine gewisse Sprachlosigkeit, andererseits kam eine Frau mit Tränen in den Augen auf mich zu. Dass der Song, meine Geschichte, auch auf anderer Leute Geschichten passt und sie berührt, hat mich so berührt, dass ich beschloss, den Song professionell aufzunehmen", erinnert sich die 45-Jährige.
Im Oktober nahm sie Kontakt zu Sven Ickinger auf, der gemeinsam mit Jochen Kuhn das Studio "IKU-Media" in Elztal betreibt – ein Ambiente, das Helen Kemmerer als "faszinierend, spannend und aufregend zugleich" beschreibt. Der Kontakt zu Ickinger bestand bereits: "Seine Zwillinge waren bei mir im Elementarkurs im Kindergarten und eigentlich hatte ich mal geplant, meinen ,Schwimmbad-Song‘, den ich für den Elementarunterricht geschrieben hatte, mit den Kindern dieses Kindergartens von Sven aufnehmen zu lassen, aber Corona kam dazwischen.
Es wurde nun kein Kinderlied, sondern meine eigene Geschichte mit dem heftigen Text", erklärt sie. In Elztal entstand das, was heute als fertiges Lied zu hören ist: "Erst wurde meine Stimme mit Klavier aufgenommen, dann kam das Arrangement als solches mit Schlagzeug, Gitarren und Bass dazu – wobei der erste Entwurf komplett über den Haufen geworfen wurde. Subjektiv kam die Bedeutung des Textes nicht zum Tragen", erklärt sie. Nach einigen Versuchen war das Klangidiom geschaffen, ehe der Gesang erneut über die Tonspur gesungen wurde; die Krone setzte dem Ganzen die von Thomas Förster in Trossingen gespielte Piano-Passage auf.
"Mit jedem Studiobesuch waren die Arbeiten weiter fortgeschritten – das Lied nahm immer größeren Charakter an. Letztlich sieht man sein eigenes Baby wachsen – ein schönes Gefühl, zumal ich beim Schreiben des Textes nie mit einer Studioaufnahme gerechnet hätte", betont sie nicht ohne Stolz.
"Meine Erlebnisse emotional und musikalisch verarbeitet zu haben – das gibt innere Stärke und gewissen Aufwind", informiert sie im Lauf der emotionalen Unterhaltung voller Tiefgang – die Worte sind leise, aber vielsagend: "Leider neigt man oft dazu, einen sich abzeichnenden Burnout zu ignorieren. Dann kommt aber doch die Stunde Null als Punkt ohne scheinbares Zurückkommen und Weitergehen – man fragt sich, wie und weshalb man dort gelandet ist und wie man wieder entkommt, findet jedoch erstmal keine Antworten. Man ist in sich gefangen und realisiert, dass es nur Hilfe zur Selbsthilfe gibt. Man selbst muss die Kraft aufbringen, die Schranken im eigenen Kopf zu sprengen – so bin ich heute ein komplett anderer Mensch als früher", führt sie aus.
Ihr selbst hatten Meditation und Philosophie und nicht zuletzt Musik geholfen, wieder klare Gedanken zu fassen und zu neuen Ufern aufzubrechen. Dahingehend sei heute nichts mehr, wie es einmal gewesen ist: "Obwohl sich im Außen scheinbar nicht viel verändert hat, hat die Veränderung im Innen meinen Handlungsspielraum paradoxerweise extrem vergrößert", resümiert sie und zeigt sich im Nachgang "dankbar für den Burnout", den sie heute als "Weckruf dafür, etwas zu ändern" empfindet. Gelegentlich komme es bis heute zu Rückblenden. "Ich weiß jetzt gegenzusteuern", hält sie fest und genießt den "extremen Schub von Energie und Kreativität", der sich nicht zuletzt in ihrer Debütsingle auf durchdringende, textlich und musikalisch ansprechende wie anspruchsvolle Weise bemerkbar macht.
Übrigens endet das Lied mit einem Akkord in C-Dur: "Er steht für das Aufwärts und den Weg, den ich nach oben und somit von Moll nach Dur gegangen bin", erklärt Helen Kemmerer zum Ende des Interviewtermins.
Info: Die Entstehungsgeschichte des Songs mit Bildern gibt es auf Instagram: @helen.schwarz.official – ,,Schwarz" ist auf allen Streamingplattformen zu hören.