Neckar-Odenwald-Kreis

"Verstöße gegen Coronaregeln nehmen zu"

Der Heilbronner Polizeipräsident Hans Becker spricht im Interview über "die größte Herausforderung, die wir als Polizei je hatten".

23.04.2021 UPDATE: 24.04.2021 06:00 Uhr 4 Minuten, 5 Sekunden
Für annähernd 1400 Beamte trägt der Heilbronner Polizeipräsident Hans Becker die Verantwortung. Ihm ist es wichtig, dass seine Kollegen in der Coronapandemie ihrer Vorbildfunktion gerecht werden – bei der Arbeit wie auch privat. Foto: Caspar Oesterreich

Von Caspar Oesterreich

Neckar-Odenwald-Kreis. Schüler müssen alleine zu Hause lernen, Eltern am Laptop daneben gestresst ihre Arbeit erledigen. Viele Wirte und Einzelhändler stehen vor den Scherben ihrer Existenz, und Ausgangssperre, Maskenpflicht und Abstandsregeln gefallen längst nicht jedem. "Wir merken schon, dass der Frust in der Gesellschaft wächst, die Menschen Corona-müde werden", sagt der Heilbronner Polizeipräsident Hans Becker. Im Interview mit der RNZ spricht der Chef von annähernd 1400 Polizisten über "die größte Herausforderung, vor der wir als Polizei je standen".

Herr Becker, wie hoch ist die Belastung für die Polizei im Moment?

Hoch. In meiner mehr als 45-jährigen Dienstzeit stand die Polizei immer wieder vor großen Herausforderungen, komplizierten Großeinsätzen und Gefahrenlagen. Aber dass ein Thema über solch eine lange Zeit jeden Bürger betrifft, so viele Ressourcen bindet und sich immer wieder ändernde Verordnungen durchgesetzt und kontrolliert werden müssen, ist die größte Herausforderung, vor der wir als Polizei je standen.

Ihre Beamten machen seit mehr als einem Jahr wahrscheinlich eine Überstunde nach der anderen?

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Das könnte man auf den ersten Blick vermuten. Wird unsere Präsenz auf der Straße erhöht, fahren deutlich mehr Streifen. Dazu kommt der organisatorische Aufwand, der mit der Pandemie einhergeht. Wir haben ein extra Team im Präsidium aufgebaut, das jeden Morgen alle Beamten in Sachen Corona auf den neuesten Stand bring: Wo liegt welche Inzidenz vor? Welche Regeln gelten aktuell im Neckar-Odenwald-Kreis, welche im Land- und Stadtkreis Heilbronn? Wo dürfen welche Geschäfte wie öffnen, gibt es Ausnahmen usw.? Vor allem am Anfang der Pandemie war vieles nicht klar. Keiner wusste, ob zum Beispiel eine Person, die wir in die JVA bringen, einen Test machen muss oder erst einmal in Quarantäne kommt. Oder Blutabnahmen bei betrunkenen Autofahrern im Krankenhaus – die gingen auch nicht so einfach wie normalerweise. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Nein, mehr Überstunden sind nicht angefallen, denn Großveranstaltungen wie etwa das Mosbacher Frühlingsfest finden ja nicht mehr statt. Auch Taschen- und Ladendiebstähle haben abgenommen, und Fortbildungen sind gerade am Anfang der Pandemie ausgefallen.

Hintergrund

> Seit Jahresbeginn wurden im Einzugsgebiet des Polizeipräsidiums Heilbronn über 4900 Verstöße gegen die Coronaregeln verzeichnet. 1188 davon brachten die Beamten zur Anzeige.

> Im April 2021

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> Seit Jahresbeginn wurden im Einzugsgebiet des Polizeipräsidiums Heilbronn über 4900 Verstöße gegen die Coronaregeln verzeichnet. 1188 davon brachten die Beamten zur Anzeige.

> Im April 2021 waren es allein 155 Anzeigen bei 868 festgestellten Verstößen. Darunter 403 Verstöße gegen die Maskenpflicht, 162 gegen die nächtliche Ausgangsbeschränkung, 157 gegen die Abstandsregeln, 16-mal wurde das Alkoholverbot missachtet und ein Betriebsverbot nicht eingehalten. Sonstige Verstöße zählte die Polizei 25, sie musste zu 97 Ansammlungen und sieben sonstigen Veranstaltungen ausrücken.

> Vor der Pandemie gab es acht Arbeitsplätze im Homeoffice und 52 mobile. Mittlerweile sind mehr als 200 Homeoffice-Arbeitsplätze realisiert.

> Rund zwei Drittel der Polizisten ist bereits geimpft. (cao)

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Also haben sich die Aufgabenfelder einfach verschoben. Warum ist die Belastung der Beamten dennoch höher?

Der Großteil der Bürger akzeptiert die Einschränkungen, die mit Corona einhergehen, und hält sich auch nach mehr als einem Jahr an die Regeln. Allerdings stellen wir fest, dass die Akzeptanz der einschränkenden Vorschriften insgesamt abnimmt. Das merken wir bei unseren Überwachungsmaßnahmen, bei denen die Kollegen teilweise mit ewig langen Diskussionen und Vorwürfen konfrontiert werden, die auch für uns neu sind: "Es gibt gar keine Pandemie, das ist alles politisch gesteuert, ihr macht euch zum Handlanger, Volksverräter" und so weiter. Und ich rede hier von den Alltagskontrollen, nicht von den sogenannten Querdenker-Demos. Dort gehören derartige Aussagen und sogar Übergriffe leider schon zur Normalität. Bei solchen Kundgebungen ist mittlerweile immer ein Anti-Konflikt-Team vor Ort, das den Demonstranten unsere Aufgabe erklärt und deeskalierend agiert.

Klappt das denn?

Mal mehr, mal weniger. Vielen geht es darum, einfach zu provozieren, ihrem Unmut Luft zu machen. Gerade in den letzten Tagen stellen wir zunehmend Verstöße gegen die Corona-Verordnung fest. Es wird versucht, die Maßnahmen zu unterlaufen; bestimmte Szenen versuchen, sich durch Verlagerungen in private Räume oder abgelegene Bereiche im Wald den Maßnahmen zu entziehen.

Wie begegnen Sie dieser Verschärfung?

Wir gehen sehr konsequent vor, ohne aber die Verhältnismäßigkeit außer Acht zu lassen. Natürlich sprechen meine Polizisten mit Kindern und Jugendlichen, die gegen die Regeln verstoßen, anders als mit aggressiven und uneinsichtigen Corona-Leugnern, die das absichtlich tun. Nach über einem Jahr Pandemie gehen wir aber davon aus, dass die Regeln bekannt sein müssten, und legen daher die Schwelle bis zur Anzeige niedriger, als es 2020 noch der Fall war. Allein letztes Wochenende haben wir 260 Verstöße festgestellt, wovon 99 zur Anzeige gebracht wurden. Wir sind dafür da, die jeweiligen Verordnungen umzusetzen, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten – notfalls auch, indem wir unser Gewaltmonopol einsetzen.

Was macht die erhöhte Konfliktbereitschaft, die Coronakrise allgemein mit Ihren Beamten?

Seit über einem Jahr sind wir in der Krise, versuchen, unseren Job so gut zu machen, wie es nur geht. Dass die Coronaregeln von einem geringen, aber lauten Teil nicht akzeptiert werden wollen, ist anstrengend und belastend, aber damit kommen wir schon klar. Wie für alle Bürger sind die Corona-Vorschriften natürlich auch für meine Beamten nicht angenehm. Im Dienstgebäude gilt genauso Maskenpflicht wie im Streifenwagen, der gemeinsame Sport fällt aus. Die Teambesprechungen mit den Kollegen, die so wichtig für das Gemeinschaftsgefühl sind, finden nur virtuell statt. Gleichzeitig sind wir permanent mit der Coronapandemie konfrontiert – bei der Arbeit und zu Hause. Wir arbeiten und leben im ländlichen Raum; die Nachbarn wissen, wenn man bei der Polizei arbeitet. Deshalb ist es mir besonders wichtig, dass sich meine Beamten auch privat an die Regeln halten und ihre Vorbildfunktion erfüllen.

Man hört ja immer wieder, dass Polizisten bei Demos mit Querdenkern sympathisieren, der rechten Szene eher zugeneigt sind als den Linken.

Meine Kolleginnen und Kollegen sympathisieren nicht mit Querdenkern, egal, mit welcher Einstellung diese an den Demonstrationen teilnehmen. Was das Thema Einstellungen betrifft: Mit fast 1400 Beamten im Polizeipräsidium bilden wir natürlich ein Spiegelbild der Gesellschaft. Da ist klar, dass unterschiedliche Ansichten zusammenkommen. Im Dienst aber vertreten wir den Staat, das Gesetz, und haben dementsprechend zu agieren. Bei den Themen Rassismus und Rechtsextremismus fahren wir eine Null-Toleranz-Politik – egal, ob sich der Kollege innerhalb oder außerhalb des Dienstes bewegt. Wir gehen jedem Verdacht konsequent nach, auch wenn es in meinen Revieren sehr selten zu solchen Fällen kommt. Ein strukturelles Rassismusproblem sehe ich bei uns deshalb nicht. Die geplante Langzeitstudie, die von der Innenministerkonferenz in Auftrag gegeben wurde, befürworte ich, weil diese insbesondere auch die Belastungssituation der Polizei mit in die Betrachtung nimmt.

Abgesehen von Corona: Welche Herausforderungen kommen in den nächsten zehn Jahren auf die Polizei zu?

Die Internetkriminalität ist ein Riesenthema. Da sind wir im Polizeipräsidium Heilbronn schon ziemlich gut aufgestellt, haben eine eigene Kriminalinspektion (Cybercrime) gegründet, in der Informatiker und Ermittler zusammenarbeiten. Wir brauchen Experten, weil die Ermittlungen im digitalen Raum sehr aufwendig sind, man sehr oft und sehr schnell mit riesigen Datenmengen zu tun hat. Ein beschlagnahmtes Handy bringt uns manchmal Hunderte neue Verdächtige. Auf der anderen Seite versuchen die Kriminellen, immer neue Technologien zu finden, um unsere Arbeit zu erschweren. Da ist es wichtig, stets auf dem neuesten Stand zu bleiben. In Heilbronn sind wir dafür zwar gut aufgestellt, mehr Mittel würde ich aber auch nicht ablehnen.

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