Gedenken an die Opfer von damals und heute
Vor dem Rathaus am Leopoldsplatz weht jetzt zwischen der Friedens- und Deutschlandflagge auch die Israelflagge.

Von Carmen Oesterreich
Eberbach. Immer mehr Menschen kommen am Abend des 9. Novembers zum Synagogenplatz. Sie wollen gemeinsam der Opfer durch und nach der Reichspogromnacht vor 85 Jahren gedenken. Zugleich möchten sie ihre Solidarität mit den Opfern des Terroranschlags der Hamas am 7. Oktober und des daraus folgenden, aufflammenden Krieges am Gazastreifen zeigen. Dazu eingeladen hatte die evangelische Kirchengemeinde, auch, um der Zivilgesellschaft zu ermöglichen, gemeinsam für Freiheit und Frieden einzutreten.
Als Pfarrer Gero Albert sie begrüßt und erklärt, dass Pfarrerin Anja Kaltenbacher und er einen Bogen schlagen möchten "vom schreienden Unrecht damals" zum verabscheuungswürdigen "Antisemitismus in unseren Tagen und unserer tiefen Sorge um die Menschen, die vom Krieg in Nahost betroffen sind", sind es rund 150 Personen, die im Kreis um die Windlichter auf dem Boden stehen.

Zur Einstimmung lauschen sie dem Spiel von Tanja Schubert auf ihrer so sehnsüchtig wie hoffnungsfroh klingenden Klarinette. Mancher singt oder summt bei dem Lied mit, das laut Albert einen Text aus dem Jüdischen Gebetbuch – das Ende des Kaddisch-Gebets – vertont. "Der Frieden gibt in den Höh’n, schaffe auch Frieden für uns alle und für ganz Israel und sprecht, und sprecht: Amen!"
Lang und interessant ist die anschließende Rede von Anja Kaltenbacher. Nach dem Hinweis auf die Eberbacher Synagoge an der Brückenstraße, die wie mehr als "1400 Synagogen, Betstuben und sonstigen Versammlungsräume jüdischer Menschen" in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 von brutalen Nationalsozialisten angezündet worden sind und niederbrannten oder demoliert wurden, taucht sie tief in die dunkle Geschichte des gesamten Landes ein.
Überall wurden – wie in Eberbach – Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe in dieser Nacht und weiteren Nächten und Tagen gestürmt und zerstört. "Ab dem 10. November folgten dann gezielte Deportationen jüdischer Menschen in die verschiedenen Konzentrationslager", fährt sie fort und erklärt, welche "unglaubliche Menschenverachtung" und welch’ "judenfeindliches Denken in der Politik schon Jahre zuvor und schleichend" zu dieser Eskalation und den grauenhaften Folgen geführt haben.
Sie versucht einzuordnen, warum es nie zu offenen Protesten kam – "nicht zuletzt, weil die Menschen Angst hatten" –, sagt, dass die "insgesamt weitaus verbreitete Haltung der Mehrheit von Gleichgültigkeit und Gier geprägt" gewesen sei.

Statt antisemitischer Hetze, Angriffen auf jüdische Einrichtungen und Schändungen von Gräbern auf Jüdischen Friedhöfen, zu denen es bis heute immer wieder in Deutschland komme, sei es jetzt ein "Zeichen einer wehrhaften Demokratie", gegen Antisemitismus einzutreten.
Auch die "islamistischen Stimmen in unserem Land, die offen Judenfeindschaft propagieren", prangert Gero Albert an, nachdem sich die Gedenkenden von der "Erinnerung" am Synagogenplatz durch die Altstadt – vorbei an den stillen Stätten einst jüdischen Lebens – zum Leopoldsplatz bewegten.
"Es ist Zeit, dass wir die terroristischen Akte vom 7. Oktober klar verurteilen, bei denen 1400 Menschen ermordet worden sind", sagt er, und: "Wir denken an die 200 Menschen, die aus Israel als Geiseln entführt wurden. Wir fühlen mit ihren Familien."
Gedacht werde auch der vielen tausend getöteten Zivilisten im Gazastreifen und der inhumanen Situation dort. Mit einer Schweigeminute schließt er seine Rede. Zum Abschluss spielt Tanja Schubert das Lied "Hevenu Shalom alejchem (Wir wünschen Frieden euch allen)". Anja Kaltenbacher spricht einen Segen.
Vor dem Rathaus wehen dabei drei Flaggen: für den Frieden, für Deutschland und für Israel. "Die Israelflagge ist heute früh bei uns eingetroffen", antwortet Bürgermeister Peter Reichert auf Nachfrage.