Johanna Wokalek überzeugt bei Polizeiruf-Debüt
Willkommen in Wokeistan. Etwas Humor sollte man mitbringen.

Von Rüdiger Busch
München. Von der Krimi-Satire zum berührenden Drama: In "Little Boxes", erlebt der Zuschauer ein Wechselbad der Gefühle und ein überraschendes Ende – mit Johanna Wokalek als neue Münchner Polizeiruf-Ermittlerin Cris Blohm. Der Tod eines wissenschaftlichen Mitarbeiters führt Blohm und Kollegen in eine mitunter herrlich überzeichnete Welt des universitären Irrsinns, in der der Kampf gegen (vermeintlichen) Rassismus und für Diversität offenbar einen höheren Wert besitzt als ein Menschenleben.
Was ist passiert? Dawoud Alrashid, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Postcolonial Studies, wurde tot aufgefunden. Auf seinem nackten Rücken steht mit Blut geschrieben "Rapist" (Vergewaltiger). Hat sich möglicherweise ein Opfer gerächt?
Worum geht es wirklich? Um große gesellschaftliche Streitthemen wie Rassismus, Diskriminierung und Genderpolitik. Es geht um eine Polizei im Spannungsfeld zwischen dem Leitfaden für sensible Sprache und der harten Realität auf der Straße. Und es geht um linke Aktivisten, die in ihrem Kampf für das Gute nicht merken, dass sie mit ihrer ausgrenzenden Art – zumindest in diesem Fall – nur Schlechtes erreichen.
Wie schlagen sich die Ermittler? Nach holprigem Start vorzüglich! Als Nachfolgerin von Bessie Eyckhoff (Verena Altenberger) präsentiert sich Cris Blohm, die gerade von einem Auslandseinsatz zurückgekehrt ist, als hartnäckige Ermittlerin, die unbeirrt ihren Weg geht. Von ihrer fast naiv-freundlichen Art sollte man sich nicht täuschen lassen. Ihr Kollege Dennis Eden (Stephan Zinner) ist vorerst zum Handlanger degradiert worden, doch er nimmt seine Rolle gut an und verleiht der Reihe zumindest etwas weiß-blaues Flair ("I moag ned in Wokeistan leb’n!"). Einen bemerkenswerten Auftritt legt Gast-Ermittler Otto Ikwuakwu (Bless Amada) hin, der es Blohm mit seiner unzugänglichen Art zunächst schwer macht, aber Zug um Zug seine Stärken einbringt und fleißig Sympathiepunkte sammelt.
Was ist die Stärke dieser Folge? Mit feinem Blick für kleinste Details und viel Humor gelingt es Drehbuchautor Stefan Weigl und Regisseur Dror Zahavi, ein brisantes Thema locker-leicht zu verpacken und für Gemeinsamkeit statt Spaltung zu werben. Köstlich, wie die Polizeipräsidentin (Christiane von Poelnitz) die Vielfaltskampagne vorstellt: "Wir sagen jetzt Tatperson und nicht mehr Täter." Berührend, wie Ex-Flüchtling Otto einer jungen Frau mit Abschiebung droht, wenn sie nicht aussagt.
Was sind die Schwächen? Die beiden Tanzeinlagen der Ermittler hätte man sich schenken können.
Und sonst? Der eingängige Titelsong "Little Boxes" stammt aus der Feder der US-amerikanischen Folksängerin Malvina Reynolds und wurde unter anderem von Pete Seeger interpretiert. Das 1962 erschienene Lied beschreibt die stereotypen Wohnverhältnisse und Lebensläufe in einer Vorstadt: Alle Häuser sehen aus wie "kleine Schachteln". Hier setzt der Polizeiruf an und stellt die Frage, ob wir nicht alle in solchen Boxen gefangen sind, mit unseren Meinungen, Haltungen und Vorurteilen.
Was kann man von diesem Polizeiruf fürs Leben lernen? "Leicht angekatert arbeitet man am besten" und "Misstraue jedem, der sich selbst nur für gut und edel hält".
Sonntag, 20.15 Uhr, lohnt es sich einzuschalten? Auf jeden Fall – etwas Humor sollte man aber schon mitbringen.