1968 startete die RNZ mit den Eberbacher Nachrichten als eigenständige Redaktion
"Wenn Ihr nicht spurt, muss der Eber raus" - Kritischer Umgang mit der Rathauspolitik

Von Rainer Hofmeyer
Eberbach. "Wenn Ihr nicht anders schreibt, muss der Eber raus": Es war eine Drohung aus dem Rathaus. Gerichtet an die Lokalredaktion der Rhein-Neckar-Zeitung, Eberbacher Nachrichten. Die Räume der örtlichen Berichterstatter waren damals noch in der Hauptstraße 20 - klein, aber fein und mit einer großen Leuchtreklame am Haus. Der Bürgermeister hatte seinen Sitz noch im Thalheim’schen Haus in der Kellereistraße, hieß Dr. Hermann Schmeißer. Sein Ratsschreiber war Georg Michaeli. Und der stieß seinerzeit die Einschüchterung mit dem Eber aus.
In der Redaktion wusste man gleich, wie die Androhung gemeint war. Der Eber, der "raus" gemusst hätte, war das Wappentier auf der Lokalseite, mit "Eberbacher Stadtnachrichten" unterschrieben. Wenn die Redaktion nicht so schreiben würde, wie es dem Rathaus gefiel, dann dürfe man das städtische Hoheitszeichen nicht mehr nutzen. Dass die rathäusliche Ansage ins Leere lief, war in der Redaktion auch klar. Denn die Devise hieß: Man kann über alles schreiben, nur stimmen muss es.
Der Eber blieb drin. Trotz weiterer Einschüchterungsversuche. Denn die Redaktion hatte Rückendeckung von Chefredaktion und Verlag.

Die Lage zwischen Rathaus und Zeitung klärte sich zu guter Letzt. Am Ende war Ratsschreiber Georg "Schorsch" Michaeli mit den Mitgliedern der Redaktion der RNZ-"Eberbacher Nachrichten" sogar "auf gut per Du". Am Montag, 26. August 1968, brachte die Rhein-Neckar-Zeitung erstmalig den Untertitel "Eberbacher Nachrichten".
Gebracht wurde ein großer Bericht über die Eröffnung des Kuckucksmarktes. In der Spalte gleich unter dem besagten Kopf mit dem Eber pries die Chefredaktion ihre Entscheidung, Eberbach mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Eine Stadt "von besonderer Bedeutung", als Mittelpunkt weit über den Kreis Heidelberg hinaus und bis in den Landkreis Mosbach hinein, bis in die hessische Nachbarschaft. Gelobt wurde Eberbachs Industrie und Geschäftswelt und seine "kulturelle Strahlkraft".
Hintergrund
Am 1. Dezember 1945 wird über zerstörte Brücke berichtet
Am 1. Dezember 1945 berichtete die kaum ein Vierteljahr alte Rhein-Neckar-Zeitung zum ersten Mal über die Kleinstadt am Neckar. Es war ein Artikel über "Die Eberbacher Brücke", und er war sogar
Am 1. Dezember 1945 wird über zerstörte Brücke berichtet
Am 1. Dezember 1945 berichtete die kaum ein Vierteljahr alte Rhein-Neckar-Zeitung zum ersten Mal über die Kleinstadt am Neckar. Es war ein Artikel über "Die Eberbacher Brücke", und er war sogar bebildert. Diese Brücke hatte neun Monate vorher, am 30. März, ein Sprengkommando der abziehenden Waffen-SS-Division "Götz von Berlichingen" in die Luft gejagt, ehe am selben Tag die Stadt kampflos den Amerikanern übergeben wurde.
Der RNZ-Bericht erschien unter der Rubrik "Heidelberg Stadt und Land". Da waren bereits drei Bruchstücke der Überquerung auf provisorische Holzgestelle gesetzt, die zusätzlich zu den originalen Pfeilern eingerammt worden waren.
Das Stammholz hatten die Eberbacher Förster im eigenen Stadtwald geschlagen und bearbeitet. Das vierte Brückenteil sollte in wenigen Tagen gehoben werden.
Beim Wiederaufbau zeigten vor allem Eberbacher Schiffer ihr handwerkliches Geschick. Sie erhielten ein Sonderlob, sogar aus berufenem Munde: Der Verfasser des Artikels, Wilhelm Künzel, war Regierungsbaumeister aus Berlin-Wannsee und offenbar selbst für die Reparatur der Eberbacher Neckarbrücke verantwortlich.
Diese Flussüberquerung war die erste entlang des ganzen Neckars, die nach einer kriegsbedingten Beschädigung wieder in Betrieb genommen worden ist. Zum Sommertagszug am 12. Mai 1946 zerschnitten die Eberbacher Stadtoberen unter Bürgermeister Kurt Nenninger bei der Wiedereröffnung der Brücke das obligatorische Band an der Wimmersbacher Seite.
Heimische Presse, mit Verlagsort Eberbach, war 1945 noch lange nicht auf dem Markt. Die Stadt hatte zwar vor dem Krieg auch eine eigene Zeitung, sogar mit Tradition aus dem 19. Jahrhundert. Die "Eberbacher Zeitung" als eigenständige Publikation war am 31. Mai 1935 auf Druck der Nationalsozialisten im "Stadt- und Landboten" aufgegangen. Doch Ende 1943 hatte der Doppeltitel "Stadt- und Landbote - Eberbacher Zeitung" sein Erscheinen eingestellt, "wegen Papiermangels".
Fünf Jahre lang erschien in Eberbach keine örtliche Zeitung. Dann startete der Stadt- und Landbote am 12. Juli 1949 an vier Wochentagen wieder eine regelmäßige Ausgabe. Seine volle Erscheinungsweise über die ganze Woche kam erst 1954.
Die "Eberbacher Zeitung" als großen Titel gab es von 1935 bis 1964 überhaupt nicht. Denn erst mit dem neuen Layout 1964 wurden Haupt- und Untertitel gedreht. Seitdem heißt das Blatt "Eberbacher Zeitung - Stadt- und Landbote". Seit November 2014 übernimmt sie nahezu identisch den RNZ-Lokalteil der Eberbacher Nachrichten.
Eberbach wurde als aufstrebende Kurstadt gleich mehrfach erwähnt. "Luftkurort mit Heilquellen-Kurbetrieb" war das höchste der Prädikate.
Der nächste Bürgermeister, Horst Schlesinger, drehte dann aber den Heilwasserhahn ab. Gleich von Anfang an wurde auf der Lokalseite neben Eberbach über seine damals noch selbstständigen Stadtteile, über die Stadt Hirschhorn, alle Gemeinden des Kleinen Odenwaldes und teilweise auch über die im "Winterhauch" berichtet.
In den ersten Wochen schickten die früheren Korrespondenten der Kreisredaktion ihre Berichte nach Heidelberg, ehe ab dem 16. September 1968 die Geschäftsstelle mit einem festangestellten Redakteur besetzt wurde.
Ab März 1969 kam ein fester freier Mitarbeiter dazu. Es gab einen festen freien Fotografen, weitere Korrespondenten, die von den Dörfern berichteten, und eine "Kulturreferentin".

"Moderner Journalismus" war angesagt. Kürzere Sätze und viele neue Wortkreationen. Nicht alles wurde tierisch ernst genommen. Das "Herr" oder das "Frau" vor dem Namen: respektlos gestrichen. Fürderhin hieß es über den Vorsitzenden des Heimatvereins "Ernst Hohn", statt "Herr Apotheker Hohn".
Und in Anlehnung an Stuttgart, die "Großstadt zwischen Wald und Reben", musste sich Eberbach das Spötteln gefallen lassen: "Klein-Stadt zwischen Wald und (Schollerbuckel-) Reben". Denn auf dem Schollerbuckel erntete man damals noch den essigsauren Heimatwein.
"Konkurrenz belebt das Geschäft", hieß die Devise in der Redaktion. Zeitweilig gab es drei Zeitungen für Eberbach: Die Rhein-Neckar-Zeitung, das Heidelberger Tageblatt und die Eberbacher Zeitung.
Ein Wettlauf um die exklusivsten Geschichten, die besten Bilder. Da kam der RNZ die Lage in der Hauptstraße gerade recht. Die war damals noch mit Autos befahren, als Einbahnstraße angelegt und führte die Polizei mit Martinshorn direkt vor dem Fenster vorbei. Auch die Feuerwehr, gleich gegenüber der Polizei stationiert, drückte vor der Redaktion auf die Hupe.
Für die Feuerwehr trug die Symbiose mit der RNZ bald Früchte. In einer groß angelegten, kritisch begründeten Kampagne machte die sich für eine Funkausstattung der Wehr stark. Heimische Banken spendeten Funk-Geräte für die Feuerwehr, das Rote Kreuz und das (damalige) Zweckverbands-Krankenhaus.
Bald gab es nicht mehr die von der RNZ zuvor genüsslich dokumentierten Irrfahrten zu Unfällen und anderen Schadensereignissen. Die Einsätze konnten per Funk gesteuert werden. Vier Bürgermeister hat die Eberbacher RNZ-Redaktion inzwischen kritisch begleitet. Der erste: Bürgermeister Dr. Schmeißer. Sein großes Anliegen in jenen Tagen wurde in der Redaktion kräftig angegangen: Der geplante Rathausbau, der den historischen Pulverturm zur Unkenntlichkeit umstellt und bis unmittelbar an die Bundesstraße geführt hätte. Auch sonst gab es Spannungen.
Als Schmeißer eines Tages ein kritischer Bericht über das Krankenhaus zu viel wurde, kam es zum Gipfeltreffen zwischen ihm, dem Heidelberger Landrat, dem Chefarzt und dem Herausgeber der Rhein-Neckar-Zeitung. Letzterer blieb jedoch ganz der Journalist der ersten Zeitungsstunde nach dem Kriege. Dr. Hermann Knorr, dem RNZ-Gründer, gefiel die Berichterstattung der kleinen Redaktion.
Die Forderung der offiziellen Kritiker, die Reporter auszutauschen, blieb unerfüllt. Und die Gescholtenen haben erst viel später zufällig von der kritischen Demarche erfahren.
An der Schnittstelle zwischen den Amtszeiten von Bürgermeister Schmeißer und seinem Nachfolger Horst Schlesinger wurden in der Region Eberbach zwei entscheidende Weichen gestellt – was aus heutiger Sicht in die falsche Richtung geführt hat. Die Eberbacher RNZ-Redaktion hatte dabei einen entscheidenden Anteil. Es ging um die anfangs der 1970er-Jahre angesetzte baden-württembergische Gemeinde- und Kreisreform. In einer der Varianten sollte Eberbach zum damaligen Kreis Mosbach geschlagen werden, mit dem MOS auf dem Autokennzeichen.

Mosbach hatte damals noch den Ruf der ländlichen Gemeinde, während sich Eberbach schon im Aufschwung seiner Bedeutung sah. Jeder Eberbacher wollte weiter mit den zwei Buchstaben HD vom Kreis Heidelberg auf dem Auto weiterfahren, statt mit den "drei Bauernbuchstaben".
Besonders an der Pro-Heidelberg-Front positionierten sich die Gemeinden aus dem Kleinen Odenwald mit Bürgermeister Hermann Münz. Die Bürgermeister vom Hohen Odenwald fühlten sich hingegen von ihrer ehemaligen kurpfälzischen Zentstadt Eberbach verraten, als man sie sang- und klanglos in den neuen Neckar-Odenwald-Kreis (NOK) abwandern ließ.
Hintergrund
Zeitenwandel im Geschäftsleben
Drastische Entwicklungen hat Eberbachs Einzelhandel in den letzten 50 Jahren erlebt. Viele Geschäfte der Innenstadt sind verschwunden. Ihre Inserate fanden sich auch in der RNZ und später den Eberbacher Nachrichten.
Zeitenwandel im Geschäftsleben
Drastische Entwicklungen hat Eberbachs Einzelhandel in den letzten 50 Jahren erlebt. Viele Geschäfte der Innenstadt sind verschwunden. Ihre Inserate fanden sich auch in der RNZ und später den Eberbacher Nachrichten.
Die folgenden Namen sind dem "Anzeigenteil" der Festschrift zur 750-Jahr-Feier 1977 entnommen:
Lederwaren-Baus, Schulstraße.
Handarbeitsgeschäft Anneliese Raab, Hauptstraße.
Linda-Moden, Bahnhofstraße.
Farben-Lichdi, Brückenstraße.
Hut-Fleiner, Bahnhofstraße.
Christine-Geschenkwaren, Bahnhofstraße.
Radio-Sauer, Kellereistraße.
Europa-Möbel Herrmann, Brückenstraße.
Drogerie Magiera, Hauptstraße.
Musikhaus Weigel, Hauptstraße.
Metzgerei Lind, Hauptstraße.
Tengelmann, Bahnhofstraße.
Modetruhe, Bahnhofstraße.
Conny-Moden, Neuer Markt.
Zoo- und Angel-Fachgeschäft Wipfler, Hauptstraße.
Papier- und Geschenkhaus Bosch, Stadtpassage.
Radio und Fernsehen Grißstede-Laule, Friedrichstraße.
Schuhhaus Rolf Karl, Bahnhofstraße. (rho)
Die aus heutiger Sicht vorteilhaftere Alternative wäre eine größere Stadt Eberbach im neuen Neckar-Odenwald-Kreis NOK gewesen, womöglich mit den Ortschaften des Hohen und des Kleinen Odenwaldes als Stadtteile. Während bei dieser Alternative nur Mosbach und Buchen neben Eberbach gestanden hätten, findet sich die kleine Stauferstadt heute im Rhein-Neckar-Kreis an elfter Stelle der Bevölkerungszahlen. Zu Schmeißers Amtszeit wurde noch das Altersheim fertiggestellt.
Unter Bürgermeister Horst Schlesinger nahm Eberbach neue Gestalt an. Die Altstadtsanierung kam in Gang, der Ausbau der Fußgängerzone, der Erhalt des Alten Badhauses, der Bau des neuen Rathauses.
Die Eberbacher RNZ hat das Festkomitee bei der Ausrichtung der 750-Jahr-Feier im Jahr 1977 journalistisch kräftig unterstützt. Auch bei der Entwicklung des damals einmaligen Altstadtfestes zum regelmäßigen "Eberbacher Frühling" hat die lokale Redaktion entscheidend mitgeschrieben.
Unter Schlesinger ging es zwar aufwärts, gleichzeitig aber dämpften die allgemeinen Entwicklungen vor allem den Einzelhandel der Stadt. Die Familiengeschäfte wurden von Discountern und Supermärkten in Eberbach-Nord abgelöst. In der Hauptstraße war die Zeitung noch handgemacht. In einem roten Holzkasten mussten die auf einer Olympia-Schreibmaschine getippten Manuskripte und die selbst entwickelten Bilder pünktlich "per Expreß" vom Bahnhof auf die Strecke nach Heidelberg zum Verlag gebracht werden. Dort holte sie ein Kurier direkt beim Bahnhofsvorsteher ab. Aktuelle Meldungen ratterten in den 1960er- und 70er-Jahren per Lochstreifen und Fernschreiber in die RNZ-Zentrale. Mit PC und Internet geht inzwischen alles anders und praktischer. Und aktueller.
Info: Rainer Hofmeyer war von 1969 bis 1977 fester Mitarbeiter in der Redaktion der Rhein-Neckar-Zeitung. Seit nunmehr zehn Jahren schreibt er wieder, vor allem stadthistorische Beiträge.