Heppenheim

Was das junge Weingut Amthor auszeichnet

Roter Riesling und Chardonnay: Keine teuren roten Bomben, sondern frische Ideen und heimische Weine aus tollen Lagen.

12.12.2021 UPDATE: 16.12.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 32 Sekunden
Foto: Gert Steinheimer

Von Johannes Hucke

Heppenheim. In den vergangenen Jahren waren Sie es gewohnt, dass wir namhafte, international hochdekorierte Weingüter zur stillen Weihnachtszeit mit Aplomb präsentierten und Ihnen 84 Euro teure rote Bomben für das Festmahl empfahlen. Was den letzten Punkt betrifft, müssen wir diesmal passen: Die kostspieligste Flasche des Weinguts Amthor ist für gerade einmal zehn Euro zu haben – und vielleicht sogar schon ausgetrunken, wenn Sie sich in die fruchtbetonte Ebene entlang der Bergstraße hinabbegeben.

Auf dass das Glas nie leer werde: Wein rund um die Uhr gibt es am Automaten. Foto: Gert Steinheimer

Wegen Weihnachten: Für uns stellt exakt dieses Weingut eines der Präsente dar, die wir uns am meisten gewünscht haben, seit wir vor gut zwölf Jahren zum ersten Mal auszogen, das Schlürfen zu lernen: heimische Weine von tollen Gütern. Damals stand alles auf der Kippe: Betagte Winzergenossen gaben auf, potenzielle Nachfolger hampelten lieber in Fitnessstudios herum als im Steilhang. Und dann? Kamen Barbara und Patrick Amthor.

2017 zogen sie zum ersten Mal Wein auf Flaschen; mittlerweile haben sie sich zu einem Vorzeigebetrieb entwickelt, so durchdacht, qualitätsbewusst und dabei außerordentlich locker gehen sie zu Werke.

Von wegen namhaft: Die Familie reagiert keineswegs pikiert, wenn man sie auf den gleichnamigen Jungpolitiker anspricht, dazu ist man hier viel zu selbstbewusst. Dafür dient eine echte Bergsträßer Innovation als Exempel: ein optisch ansprechend gestalteter Wein-Automat, der "24/7" genussfreudige Nachbarn und Radler mit Stoff versorgt. Ja doch, der Jugendschutz ist gewährleistet. Bei der Gelegenheit: Unsere Jugend verbrachten wir in Gesellschaft von Heppenheimer Stemmler-Literweinen, die wir im Frankfurter Fressgass-Brunnen kühlten – und sind auch nicht alle mit 25 in Offenbacher Entzugskliniken dahingesiecht.

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Nicht auf dem Holzweg: Winzerin Barbara Amthor prüft die Reifung in Stahlfässern. Foto: Gert Steinheimer

Genug erzählt. Trinken wir doch erst mal einen schönen Bergsträßer Chardonnay. Richtig gelesen, einen Chardonnay von der Bergstraße! Einen, der alles hat, was wir uns von der Sorte erhoffen: Typizität, Cremigkeit, aber auch Frische, Komplexität und Trinkigkeit. Und das alles ohne Holz, dafür aus dem Familienweinberg unter der Starkenburg.

Wir lassen folgen: den einzigen Roten, den die beiden zu Geisenheim Studierten derzeit von der Liste lassen. Es handelt sich um eine Cuvée aus Spätburgunder und Cabernet Sauvignon von 2020, die durch ihre frühe Trinkreife überrascht. Wie schade, dass sie nicht älter werden darf! Denn das Grundlagenmaterial ist exzellent, die Textur dicht und seidig, und die Frage liegt nahe, ob eher eine Bergsträßer Vesper mit Nibelungenschinken oder eine Rindsroulade mit Rotkraut die perfekte Begleitung wäre.

Unverzichtbar aus der Region: "Der moderne Klassiker", wie Barbara Amthor formuliert, und sie meint den Roten Riesling vom Heppenheimer Eckweg. Was wohl Axel Seibert dazu sagen würde? Seit Ende 20 ist er in Rente, der langjährige Leiter des Weinguts der Stadt Bensheim und Mentor von Barbara Amthor. Ob er als BSA-Fan (biologischer Säureabbau) mit diesem kernigen, kräftigen Gesellen gut leben kann? Wir vermuten ja: Der Rote vereint im Gegensatz zum Weißen Riesling ganz entgegengesetzte Temperamente und versteht es, die natürliche Säure gut abzurunden.

Autor Johannes Hucke im Gespräch mit dem Winzerpaar 
Patrick und Barbara Amthor. Foto: Gert Steinheimer

Wer es (noch) leichter mag, bekommt mit dem "Schmatzer" eine Profi-Schorle in die Hand. Die ist freilich steigerungsfähig … und zwar über den Secco zum Crémant Gabriele, welche augenblicklich auf sich warten lässt, wie alle Damen von Rang. Aber es lohnt sich, ganz gewiss! Kostbar wie die Sterntaler im Märchen ist der Goldmuskateller, eine leicht kapriziöse Rebsorte, deren Anpflanzung von einem Aufenthalt in Südtirol inspiriert wurde.

Das Weingut kann mit weiteren Harmonisierungen aufwarten: Die Etiketten wirken labyrinthisch-verschnörkelt, vielleicht eine Anspielung auf die Verschmelzung der beiden Heimatorte Heppenheim und Bensheim, die, historisch gesehen, nicht immer ein Herz und eine Seele waren.

Wir verabschieden uns mit einem Glas "Eins A", in diesem Jahr ein Spitzen-Riesling: Wer ihn trinkt, könnte ein exaktes geomorphologisches Modell der Bergstraße erstellen, zumindest "vom Melibokus bis zur Landesgrenze", wie Patrick Amthor die Aussicht vom Weingut gen Osten charakterisiert. Den besten Blick hat natürlich der Weinautomat, ein unübersehbares Beispiel heimischer Willkommenskultur. Unbedingt ausprobieren!


WEINGUT AMTHOR

Adresse: Bürgermeister-Kunz-Str. 101, 64646 Heppenheim

Telefon: 0177.4569512

Homepage: www.weingut-amthor.de

Seit: 2017

Lagen:Heppenheim Stemmler, Maiberg, Eckweg, Bensheimer Paulus

Rebfläche: 3,5 Hektar

Rebsorten: Weißer Riesling, Roter Riesling, Weißburgunder, Grauburgunder, Chardonnay, Goldmuskateller; Spätburgunder, Cabernet Sauvignon.

Spezialitäten: Roter Riesling, Riesling "Eins A"

Preisspanne: 6,30 – 10 €

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