Wie vier IHKs die Innenstädte der Region aus der Krise führen wollen
Das neue Leitbild "Zukunft Innenstadt" soll dabei helfen, wieder lebendige Stadtzentren zu schaffen.

Von Alexander Albrecht
Rhein-Neckar. Konkurrenz auf der grünen Wiese, verändertes Kaufverhalten, der demografische Wandel und vor allem der wachsende Online-Handel: Die Probleme der Geschäftsleute in den Innenstädten sind nicht neu – aber sie haben sich durch die Corona-Pandemie, zwei Lockdowns und monatelange Ladenschließungen noch weiter verschärft. Leerstände nehmen zu, Stammkunden gingen verloren. Bluten die Zentren aus? Mit ihrem neuen Leitbild "Zukunft Innenstadt" und einem ganzen Paket an Forderungen, Ideen und Strategien wollen die vier großen Industrie- und Handelskammern in der Metropolregion – Rhein-Neckar, Pfalz, Darmstadt, Rheinhessen – und ihre angeschlossenen Betriebe die Trendwende einleiten. Eines wird bei dem Pressegespräch allerdings deutlich: Alleine werden sie es nicht schaffen. Es braucht einen gemeinsamen Kraftakt und finanzielle Hilfen.
Wie groß der Handlungsdruck inzwischen ist, zeigen die Diagramme, die Manfred Schnabel, der Präsident der IHK Rhein-Neckar, an die Wand werfen lässt. Danach verzeichnet der Online-Markt gerade im Kerngeschäft des stationären Handels dicke Zuwächse von bis zu 40 Prozent, etwa in der Mode- und Elektrobranche. Besonders gefährdet sind laut Schnabel die Reisebüros. "Und wenn der Handel leidet, geht es auch den Gastronomen nicht gut", sagt er.
Die Vision der IHKen ist, dass sich die Innenstädte in attraktive "Erlebnisorte" und pulsierende Hotspots wandeln. Dazu sollen die Zentren grüner, einladender werden, Kinder und Familien mehr ansprechen. Platz für Kultur, Freizeit und Events bieten. Kurz: die Aufenthaltsqualität dort steigern, wo die früheren Anziehungspunkte wie Geschäfte und Gastronomiebetriebe an Bedeutung verloren haben.
Damit das gelingt und der ganzheitliche Ansatz des Leitbilds Erfolg hat, sollen sich viele Akteure der Stadtgesellschaft an einen Tisch setzen. Allen voran die Politik, von der sich IHK-Pfalz-Präsident Albrecht Hornbach bessere Rahmenbedingungen wünscht. "Wir brauchen mehr Offenheit, mehr Kreativität – weniger Fesseln, Bürokratie und Überregulierung", gibt er die Richtung vor. Bislang haben Händler und die Politik offenbar ein Kommunikationsproblem. "Das sind manchmal zwei Welten", sagt Axel Nitschke, Hauptgeschäftsführer der IHK Rhein-Neckar. "Unsere Interessen werden häufig nicht gehört", ergänzt Schnabel.
Auch interessant
Wobei es durchaus rühmliche Ansätze gibt: So haben die Kommunen recht zügig und unbürokratisch die Außenbewirtschaftung von Lokalen und Restaurants ermöglicht. Solche Beispiele sollen Schule machen. Auch die baden-württembergische Landespolitik hat den Ernst der Lage erkannt. Das Wirtschaftsministerium fördert unter anderem die IHK Rhein-Neckar mit 200.000 Euro zur Einstellung von Innenstadtberatern. Eingesetzt werden sollen sie nicht in Großstädten wie Heidelberg oder Mannheim, wo bereits professionelle City-Manager am Werk sind, sondern in den Mittelzentren des Rhein-Neckar- und Neckar-Odenwald-Kreises.
"Am Ende werden die Berater die Innenstädte nicht retten können, dann zählen die harten Fakten", meint Nitschke. Er verweist auf die Kosten der Betriebe, die selbst mit staatlicher Unterstützung nicht mehr reinzuholen sind. "Innenstadtwirtschaft wird nur funktionieren, wenn sie auch wirtschaftlich ist", betont Nitschke und verlangt gleiche Wettbewerbsbedingungen für den Online- und stationären Handel.
Auf Ablehnung stoßen bei den Kammer-Vertretern Ideen, wonach die Einzelhändler ihre Geschäfte stärker ins Netz verlagern sollen und in der City nur noch "Showrooms" zum Präsentieren ihrer Ware betreiben. "Waren müssen bewegt werden", weiß Schnabel. Der Politik jedoch seien Logistikstandorte ein Graus.
Den Verkehrsversuch der Stadt Mannheim, ab Ende August neuralgische Punkte der Innenstadt in der Fressgasse und Kunststraße ein Jahr lang zu sperren und den Durchgangsverkehr zu reduzieren, tragen die IHKen dagegen mit. Sollten die Maßnahmen wegen anderer Baustellen allerdings zu einem Chaos und dazu führen, dass das Zentrum nicht mehr erreichbar ist, müsse das "Experiment" sofort abgebrochen werden, stellt Schnabel klar.
Tim Wiedemann, Geschäftsführer des Dienstleistungszentrums der IHK Rheinhessen in Worms, fordert in diesem Zusammenhang, dass ein Parkplatzangebot in den Stadtmitten erhalten bleibt, der Zulieferverkehr nicht behindert und die autoarme City gemeinsam mit dem öffentlichen Nahverkehr und Radwegen gedacht wird. Er macht sich darüber hinaus für Hilfsprogramme stark, die kleine und mittlere Betriebe beim Anschieben neuer Projekte unterstützen sollen.
In die Pflicht nehmen wollen Wirtschaftsvertreter zudem die Eigentümer von Gewerbeimmobilien, die oft auswärts und nicht am Standort lebten. Im Leitbild unterstützen die Kammern den baden-württembergischen Städtetag, der ein kommunales Vorkaufsrecht in den Zentren etablieren will, um den Stadtbau "selbstbestimmt" vorantreiben zu können. Tatjana Steinbrenner, Vizepräsidentin der IHK Darmstadt, bringt ein Modell aus Bremen ins Spiel, wo Leerstände mit provisorischen Ladengeschäften ("Pop-up-Stores") erfolgreich überbrückt werden.