Seelsorge wird immer wichtiger
Das Feuerwehr-Seelsorge-Team wurde im vergangenen Jahr zu über 180 Einsätzen gerufen - "Früher hat die Feuerwehr den Pfarrer geholt"

Von Sabine Hebbelmann
Rhein-Neckar. Laut Jahresbericht 2019 war das Feuerwehr-Seelsorge-Team FST des Kreisfeuerwehrverbands Rhein-Neckar-Kreis im Jahr 2019 in so vielen Notfällen im Einsatz wie bisher nur einmal in seiner über 20-jährigen Geschichte. Zu insgesamt 181 Einsätzen wurden die 35 ehrenamtlichen Mitglieder im vergangenen Jahr alarmiert.
Insgesamt 800 Menschen konnte der Verein im Rahmen der Psychosozialen Notfallversorgung Hilfe und Unterstützung bieten. Unter den betreuten Personen befanden sich 242 Einsatzkräfte. Für die Bürger des Rhein-Neckar-Kreises und der Stadt Heidelberg leistete das FST insgesamt 1147 Stunden ehrenamtliche Arbeit im Rahmen der Psychosozialen Notfallversorgung PSNV.
"Früher hat die Feuerwehr den Pfarrer geholt", erläutert Wolf-Dieter Wöffler. Als koordinierender Notfallseelsorger der katholischen Kirche geht er ein auf das, was hinter den Zahlen steckt. "Die Einsatzkräfte erleben schreckliche Situationen, sie brauchen Jemanden, der sich um sie kümmert", sagt der Pastoralreferent der Seelsorgeeinheit Weinheim-Hirschberg. Der Anstieg der Zahlen gehe vor allem auf das Konto der häuslichen Einsätze, etwa bei plötzlichen Todesfällen. "Wir gehen mit, wenn die Polizei die Todesnachricht überbringt und bleiben, sofern gewünscht, zur Betreuung da. Die Blaulichtorganisationen kennen das Angebot und nehmen es gern in Anspruch", berichtet Wöffler. Es gebe aber auch eine signifikante Zunahme an Einsätzen, die so nicht unbedingt nötig wären, stellt er fest. Als Beispiel nennt er den Notarzt, der die Notfallseelsorge ruft, wenn die 90-jährige Oma verstirbt, dann wegfährt und die Angehörigen sich wundern, wenn plötzlich ein Seelsorger vor der Tür steht. "So sollte es nicht sein", betont er. In einer Schulung lernten die Mitarbeiter der Rettungsleitstelle, die jeweilige Lage daher besser einzuschätzen. Sie klären mit dem Notarzt telefonisch die Situation ab und übernehmen die Koordinierung mit dem 24-Stunden-Hintergrunddienst des FST.
Die Einsatzzahlen könnten dieses Jahr auch wieder sinken, denn aufgrund der Corona-Krise waren – beziehungsweise sind – häusliche Einsätze im Rhein-Neckar-Kreis momentan ausgesetzt. Das betrifft neben der Notfallseelsorge auch die "Helfer vor Ort", die den Rettungsdienst unterstützen.
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Zu den Herausforderungen des Jahres 2019 zählt Wöffler den schlimmen Unfall im Bahnhof Weinheim, bei dem ein 15-Jähriger von einem Güterzug erfasst und getötet wurde. Die Freundin war dabei, sie und der Lokführer mussten betreut werden, während der Zug noch besetzt war und Leute auf dem Gleis standen. Als "ein intensives Miteinander der eingesetzten Kräfte" erlebte er die Suche nach einem Vermissten am Neckar, die sich über drei Tage hinzog. Die Familie des Vermissten war auch vor Ort. "Das zu vermitteln und auszuhalten war schwer, es gab Zeiten des Gesprächs, des Schweigens und des Gebets", erinnert er sich. Bei einem schweren Verkehrsunfall in Weinheim mussten aus zwei Autos Schwerverletzte technisch befreit werden. "Es waren viele Verwandte dabei, wir mussten uns um die Leute kümmern."
Die Notfallseelsorge entstand als Kooperation von Feuerwehr und Kirche, in Baden-Württemberg gibt es sie in fast allen Landkreisen. Die "Stunde Null der Notfallseelsorge" im Rhein-Neckar-Kreis sei im Jahr 1999 ein schwerer Verkehrsunfall auf der A 6 bei Sinsheim gewesen, bei dem ein Taxi unter einen Lkw geriet. Damals war die Frage: Wer kümmert sich um die Feuerwehrleute?
Der Einsatzleiter war damals zufällig ein Mann der Kirche – Prädikant Eike Dörzbach. Er brachte die Kooperation zwischen Freiwilliger Feuerwehr und Kirche auf den Weg. Bei späteren Einsätzen hat sich das Team – mindestens zwei gehen zusammen in einen Einsatz – dann nicht nur um die Feuerwehrleute gekümmert, sondern auch um die Betroffenen und die Angehörigen. Besonders berührt hat Wöffler die Silvesternacht 2018, als Reinhold Albrecht, ehemaliger Stadtbrandmeister in Weinheim, mit nur 60 Jahren plötzlich starb. Albrecht hatte ihn in die Feuerwehr eingeführt, seine Frau war Mitarbeiterin im Team. Da musste er lernen, mit der ganz eigenen Betroffenheit umzugehen.