Von Feuerwalze überrollt worden
Zeugen schilderten dramatischen Einsatz

Feuerwehrleute und ein BASF-Mitarbeiter berichteten von ihren Verbrennungen, die sie bei der Explosion im Nordhafen erlitten. Foto: dpa
Von Alexander Albrecht
Frankenthal. Kaum eine Nacht vergeht, in der er nicht aus dem Schlaf gerissen wird. Dann schmerzt der geschundene Körper. Oder die Seele. "Ich bin extrem nervös, wache immer wieder auf", sagt der Mann im Frankenthaler Landgericht. Tapfer erzählt der 55-Jährige am Mittwochmorgen, wie sein Leben seit dem schweren Unglück bei der BASF aussieht. Nach schlimmen Verbrennungen an Händen, Kopf und Rücken, wochenlangen Klinikaufenthalten, sechs Operationen und mehreren Hauttransplantationen. Medizinische und therapeutische Behandlungen bestimmen seinen Wochenablauf.
Ob er glaube, jemals wieder arbeiten zu können, fragt ihn der Vorsitzende Richter Uwe Gau. "Ich weiß es nicht", antwortet der Zeuge. 1988 ist er in die Werkfeuerwehr der BASF eingetreten. Jahrzehntelang ist alles gut gegangen. Und auch am schicksalhaften 16. Oktober 2016 sieht es nach Routine aus, als der Mann ein großes Feuerwehrfahrzeug mit einem Lösch- und Angriffstrupp an Bord von einer der drei Wachen des Konzerns aus zu einem Brand im Landeshafen Nord steuert.
"Absperren, kühlen, Feuer ausmachen, fertig", so beschreibt er seine damaligen Erwartungen. "Brand im Rohrleitungsgraben", viel mehr Infos bekommt der Feuerwehrmann nicht. Ob die vier Führungskräfte der Wehr mehr erfahren haben, bleibt wahrscheinlich unklar. Zwei kommen bei dem Einsatz ums Leben, zwei andere erliegen im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen.
"Ich hatte keine Ahnung über die Leitungen und was aus ihnen herausströmen konnte", sagt deren Kollege. Dabei ist feuerwehrintern der Ernst der Lage schnell klar. Der Einsatz läuft unter "Vollalarm". Da fahre alles raus, was man zu bieten habe, berichtet der Zeuge. Der Zweiachser trifft nach dem VW-Bus eines Kameraden und dicht gefolgt von einem Materialwagen im Nordhafen ein. Der Fahrer wechselt die Rolle und kümmert sich als Maschinist um die Löschpumpe. "Ich habe ein Flämmchen gesehen, vielleicht vier bis fünf Meter hoch", erinnert er sich.
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Als die Mannschaft gerade dabei ist, den Wasserwerfer aufzubauen, schreit der Truppführer plötzlich: "Raus! Sofort raus!" Der Zeuge kann sich noch an einen 20 bis 30 Meter hohen Feuerball entsinnen, dass er in den "rückwärtigen Raum" gerannt und ihm "ganz anders" geworden sei. Kameraden ziehen ihm den Dienst-Overall aus und übergeben den Mann dem Rettungsdienst. Vor einiger Zeit hat er die Kollegen in der Feuerwache Nord besucht. "Doch ich habe es nicht lange ausgehalten."
Wesentlich besser verkraftet hat die Katastrophe ein Feuerwehrmann, der sich damals ebenfalls schwere Verletzungen zugezogen hatte und eine Woche lang im Koma lag. Der 36-Jährige will sogar an seinen alten Arbeitsplatz zurückkehren - wenngleich nicht mehr im Brandschutz, sondern in der Gefahrenabwehrplanung. Am Unglückstag sitzt er bei dem 55-jährigen Maschinisten im Fahrzeug und verstärkt den Angriffstrupp. Schon während der Fahrt streift er sich einen 25 Kilo schweren Rucksack mit Atemschutzgerät über.
Nach dem Eintreffen hilft er dabei, Schläuche zum Wasserwerfer zu verlegen, und kümmert sich um den Verteiler. "Mein Vorgesetzter warnte mich noch, doch fünf bis sechs Sekunden später bin ich von einer Feuerwalze überrollt worden, zweimal zu Boden gestürzt und durch die massive Druckwelle schließlich ins Hafenbecken gefallen", sagt der gelernte Schlosser aus. Auch sein Chef landet im Wasser. Beide bemerken, "wie Hautfetzen an unseren Händen herunterhingen", schaffen es trotz höllischer Schmerzen aber, ihre Rucksäcke abzuwerfen, ans Kai zu schwimmen und sich dort entlang zu hangeln, bis sie von einem Rettungsboot geborgen werden.
"An der Sammelstelle habe ich bemerkt, wie mein Auge zuschwillt", sagt der 36-Jährige, Ärzte rekonstruieren später mit sogenannter Spalthaut sein Unterlid. Es gehe ihm relativ gut, meint der Feuerwehrmann. Nur manchmal frage er sich, warum es andere so schwer getroffen habe. Denn während sein Leben gerettet werden kann, stirbt sein Vorgesetzter wenige Tage später. Zur Aufklärung der großen Frage in dem Prozess gegen einen Leiharbeiter, der mit einem fatalen Schnitt an einer mit leicht entzündlichem Gas gefüllten Leitung Brände und Explosionen ausgelöst hat, können beide befragten Feuerwehrleute nur wenig beitragen. Hat die BASF die Pipelines in dem Rohrgraben angemessen markiert?
Zwar habe er im Vorfeld des Unglücks Schilder mit Produktnamen und Leitungen mit farblich gekennzeichneten Ringen gesehen, sagt der Jüngere. Doch sei der Wasserwerfer rund 60 Meter vom Explosionsort entfernt aufgebaut worden, zudem habe er die Hierarchien eingehalten. "Man verlässt sich stark auf den Vorgesetzten und macht das, was man gesagt bekommt", so der 36-Jährige. Der Zugführer der Wehr wird vor Ort vom stellvertretenden Schichtleiter des "Leitstands" der BASF im Hafen eingewiesen. Der Chemiefacharbeiter meldet: "Keine verletzten Personen, keine ausgetretenen Gase." Woher er das weiß, bleibt am Mittwoch unklar. Und obwohl er eigentlich nichts mit dem Rohrgraben zu tun hat, sondern Warenein- und -ausgänge der Schiffe betreut, kommt ihm vor der Katastrophe die Aufgabe zu, als zweiter Unternehmensmitarbeiter die täglich anfallende Verlängerung des "Feuerscheins" für die Firma des angeklagten Leiharbeiters zu unterschreiben.
Das Dokument regelt, dass an der Arbeitsstelle Feuerlöscher, Wasser für das Kühlen der Rohre oder Brandschutzdecken vorhanden sein müssen. Der 56-Jährige räumt am Mittwoch ein, das Papier ohne Vor-Ort-Prüfung unterschrieben zu haben und dem Erstunterzeichner, der ihm vorgesetzte Tagesschichtmeister, vertraut zu haben. Der 56-Jährige, dessen Körper bei dem Unglück vom Schulterblatt abwärts zu fast einem Drittel verbrannt ist, berichtet auch, dass die BASF bei der Kennzeichnung der Rohre deutlich nachgelegt habe. So klebten inzwischen auf allen Leitungen mehrere Zettel in Form eines Reißverschlusses, die signalisierten, wo Schweißer die Flex ansetzen dürfen.