Prozess nach BASF-Unglück

Arbeiter sollte warten und setzte die Flex an

Der Prozess um das schwere Unglück bei der BASF im Oktober 2016 begann

05.02.2019 UPDATE: 06.02.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 42 Sekunden
Bei und nach der Explosion Mitte Oktober 2016 im Nordhafen starben fünf Menschen, 44 weitere wurden verletzt. Die Löscharbeiten dauerten bis in die tiefe Nacht hinein. Foto: Anspach

Von Alexander Albrecht

Frankenthal/Ludwigshafen. Als über ein Dutzend Kameras am Dienstagmorgen die noch leere Anklagebank im Saal 20 des Frankenthaler Landgerichts fixieren, ziehen drei schwer gezeichnete Männer und eine Frau leise an der Medienmeute vorbei und stellen sich mit dem Rücken zu den Fotografen hinter ihren Anwalt. Ihre unausgesprochene Botschaft: Lasst uns in Ruhe, es ist hart genug, heute hier zu sein. Die Werkfeuerwehrmänner sind bei der BASF-Explosion im Spätherbst 2016 erheblich verletzt worden, ihre Gesichter zeugen von schlimmen Verbrennungen. Die Frau ist Witwe, ihr Gatte war ein Kollege der drei Brandschützer.

Andrija K. hat ebenfalls viel durchgemacht. Der 63-jährige Angeklagte hat die Katastrophe mit fünf Toten und 44 Verletzten vermutlich durch einen Blackout verursacht. Seine Psyche leidet, weshalb er arbeitsunfähig ist, möglicherweise für immer. Körperlich sind Narben von Verbrennungen zweiten und dritten Grades zurückgeblieben. "Ein recht dramatisches Überwachungsvideo zeigt, wie sich der Angeklagte quasi selbst in Brand setzt", erzählt ein Gerichtssprecher. Lediglich das Klicken der Kameras durchbricht die Stille, als der aus Bosnien stammende Mannheimer mit gesenktem Haupt Saal 20 des Landgerichts betritt. Völlig unscheinbar wirkt der untersetzte Brillenträger mit der Halbglatze und dem schwarzen Pulli.

Der Vorsitzende Richter Uwe Gau bittet kurz nach 9.30 Uhr die Kamerateams hinaus und eröffnet die Hauptverhandlung. Es bleiben fast genauso viele Journalisten wie interessierte Beobachter im Raum, einige Plätze sind leer. Behutsam wendet sich Gau den Prozessbeteiligten zu. "Wir wissen, dass das heute ein schwerer Gang für Sie alle ist", sagt er in Richtung des Angeklagten, der Opfer und Hinterbliebenen.

Andrija K., dem ein Dolmetscher zur Seite steht, gibt nur wenige persönliche Daten zu Protokoll. "Ich möchte etwas zu den Vorwürfen sagen, aber erst, wenn sich die Zeugen geäußert haben", lässt der 63-Jährige die 3. Strafkammer wissen. Zwei der schwer verletzten BASF-Feuerwehrmänner wollen am heutigen Mittwochvormittag aussagen. Der Dritte bittet darum, ihn von der Befragung und als Zeuge zu entbinden, stattdessen sein Vernehmungsprotokoll bei der Kriminalpolizei vorzulesen. Niemand hat etwas dagegen.

Auch interessant
Anklage nach BASF-Unglück: Angeklagter kann auf Bewährungsstrafe hoffen
BASF Ludwigshafen: Sicherheitsstandards wurden nach der Gasexplosion noch einmal erhöht
BASF-Unglück: Die BASF will Vertrauen zurückgewinnen
Explosion bei BASF: Gericht wird tödliches Unglück aufarbeiten
Anklage nach BASF-Unglück: Rohrbauer hat keine Erinnerung mehr

Auch Oberstaatsanwalt Dieter Zehe nicht, der anschließend die Anklageschrift verliest. Danach war der Angeklagte von einem Lampertheimer Unternehmen an eine Spezialfirma für Rohrleitungsbau im pfälzischen Bobenheim-Roxheim "ausgeliehen" worden. Als Mitglied eines Arbeitstrupps sollte Andrija K. im Landeshafen Nord der BASF ein gesichertes und entleertes Propylenrohr mit einem Durchmesser von 20 Zentimetern instandsetzen.

Drei Tage lief in dem Rohrleitungsgraben alles nach Plan, am Vormittag des 17. Oktober 2016 passierte es: Der Arbeiter hatte bereits einen Teil der Propylenleitung mit einem Trennschleifer abgeflext. Nun musste er auf einen Kran warten. Dieser sollte die Rohrleitungsbrücke stützen, sodass auch die andere Seite des Propylenrohrs abgetrennt werden konnte. "Aus nicht nachvollziehbaren Gründen führte der Angeklagte aber seine Arbeit fort", führt Zehe aus.

Statt an der Propylen- setzte Andrija K. gegen 11.20 Uhr die Flex seitlich und in "3-Uhr-Position" an einer Leitung mit leicht entzündlichem Gasabfallgemisch aus Buten an. Ein kleiner Schnitt mit verheerender Wirkung. Funken des Winkelschleifers entzündeten das mit hohem Druck austretende Gasgemisch, fatalerweise fing auch eine Ethylenfernleitung Feuer. "Diese platzte wegen der starken Hitze auf, wodurch es zu einer ersten Explosion kam", trägt der Staatsanwalt vor. Weitere folgten.

Schließlich wurde die Ethylenleitung infolge der ersten Explosion vollends aus ihrer Verankerung gerissen, während eine große Menge hochentzündlichen Gases ausströmte. Die Leitung prallte unter hohem Druck gegen ein kurz vorher eingetroffenes Feuerwehrfahrzeug der BASF. Das austretende Gas entzündete sich höchstwahrscheinlich am Turbolader und entfachte die nächste heftige Explosion. Als sich die über dem Fahrzeug und dem Rohrleitungsgraben wabernden Gaswolken mischten, knallte es erneut. Zwei Wehrleute starben direkt vor Ort, zwei weitere Kameraden später im Krankenhaus. Ums Leben kam auch der Matrose eines Tankmotorschiffs, der beim Löschen der Brände helfen wollte. Den Gesamtschaden beziffert die BASF auf rund 500 Millionen Euro.

Zehe hat Andrija K. wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung sowie wegen fahrlässigen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion angeklagt. Dem Arbeiter wirft der Staatsanwalt vor, er hätte "bei Beachtung der erforderlichen Vorschriften und der ihm zumutbaren Sorgfalt" erkennen müssen, dass er seinen Trennschleifer an einer nicht gesicherten Rohrleitung ansetzt. Zweifel an diesem Schluss meldet Anwalt Alexander Klein an, der bei dem Prozess die Eltern eines getöteten Feuerwehrmanns vertritt. "Bestmögliche Vorkehrungen, um eine Verwechslung der Leitungen auszuschließen, waren nicht vorhanden", kritisiert er die BASF. Nach Aktenlage müsse man zumindest von einem "moralischen Mitverschulden" des Konzerns ausgehen.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.