Bahn legt erste Linienkorridore fest - und gleich gibt es Streit
In St. Leon-Rot ist man über die Trassenführung entsetzt. Oftersheim hingegen fordert einen Tunnel.

Von Alexander Albrecht
Rhein-Neckar. Die Neubaustrecke Mannheim-Karlsruhe nimmt an Fahrt auf. Während die Bahn die Planungen verfeinert, kommt in betroffenen Kommunen bereits Kritik auf. St. Leon-Rot lehnt eine mögliche Trassenführung durch die Doppelgemeinde ab, Oftersheim fordert einen Tunnel.
Warum braucht es eine neue Strecke? Das Schienennetz zählt zu den wichtigsten Bahnverbindungen in Europa. Der Abschnitt ist eingebunden in die Ferntrasse von Rotterdam nach Genua, stößt jedoch an seine Kapazitätsgrenzen. Damit der Wirtschaftsraum attraktiv bleibt, muss diese Lücke geschlossen werden. Es geht also weniger darum, die beiden Städte miteinander zu verbinden. Gesucht wird eine Trasse für zwei Bahngleise.
Wo soll die Trasse verlaufen? Das ist die große Frage. Tatsächlich wird es noch einige Jahre dauern, bis der genaue Trassenverlauf feststeht. Klar sind bislang nur die Endpunkte, in Mannheim unter anderem der Rangier- und in Karlsruhe zum Beispiel der Güterbahnhof.
Welche Varianten spielt die Bahn durch? Der Konzern hat zu Beginn einen riesigen Suchraum fixiert. Dieser erstreckte sich östlich vom Kraichgau bis westlich in den Pfälzerwald. Inzwischen ist der Suchraum etwas schlanker geworden und hat die Bahn sogenannte ein Kilometer breite Linienkorridore ins Auge gefasst, die sich zwischen Mannheim und Karlsruhe schlängeln. Der zum Rhein-Neckar-Kreis zählende Teil des Kraichgaus ist praktisch aus dem Rennen. "Wir sind von der Pizza jetzt bei den Spaghetti gelandet", wählte Projektleiter Stefan Geweke von der DB Netze AG bei einem Pressegespräch ein Bild aus der italienischen Küche. Oder anders formuliert: Die Planer arbeiten sich langsam vom Groben zum Feinen vor. "Die Linienkorridore sind aber noch keine konkreten Trassen", sagte Geweke.
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Wie wäre die Region betroffen? Zunächst hat die Bahn einen groben Korridor über Heidelberg, Bruchsal und bis nach Karlsruhe ausgeschlossen. In dem eng besiedelten Raum sei es nicht möglich, eine zweigleisige Strecke zu bauen, erklärte Projektleiter Geweke. Dafür kommen die Bereiche Schwetzingen/Hockenheim, Wiesloch/Walldorf und rund um Heidelberg ins Spiel. So führt ein möglicher Abschnitt östlich von Plankstadt und westlich Eppelheims weiter am Heidelberger Patrick und Sandhausen entlang der A 5 mitten durch St. Leon-Rot oder dicht an den beiden Teilorten vorbei. Eine andere Route durchquert Schwetzingen und Oftersheim und passiert das jetzt schon von Bahnlärm stark belastete Hockenheim. Geprüft werden zudem Anknüpfungen an Bestandsstrecken. Und es steht noch eine weitere Forderung im Raum, die ebenfalls analysiert werden soll: den Suchraum um Lampertheim, das Viernheimer-Dreieck, Heddesheim und Schriesheim zu erweitern mit einer möglichen Neckarquerung westlich der A 5-Brücke (Schwabenheimer Schleuse).
Wie will die Bahn die Anwohner vor Lärm und die Natur vor starken Eingriffen und Flächenfraß schützen? Die schlechte Nachricht: Die DB Netze favorisieren grundsätzlich oberirdische Lösungen. "Wenn wir dann aber mit zwei Gleisen nicht durchkommen, sind auch Tunnel möglich", sagte Geweke. Dafür kommen je nach Streckenführung aktuell folgende Bereiche in Frage: Stadtgebiete Mannheim (mit Anbindung an den Rangierbahnhof) und Karlsruhe, die Rheinquerung zwischen Mannheim/Ludwigshafen und Wörth/Karlsruhe (falls die Neubaustrecke links des Flusses verläuft), nördlich von Brühl und im Fall einer "Durchbindung" bei Schwetzingen und St. Leon-Rot.
Gibt es schon Reaktionen aus den Kommunen? Ja. Eine klare Mehrheit sprach sich zuletzt im Oftersheimer Gemeinderat für einen Tunnel aus, sollten die Züge durch die Gemeinde rollen. Mit völligem Unverständnis reagierte der Rat in St. Leon-Rot auf die Pläne. Stellvertretend fragte sich Bürgermeister Alexander Eger, warum der St. Leoner See in den bei der Sitzung von Geweke präsentierten Grafiken und Plänen der Bahn überhaupt nicht auftauche: Was sei da geplant? Müsse eine "Erholungsanlage von überregionaler Bedeutung" den Gleisen weichen? Sie habe Siedlungscharakter, so Eger, schließlich gebe es dort fast 1000 Campingplätze, Miethäuser und mehr. Der Projektleiter sagte in einem Pressegespräch, die Planungen seien in einem solch frühen Stadium, dass man noch gar nicht vor Ort gewesen sei.
Was ist bei den Planungen zu beachten? Die Bahn muss "Raumwiderstände" ins Auge fassen, die in unterschiedliche Klassen eingeteilt sind. So sind etwa Biosphärengebiete oder Unesco-Weltkulturerben tabu. In der zweithöchsten Widerstandsklasse sind unter anderem Natur- und Waldschutzgebiete, in der dritten Biotope sowie Sport- und Freizeiteinrichtungen zu beachten. "In die dritte Klasse wollen wir eigentlich auch nicht ran", sagte Geweke. Das Problem: Es wimmelt am Oberrhein geradezu an dicht besiedelten und schutzwürdigen Gebieten. "Solche Großprojekte sind extrem schwierig durchzusetzen", so Geweke. Und auch in diesem Fall würden am Ende sicher nicht alle glücklich sein.
Wie geht es weiter? Da noch unklar ist, ob die Strecke durch Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz verläuft, nimmt die Bahn in der nächsten Woche bei Antragskonferenzen des Regierungspräsidiums Karlsruhe (RP) sowie der Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Süd in Neustadt an der Weinstraße Stellungnahmen entgegen. Ziel ist es laut Geweke, dass 2023 das RP oder der SGD Süd ein Raumordnungsverfahren einleitet, das rund ein Jahr in Anspruch nehmen wird. Es folgen aufwändige Prüf- und das Planfeststellungsverfahren beim Eisenbahnbundesamt. Geweke geht davon aus, dass die Strecke nicht vor 2033 gebaut wird.