"Glück im Unglück: Mannheim entging einer Katastrophe
Vier Schwer- und zehn Leichtverletzte bei Zugkollision nahe des Hauptbahnhofs - Einsatzkräfte arbeiteten vorbildlich zusammen

Mannheim. Der Mannheimer Hauptbahnhof, Freitag, kurz vor Mitternacht. Harald Geppert holt erstmal tief Luft und nippt an einem Dosenbier. Dann lässt er die letzten Stunden Revue passieren. Der 61-Jährige hat mit seiner Frau und dem neun Jahre alten Enkel tagsüber das "Legoland" in Günzburg besucht. "Schön war es", sagt Geppert. Die Hinfahrt verläuft ohne Probleme. Die Rückreise ebenso. Bis Mannheim.
Kurz vor dem Hauptbahnhof rammt ein Güterzug den Eurocity mit Geppert, seinen beiden Angehörigen und insgesamt 250 Passagieren an Bord. "Ich habe den Zusammenstoß zuerst gar nicht wahrgenommen", erzählt der Trierer. Erst als der Waggon in Schieflage geraten sei, "habe ich gemerkt, dass da etwas passiert sein musste". Schließlich kippt der Wagen um. Eine Panik sei nicht ausgebrochen, berichtet Geppert. Und es habe auch kein Geschrei gegeben. "Alle waren starr vor Schreck."
Geppert robbt sich an die hinter ihm sitzenden Angehörigen heran. "Alles okay, beide wohlauf", stellt er erleichtert fest. Dass Frau und Enkel nach der späteren Befreiung durch die Feuerwehr in eine Klinik gebracht werden, ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Spuren hat der Unfall dennoch hinterlassen. "Mein Enkel hat sofort gesagt, dass er nicht mehr Zug fahren will", erzählt Geppert noch und wartet weiter auf seinen Sohn, der mit dem Auto aus Trier kommen und die drei nach Hause bringen will.
An der Unglücksstelle steht Christian Specht. Ein zartes Lächeln huscht über sein Gesicht. "Wir haben Glück im Unglück gehabt", sagt Mannheims Erster Bürgermeister. Diesen Satz wird man noch öfter hören. Tatsächlich sind die Fahrgäste des Eurocity Schnellzugs 216 Graz-Saarbrücken nur knapp einer Katastrophe entgangen. Wegen der Nähe zum Bahnhof fahren der EC und der Güterzug mit stark gedrosselter Geschwindigkeit, als sich der Unfall ereignet.
Gegen 21.45 Uhr rammen einige auf dem Güterzug befestigte Container den Eurocity. Insgesamt entgleisen fünf Personenwagen, zwei davon mit insgesamt 110 Insassen stürzen ins Gleisbett. "35 Personen sind ärztlich betreut worden. Zehn Menschen haben sich leichte und vier schwere Verletzungen zugezogen. Lebensgefahr besteht bei niemandem", bilanziert tags drauf Eckart Fricke, Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn für Baden-Württemberg.
Neben den Personenwagen kippen auch einige Container des Güterzugs um, der Lokführer muss unter Schock ins Krankenhaus eingeliefert werden. Der Zug war auf dem Weg von Duisburg in das ungarische Sopron und hatte zwei Gefahrgut-Container mit Chemikalien transportiert, die nach Angaben Frickes bei dem Unfall aber nicht in Mitleidenschaft gezogen wurden. "Es sind keine gefährlichen Stoffe ausgetreten", sagt der Konzernbevollmächtigte. Dem Fahrer des Eurocity gehe es den Umständen entsprechend gut. Über die Höhe des Schadens könnten noch keine Angaben gemacht werden, so Fricke. Klar sei bisher nur, dass neben den Zügen auch die Gleise sowie ein Teil der Oberleitung und Signalanlagen stark beschädigt seien.
Das Ausmaß des Unglücks kann die Feuerwehr nicht ahnen, als sie am Freitagabend um 21.54 alarmiert wird. Sieben Minuten später trifft sie am Einsatzort ein. Das Fahrwerk eines EC-Waggons ist komplett zerstört, Räder und Achsen sind abá getrennt. Die entá gleiste Güterzug-Lok der Österreichischen Bundesbahnen hat sich vor einen Kieshaufen aufgeschoben.
Die Feuerwehrleute erspähen aber auch einige Fahrgäste, die selbstständig aus dem Wrack gestiegen sind. "Die meisten haben unter Schock gestanden und sind auf den Gleisen benommen umhergeirrt", sagt Einsatzleiter Simon Berger. Mit Hilfe von hydraulischem Gerät verschaffen sich seine Kollegen über die Verbindungstüren am Ende der Wagen Zugang zu den beiden umgekippten Waggons. "Es war wahnsinnig eng, das kann man sich kaum vorstellen", so Simon Berger. Die Passagiere werden zu den zahlreichen Rettungswagen gebracht, die inzwischen die Heinrich-von-Stephan-Straße säumen.
Einige werden auch im Rettungszug der Deutschen Bahn betreut, der in Mannheim stationiert ist und auf einem der Bahnsteige einfährt. Nur eine Stunde braucht die Feuerwehr, um die Fahrgäste aus ihrer misslichen Lage zu befreien. "Anschließend habe ich meinen Leuten erstmal eine Pause verordnet", sagt Berger. Feierabend ist allerdings noch nicht. Als es dunkel wird, muss die Feuerwehr mit dem Strom aus brummenden Dieselaggregaten die Unfallstelle beleuchten.
Wenige Minuten nach dem Unglück löst Uwe Mauch, Einsatzleiter der Rettungsdienste, Großalarm aus. Insgesamt 120 Kräfte aus Mannheim, Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis rücken an. Ärzte, die eigentlich freihaben, werden in die Krankenhäuser beordert, damit dort wegen des Unglücks der Betrieb nicht lahmgelegt wird. Das Zusammenspiel zwischen Rettungsdiensten und Feuerwehr läuft reibungslos. "Proben kann man das natürlich nicht", so Mauch, "aber es hat trotzdem super geklappt. Auch Notfallseelsorger sind vor Ort. Nach exakt 118 Minuten ist der Einsatz für die Rettungsdienste bereits wieder beendet.
"Es ist glimpflich ausgegangen", sagt Mauch.