Mannheims geheimnisvolle Orte

Der Urwald mitten im Neckar

Ein Streifzug über die Maulbeerinsel offenbart ein mystisches Naturidyll

09.08.2019 UPDATE: 11.08.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 52 Sekunden

Beim Spaziergang über die Maulbeerinsel zeigt Thomas Kilian ein kleines Stück unberührter Natur im urbanen Raum. Fotos: Kreutzer

Von Olivia Kaiser

Oben, unten, rechts, links: grün. Der schmale Weg führt mitten hinein ins Dickicht. Es ist still, nur der Regen trommelt leise auf das Blätterdach. Ab und zu hört man einen Specht. Niemand ist unterwegs. Die meisten Mannheimer kennen die Maulbeerinsel, doch nur wenige wissen, dass der Name lediglich für den Teil der Insel zwischen Feudenheimer Schleuse und Inselspitze auf Höhe des Klinikums gilt. Nur diese zehn Hektar sind seit 1987 als Naturschutzgebiet ausgewiesen. "Das restliche Gebiet nennen wir Feudenheimer Insel", erklärt Thomas Kilian, zuständig für Naturschutz bei der Stadt.

Beim Spaziergang über die Maulbeerinsel zeigt Thomas Kilian ein kleines Stück unberührter Natur im urbanen Raum. Fotos: Kreutzer

Nur wenige Menschen spazieren durch den grünen Urwald, der so nahe an der Innenstadt liegt. So ist ein einsames - fast schon mystisches - Naturidyll entstanden. Wohl deshalb wählte der Autor Helmut Fiedler das kleine Eiland im Neckar als Leichenfundort für seinen ersten Mannheim-Krimi "Tod auf der Maulbeerinsel" aus. Doch der Tod ist auch real: Vor mehr als 25 Jahren zündete sich eine Frau auf der Insel selbst an, um auf die Unterdrückung der Kurden aufmerksam zu machen.

"Das Reiten, Weiden, Befahren mit bespannten und motorisierten Fahrzeugen, Zelten und Aufstellen von Wohnwagen ist auf dem gesamten Uferstreifen ab Brücke flussabwärts nach § 38a des Naturschutzgesetzes nicht erlaubt" steht auf dem Schild, das an der Eisenbahnbrücke bei der Schleuse angebracht ist. Das hört sich etwas antiquiert an. Tatsächlich ist das Schild ein Überbleibsel aus den Achtzigerjahren, als das Gebiet hinter besagten Schild zum Naturschutzgebiet erklärt wurde. Von dort geht es direkt hinein in den heimischen Urwald. Und der hat eine besondere Attraktion, die der Insel ihren Namen gibt: Maulbeerbäume.

Beim Spaziergang über die Maulbeerinsel zeigt Thomas Kilian ein kleines Stück unberührter Natur im urbanen Raum. Fotos: Kreutzer

Kurfürst Carl-Theodor, der von 1743 bis 1778 die Kurpfalz regierte, wolle die Seidenproduktion in großem Stil aufziehen. Damit die Seidenraupen auch genug Futter hatten, ließ er den weißfruchtigen Maulbeerbaum pflanzen. "Bei der Herstellung ging es vor allem um den feinen Faden zum Besticken von Gewändern", erklärt Kilian. "Wirklich rentabel war das Geschäft allerdings nicht."

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Dann gab es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen neuen Versuch, und weitere Maulbeerbäume wurden gepflanzt - ebenso im Dritten Reich, als Fallschirmseide in großem Stil fabriziert werden sollte. Doch weil ein günstigeres Ersatzmaterial gefunden wurde, schlief die Herstellung wieder ein. "Deshalb haben wir Maulbeerbäume in drei Altersgruppen", erklärt der Diplombiologe. "Auf der Maulbeerinsel gehören die meisten Bäume zur zweiten Welle."

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Heute lässt das Grünflächenamt der Natur auf der Maulbeerinsel freien Lauf. Eingriffe gebe es nur, um die Sicherheit für Spaziergänger zu gewährleisten, so Kilian. Heinrich Wawrik, ein ehemaliger Leiter des Fachbereichs Grünflächen und Umwelt, hatte einen Faible für die Maulbeerbäume. Er ließ sie zählen und brachte Plaketten an. Circa 60 Bäume befinden sich heute auf der Insel. Durch Wildwuchs vermehren sie sich stetig. Doch auch auf dem gegenüberliegenden Ufer in der Neckarstadt und in Feudenheim gibt es Maulbeerbäume. Der Grund: Die Maulbeerinsel ist ein künstliches Eiland, das um 1930 beim Bau des Neckarkanals entstand.

Maulbeerbäume sind leicht an ihren vielen Ästen und den Knubbeln am Baumstamm zu erkennen. Da sie im Alter auseinanderbrechen, sind viele Stämme hohl. Um die Bäume zu schützen, hat das Grünflächenamt sie vor Jahren ausbrennen lassen. Aus den schwarzen Stümpfen schießen neue Äste hervor. "Es ist ein sehr widerstandsfähiger Baum", weiß Kilian. Da er allerdings in den Mannheimer Gefilden fremd ist, nutzen Tiere und Insekten den hohlen Stamm kaum als Zuflucht.

Aufmerksame Beobachter treffen bei einem Spaziergang aber auf einige tierische Inselbewohner: Da huscht ein Fasan über den Weg, ein Bussard sitzt in einer Pappel, und von irgendwoher schreit ein Turmfalke. Thomas Kilian zeigt hoch auf einen Pappelstumpf. Dort befindet sich ein Storchennest. Die Familie ist jedoch ausgeflogen.

Beim Spaziergang über die Maulbeerinsel zeigt Thomas Kilian ein kleines Stück unberührter Natur im urbanen Raum. Fotos: Kreutzer

Der Diplombiologe schlägt sich ins Dickicht und klettert hinunter zum Altneckar. Auf der anderen Seite erhebt sich der Fernsehturm. An dieser Stelle wurde eine Schlute angelegt, "Das ist ein Rückzugsgebiet für Jungfische", erklärt er. Die wiederum locken Eisvögel an, und tatsächlich fliegt ein Exemplar der geschützten Vögel pfeilschnell über das Wasser. Zurück auf dem schmalen Weg geht es immer weiter in Richtung Inselspitze, von wo aus man einen schönen Blick auf Mannheim hat.

Ort des Geschehens

Zahmer präsentiert sich die Insel beim Rückweg entlang des Kanals, wo die Schiffe anlegen. Doch die ganze Strecke zur Schleuse kann man dort nicht zurücklegen, bald geht es wieder hinein in den Urwald, wo außer dem Knacken der Äste kaum etwas zu hören ist - und dem Regen, der leise auf das dichte Blätterdach trommelt.

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