"Der Neckar ist in desolatem Zustand"
Das Regierungspräsidium untersucht die Ursachen für den Fischnotstand.

Von Katharina Schröder
Ladenburg/Edingen-Neckarhausen. Wenn Experten über den Neckar sprechen, erscheint es so, als sei der Fluss verloren: Schlechter ökologischer Zustand, massiver Ausbau als Verkehrsweg für die Binnenschifffahrt, und Aushub aus dem Fluss ist Sondermüll. Aber das Regierungspräsidium Karlsruhe (RP) will daran etwas ändern. Deswegen läuft seit vergangenem Jahr eine Untersuchung, die Aufschluss darüber geben soll, warum der Zustand des Flusses so schlecht ist und wie man dem entgegenwirken kann. Frank Hartmann von der Fischereibehörde des RP erklärt den aktuellen Stand.
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Im vergangenen Jahr hatte das RP rund 2000 Kilogramm Rotaugen in den Neckar zwischen Ladenburg und Edingen-Neckarhausen eingesetzt. Die Besatzaktion war eine erste Maßnahme im Rahmen der Untersuchung und hatte für Aufsehen gesorgt. "Wir haben einen Fischnotstand im Neckar und erhebliche Defizite bei Arten, die dort eigentlich vorkommen sollten", sagt Hartmann. "Eine Arbeitshypothese ist, dass es einen massiven Nahrungsmangel gibt."
Diese Vermutung hat sich innerhalb dieses ersten Untersuchungsjahres erhärtet. "Es gab 2005 schon eine Untersuchung und Maßnahmen, aber so wie es aktuell aussieht, hat sich die Situation sogar noch verschlechtert", erklärt Hartmann. Grundproblem sei der Ausbau für die Schifffahrt, außerdem fehlen Seitenarme. Eine Ausnahme bildet die Fischkinderstube in Edingen-Neckarhausen. "Es ist unvorstellbar, wie viele Fische es dort gibt", schwärmt Hartmann. "Wenn wir alle paar Kilometer eine Fischkinderstube hätten, hätten wir kein Problem am Neckar."
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Aber so "ist der Tisch am Neckar schlecht gedeckt." Rund 90 Prozent der Biomasse des Flusses bilden Zebra- und Kugelmuscheln – also fremde Arten. "Die können nur Spezialisten knacken", erklärt Hartmann. Dazu zählen zum Beispiel Wildkarpfen. Die will das RP bald im Neckar einsetzen. "Wildkarpfenbesatz und Muscheln, das passt einfach", sagt Hartmann freudig. Aufgrund ihrer Schlundknochen sei die Muschelschale kein Problem für die Tiere. "Wir haben im Rhein Wildkarpfen gefangen und weitergezüchtet." Diese Zucht soll bald im Neckar schwimmen. "Das ist ein erster Schritt in Richtung naturnaher Bestand und zwar auf Grundlage unserer ökologischen Untersuchungen", sagt Hartmann.
Aber er bremst zugleich die Euphorie: "Es ist schwierig, aus so einem degenerierten System wie dem Neckar wieder etwas Naturnahes zu machen." Momentan sei der Fluss in einem desolaten Zustand, "er muss fischreicher werden", betont Hartmann. Dabei sei der Abschnitt bei Ladenburg noch recht gut. Weiter oben bei Heidelberg oder Neckarsteinach sei der Fluss praktisch eine "ökologische Wüste".
Weil im Gegensatz zu den Karpfen viele Fische die Muscheln nicht knacken können, sind für sie die wichtigste Nahrungsgrundlage Krebstierchen und Insektenlarven. "Der Grund des Flusses ist ein Problem", führt Hartmann diesbezüglich aus. "Er ist entweder sehr feinschlammig oder sehr felsig." Das sind schlechte Voraussetzungen für Krebstierchen und Larven. "Der Nahrungsmangel an Bodentieren ist eklatant", sagt er.
Ähnlich sieht es mit Plankton aus, der Hauptnahrung für Fischbrut. "Wir haben mit Entsetzen festgestellt, dass fast nichts da ist." Allerdings könne 2021 aufgrund des häufigen Niederschlags auch ein Ausnahmejahr gewesen sein. "Die Sichttiefen im Neckar waren teilweise geringer als 20 Zentimeter", führt Hartmann aus. "Da kann sich Plankton nicht entwickeln." Im kommenden Jahr wird die Planktonanalyse wiederholt. In jedem Fall müsse man herausfinden, woher die starke Trübung des Flusses kommt.
Zwischenergebnisse aus der Untersuchung mit den eingesetzten Rotaugen gibt es noch nicht. "Die Generationenfolge bei Fischen ist von Jahr zu Jahr, da braucht eine Untersuchung mehr Zeit." Über den Zeitraum von drei Jahren werden Rotaugen geangelt, tiefgefroren und an ein Schweizer Labor zur Auswertung geschickt. Dafür bindet das RP Angler vor Ort ein. "Für deren Unterstützung sind wir sehr dankbar", sagt Hartmann. Man habe schließlich dasselbe Ziel. Von einem fischreichen, naturnahen Neckar würden alle profitieren.
Info: Angler, die bei der Untersuchung helfen wollen, melden sich per E-Mail: Frank.Hartmann@rpk.bwl.de oder telefonisch: 0721/9263741