Zehn Jahre Kommunaler Ordnungsdienst

Wildpinkler, Werteverfall und das Gebrüll eines Kasernenfeldwebels

Ingrid Friedrich und Dirk Geist sind von Anfang an dabei - "Die Leute in Heidelberg werden uns gegenüber aggressiver"

25.11.2018 UPDATE: 26.11.2018 06:00 Uhr 3 Minuten, 14 Sekunden

Ingrid Friedrich und Dirk Geist auf Streife in der Altstadt Beide gehören von Anfang an zum Kommunalen Ordnungsdienst, der vor zehn Jahren ins Leben gerufen wurde. Foto: Philipp Rothe

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Ingrid Friedrich (62) und Dirk Geist (63) sind ein eingespieltes Team. Nachdem sie schon zuvor beim Gemeindevollzugsdienst seit 2004 gemeinsam Falschparker aufgeschrieben oder Wildgriller auf der Neckarwiese verwarnt hatten, waren sie ab 2008 die ersten beiden Mitarbeiter des Kommunalen Ordnungsdienstes (KOD).

Auch heute noch laufen sie zusammen Streife - nachts in der Altstadt oder tagsüber an unterschiedlichen Einsatzorten. Sie verstehen sich blind. Wenn der eine einen Satz beginnt, bringt die andere ihn zu Ende. Zum zehnten Geburtstag des KOD berichten sie im RNZ-Interview aus ihrem Berufsalltag.

Herr Geist, Frau Friedrich, wie steht es um die Heidelberger Altstadt?

Geist: Manche Ordnungsstörungen wie das Wildpinkeln sind stark zurückgegangen. Solche Vergehen zeigen wir konsequent an. Wer an fremde Hauswände uriniert, muss bis zu 75 Euro plus Verwaltungsgebühren bezahlen.

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Friedrich: Wiederholungstäter auch mehr.

Geist: Einige Altstädter bestätigen uns, dass es insgesamt besser geworden ist.

Wie ist ihr Verhältnis zu den Altstädtern?

Friedrich: Als der KOD eingeführt wurde, waren wir ja fast ein Jahr lang allein auf Streife. Die Anwohner haben sich sehr gefreut, dass sich jemand um ihre Anliegen kümmert. Für uns ist dieses Lob ein guter Ausgleich für die langen Arbeitszeiten und dafür, dass wir uns häufig mit betrunkenen Partygängern auseinandersetzen müssen. Von denen werden wir oft beschimpft.

Hintergrund

Zehn Jahre gibt es nun den Kommunalen Ordnungsdienst (KOD) in Heidelberg. Bestand er am Anfang nur aus zwei Personen ist er inzwischen auf 20 Mitarbeiter angewachsen, drei weitere sollen im nächsten Jahr folgen. Für Oberbürgermeister Eckart Würzner ist es ein

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Zehn Jahre gibt es nun den Kommunalen Ordnungsdienst (KOD) in Heidelberg. Bestand er am Anfang nur aus zwei Personen ist er inzwischen auf 20 Mitarbeiter angewachsen, drei weitere sollen im nächsten Jahr folgen. Für Oberbürgermeister Eckart Würzner ist es ein Erfolgsmodell, bei einer kleinen Feierstunde im Neuen Sitzungssaal des Rathauses bedankte er sich bei den Mitarbeitern für ihren Einsatz: "Sie haben viel Fingerspitzengefühl, sorgen für Ordnung, bewahren dabei auch die nötige Ruhe."

Auch Polizeipräsident Thomas Köber lobte die Arbeitsteilung zwischen KOD und Polizei. "Wir sind an der gleichen Front unterwegs, haben aber unterschiedliche Zuständigkeiten." Bei 15.000 Einsätzen nach Notrufen im letzten Jahr könne das Polizeirevier Mitte leider nicht mehr allen Ordnungsstörungen nachgehen. Dafür fehlten ihm die Kapazitäten.

"Für uns war das damals Neuland", erinnert sich Ordnungsbürgermeister Wolfgang Erichson an die Anfänge des KOD: "Wir haben Sie auf die Straße geschickt und mussten schauen, was passiert." Die Stadt habe aber ab 2008 eine Abteilung geschaffen, die andere Städte wie Freiburg jetzt erst mühsam aufbauen müssen.

Alle Mitarbeiter des KOD müssen ein dreistufiges Auswahlverfahren durchlaufen - mit Gesprächen, Sporteignungstest und Rollenspielen. Nach einer sechsmonatigen Schulung gibt es fünf Abschlussprüfungen und danach auch immer wieder Seminare in Psychologie, Selbstverteidigung und andere. Es ist ein Auswahlverfahren, das nicht jeder schafft. 99 Bewerber gab es beim vorletzten Mal, die Stadt hat keinen einzigen von ihnen genommen. Diejenigen, die es geschafft haben, tragen nun seit einigen Jahren auf ihren Jacken die Aufschrift "Polizeibehörde", früher stand darauf "Ordnungsdienst". Mittlerweile sind sie auf den ersten Blick von der Landespolizei kaum zu unterscheiden. Dies hat in den Augen der Ordnungshüter Vor- und Nachteile. Zum einen genießen sie dadurch mehr Respekt. Zum anderen erwarten die Bürger von ihnen etwas, zu dem sie gar nicht ausgebildet worden sind.

Die KOD-Mitarbeiter sind am Wochenende bis 4.30 Uhr morgens im Einsatz. Im Jahr 2018 haben sie bis September 8315 Personen kontrolliert und 1854 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet sowie 5089 Platzverweise oder andere Maßnahmen wie Personalienfeststellungen durchgeführt. (hob)

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Haben die längeren Kneipenöffnungszeiten die Situation nachts verschärft?

Geist: Die Sperrzeiten sind in meinen Augen sekundär. Wir beobachten vor allem massive gesellschaftliche Veränderungen - Aggressionen uns gegenüber, Widerstände. Das hat vor allem mit dem Alkoholpegel unserer Klientel zu tun, liegt aber auch an einem Wertewandel.

Friedrich: Ich nenne es Werteverfall.

Geist: Was die Sperrzeiten angeht, fragen wir natürlich schon bei den Anwohnern nach. Sie empfinden die langen Kneipenöffnungszeiten als unangenehm. Sie sind enttäuscht, dass das Lärmgutachten bei der politischen Entscheidung des Gemeinderats zur Sperrzeitsatzung kaum eine Rolle gespielt hat.

Sie sehen zwar auf den ersten Blick aus wie normale Polizeibeamte, sind aber nicht so gut ausgerüstet. Ist es für Sie beide schon einmal brenzlig geworden?

Friedrich: Das kommt leider vor. Ich erinnere mich an einen Fall, nach einem Fußballspiel von Hoffenheim gegen Bayern München, da sind radikale Bayern-Fans nachts durch die Heidelberger Altstadt gezogen. Als wir einen Wildpinkler von ihnen verwarnen wollten, haben 30 bis 40 dieser "Fans" auf einmal die ganze Bussemergasse verriegelt und Sprechchöre angestimmt. Auf einmal sind Flaschen und Bierkrüge geflogen. Das war derb.

Wie ist die Geschichte ausgegangen?

Friedrich: Ich habe mich damals leicht am Bein verletzt, wir konnten uns aber zurückziehen und Verstärkung rufen. Die Polizei war innerhalb von wenigen Minuten vor Ort. Die Zusammenarbeit klappt hervorragend.

Hatten Sie es auch schon mit bewaffneten Kontrahenten zu tun?

Friedrich: Ich kann mich an eine Situation erinnern, wo wir zufällig am Richard-Hauser-Platz auf einen Mann stießen, der einem anderen ein Messer an den Hals hielt. Dirk hat ihn angebrüllt, dann hat er ihn zum Glück losgelassen.

Geist: (lacht) Ich kann brüllen wie ein Kasernenfeldwebel. Wir haben auch in diesem Fall Verstärkung geholt und den Mann so lange mit Pfefferspray in Schach gehalten. Vor zweieinhalb Monaten hatten wir auch noch einmal einen Vorfall mit einem Messer. Ein bewaffneter Mann hat auf der Neckarwiese eine ganze Gruppe bedroht. Gemeinsam mit anderen Kollegen des KOD konnten wir ihn festnehmen.

Welche Ordnungswidrigkeiten kommen in Heidelberg am häufigsten vor?

Friedrich: Tagsüber haben wir es oft mit gewerbsmäßigen Bettlern zu tun.

Geist: Nachts sind es die Ruhestörungen. Meist handelt es sich um private Feiern von Wohngemeinschaften oder Studentenverbindungen, deren Gäste über die Stränge schlagen. Die Gröler, die nachts durch die Gassen ziehen, sind schwerer zu fassen.

Wie gehen Sie bei einer lauten Party vor?

Geist: Wir zeigen dem Ausrichter der Party erst einmal die gelbe Karte und drohen an, dass er bei weiteren Beschwerden von Nachbarn Bußgelder im dreistelligen Bereich erwarten darf. Müssen wir das dritte Mal ausrücken, organisieren wir zuvor Verstärkung bei der Polizei und lassen die Wohnung räumen. Dann dürfen nur noch die Bewohner bleiben, alle anderen müssen gehen. Wir hatten schon Fälle, da hatten in der Wohnung, wo die Party stattfand, nach normalem Verständnis vielleicht 30 Personen Platz, es waren aber 100 Gäste anwesend.

Wie finden Sie eigentlich die Stresserbeleuchtung auf der Neckarwiese?

Geist: Ich finde sie sehr gut. Wenn wir früher auf die Wiese mussten, war es dort immer stockfinster. Manchmal sind aus dem Dunkeln Gläser oder Flaschen geflogen. Das ist jetzt nicht mehr so. Ein Anruf genügt und die Beleuchtung wird sofort hochgefahren, dann ist es am Neckarvorland so hell wie in einem Stadion. In diesem Jahr mussten wir das aber nicht ein einziges Mal nutzen.

Friedrich: Die normale Beleuchtung führt aber auch dazu, dass jetzt mehr Leute bis spät abends auf der Neckarwiese sind.

Geist: Das stimmt. Das sind aber in der Regel normale Leute. Die Diebe und Stresser werden abgeschreckt.

Ab nächstem Jahr sollen 23 Mitarbeiter beim KOD arbeiten. Wie viele würden sie sich zusätzlich wünschen?

Geist: Je mehr, desto besser. Da die Kriminalität angestiegen ist, hat die Polizei für normale Ordnungsstörungen kein Personal mehr übrig. Wir können diese Lücke schließen.

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