Verkehrsplanung

Langsam, aber flüssig soll der Verkehr in Heidelberg laufen

Der Verkehrsclub Deutschland hat 100 Vorschläge für den Verkehrsentwicklungsplan. Dabei geht es um den Rückbau von Straßen und ein neues Großparkhaus.

04.11.2020 UPDATE: 05.11.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 15 Sekunden
Noch trennt die Römerstraße die Südstadt in zwei Teile. Hier schlägt der Verkehrsclub Deutschland vor, auf zwei Fahrspuren zu verzichten. Die B 535 – und vor allem das „Kleeblatt“ an der Speyerer Straße – sollten im Gegenzug ausgebaut werden. Foto: Philipp Rothe

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Neues wagen, Mut zu Pragmatismus und gegenseitige Rücksichtnahme. Auf diese drei Eckpunkte lassen sich die Kernforderungen des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) reduzieren. 100 Vorschläge für den neuen Verkehrsentwicklungsplan hat der Club jetzt an den neuen Klimabürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain übergeben. Der VCD will damit einen Beitrag zur Mobilitätswende leisten.

Im Gespräch mit der RNZ erläuterte der Vorstandssprecher und hauptberufliche Nahverkehrsberater Felix Berschin die wichtigsten Punkte: "Unser Fokus liegt auf dem, was man innerhalb von zehn Jahren auch umsetzen kann." Ein paar Vorschläge bräuchten aber auch eine längere Vorlaufzeit. Bewusst habe man auf "Asbach-Uralt-Vorschläge" wie die Fünfte Neckarquerung verzichtet. Der VCD hat nach Berschins Angaben 1300 Mitglieder im Rhein-Neckar-Raum.

> Autofreier Neckarstaden: Stück für Stück sollte die Friedrich-Ebert-Anlage zur leistungsfähigen Tangente ausgebaut werden, so Berschin, damit das Neckarufer auf der Altstadtseite – zunächst nur am Wochenende, dann dauerhaft – vom Autoverkehr befreit werden kann. Die Ebert-Anlage wäre dann die einzig verbliebene Ost-West-Achse südlich des Neckars. Der Verkehr könne dort besser abfließen, wenn der Adenauerplatz zum ampellosen Kreisverkehr umgebaut werde. Für den ganz großen Wurf könnte sich Berschin sogar einen Tunnel vorstellen, der am Adenauerplatz unter die Sofienstraße abtaucht und an der Tiefgarage des Darmstädter Hof Centrums (DHC) wieder emporkommt. Dadurch und mit einer zusätzlichen Straßenbahnhaltestelle in der Bergheimer Straße könnte auch der Bismarckplatz neu gestaltet werden.

Felix Berschin. Foto: privat

> Straßenfreie Erholungsräume: "Während die Handschuhsheimer ihr Feld nach Kräften verteidigen, hat man es in den vergangenen Jahrzehnten erlaubt, dass das Kirchheimer Feld zerschnitten wird", ärgert sich Berschin. Er schlägt vor, den Stückerweg aufzugeben und stattdessen Patrick-Henry-Village über den Grasweg an die Speyerer Straße anzubinden. Vorausgesetzt, es werde eine neue Verbindung parallel zur Autobahn gebaut, könne man auf eine der bestehenden Straßen verzichten. Auch der Cuzaring könne renaturiert werden, wenn das Kleeblatt an der Kreuzung B535 / Speyerer Straße vervollständigt werde und die Autos so ohne Ampel in alle Richtungen fahren könnten. Mit dem Rückbau von Straßen könne man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: "Erholungsflächen werden nicht zerschnitten und es gibt mehr Platz für attraktive Radwege", so Berschin.

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> Römerstraße: Statt vier Fahrspuren sollte die Straße künftig nur noch zwei haben, eine in jede Richtung, schlägt Berschin vor. Denn: Bislang teile die Römerstraße die Südstadt und das sei angesichts der städtebaulichen Entwicklung des ehemaligen Mark-Twain-Villages nicht vertretbar. "Wir brauchen einen flüssigen, langsamen und sachgerechten Verkehr", fordert der VCD-Sprecher. Der Czernyring werde immer eine Schneise bleiben – über so wichtige Straßen wie die Römerstraße und die Bergheimer Straße, an denen Tausende von Menschen leben, müsse man sich aber Gedanken machen und über Kompromisse "feilschen".

> Tempo 30: Stadtweit sollte die Geschwindigkeit gedrosselt werden, auch auf Bundesstraßen, fordert Berschin. Das Argument, dies sei nicht zulässig, lässt der VCD-Sprecher nicht gelten. "Neckarsteinach macht auch Tempo 30 auf der Bundesstraße. Jeder Dorfbürgermeister macht mehr als wir in Heidelberg." Notwendig sei auch eine andere Denkweise, mit angeblichen rechtlichen Hürden umzugehen. "Dann brauche ich eben Gutachten zu Verkehrsunfällen und Schadstoffemissionen, um so etwas durchzusetzen", sagt Berschin. Er fordert generell von der Stadt "mehr Pragmatismus". Der Vorteil von Tempo 30: Auf viele Ampeln könnte verzichtet werden, der Verkehr werde so flüssiger.

> Parkgebühren: Weniger und teurere Stellplätze in der Innenstadt sind in den Augen Berschins eine Möglichkeit, den Autoverkehr in Heidelberg zu reduzieren. Denn immer noch würden – die Pendler mit eingerechnet – 57 Prozent der Wege mit dem Auto zurückgelegt. Für zentrumsnahe Stellplätze schlägt der VCD-Sprecher einen Preis von 5 Euro pro Stunde vor.

> Anwohnerparken: Auch das solle deutlich teurer werden, fordert Berschin. Bisher koste solch ein Berechtigungsschein gerade einmal 30,70 Euro pro Jahr. Doch Stuttgart habe einen Trick gefunden, wie der Preis, entgegen der bisher geltenden Regeln, deutlich angehoben werden kann. "Wer in der City parken will, muss dort immer ein Parkticket ziehen", so Berschin. Anwohner, die ihren Wagen abstellen wollten, könnten für 400 Euro im Jahr eine Ausnahmegenehmigung erhalten. Berschin findet das nur gerecht, schließlich blockiert ja ein Stellplatz 20 Quadratmeter öffentliche Verkehrsfläche. Berschin: "Und in Stuttgart sind deshalb 400 Autos wieder in privaten Garagen verschwunden."

> Neues Großparkhaus: Dies sei am Gneisenauplatz, dort wo die geplante Fuß- und Radwegebrücke von Bergheim über den Neckar ins Neuenheimer Feld beginnt, vorstellbar. Es könnte den Stadtteil Bergheim vom Autoverkehr entlasten. "Es wäre doch schön, dort 1000 Fahrzeuge abzufangen", findet Berschin. Mit E-Rollern oder Leihrädern könnten die Autofahrer dann schnell und bequem in den Campus kommen. "Das wird sich nicht jeder leisten können, so wie sich auch die Bahnstadt nicht jeder leisten kann", sagt Berschin. Daher schlägt er auch eine soziale Abfederung vor: Pflegekräfte sollten weniger für einen Stellplatz zahlen müssen als Chefärzte. Um unnötigen Parkplatz-Suchverkehr zu vermeiden, schlägt der VCD überdies eine App vor, die die freien Stellplätze anzeigt und über die sie gleich gebucht werden können. "Dann bekommt man für das Geld auch eine Leistung." In der Innenstadt hätten Handwerker mit solch einem System auch einen sicheren Parkplatz vor der Baustelle.

> Umweltspuren: Eigene Fahrspuren für Schnellbusse, die auch von Fahrgemeinschaften und Elektroautos genutzt werden dürfen, könnte sich Berschin vor allem in der Speyerer Straße vorstellen. "Es muss nicht immer perfekt geplant sein, manchmal muss man einfach mal anfangen", fordert Berschin. Etwas auszuprobieren sei immer noch besser, als nichts zu tun. In den USA gebe es bereits Vorbilder für solche Umweltspuren. So etwas sei im Rahmen eines Verkehrsversuchs auch in Heidelberg denkbar. Die Speyerer Straße ist dem VCD-Vorstand ohnehin ein Graus. "Dort hat man einfach immer nur neue Ampeln hingestellt, sei es an der Bahnstadt oder zuletzt für die neue Großsporthalle."

> Kleinbusse durch das Handschuhsheimer Feld: Selbst das Tabu des Nordzubringers zum Neuenheimer Feld bringt Berschin mit diesem Vorschlag wieder auf die Agenda: "Die Pendlerzahlen aus Ladenburg haben sich verdoppelt." Die meisten Berufstätigen aus dieser Gegend kämen aber mit dem Auto über die B3. Das Argument, hier könne eine Kleinbus-Linie nicht helfen, kann Berschin nicht nachvollziehen. "Wir alle, auch die Handschuhsheimer Gärtner, müssen von ihren Maximalforderungen abrücken." Auch wenn das für alle eine Umgewöhnung bedeute.

> Fazit: Viele weitere Vorschläge hat der VCD ausgearbeitet, angefangen von verkehrsberuhigten Bereichen vor allen Schulen und Stadtteilzentren, bis zur Teilung der Linie 5 (ehemalige OEG) am Hans-Thoma-Platz. Während ein Teil weiter über die Handschuhsheimer Landstraße und Brückenstraße zum Bismarckplatz fahren könnte, könnte der andere Teil über die Berliner Straße in Richtung Neuenheimer Feld und Hauptbahnhof abbiegen. Berschin hofft nun, dass die 100 Ideen bei dem neuen Klimaschutzbürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain und dem Gutachter für den Verkehrsentwicklungsplan auf fruchtbaren Boden fallen.

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