Todesursache Nummer drei: Der Gang zum Arzt
Der Heidelberger Mediziner Dr. Gunter Frank erklärt beim RNZ-Forum an Aschermittwoch, worauf Patienten achten sollten

Herr Dr. Frank, gehen die Deutschen zu leichtfertig zum Arzt?Leider ja, wobei man unterscheiden muss. Das Behandlungsergebnis einer Nierenkolik, erlebt ein Arzt unmittelbar. In solchen Fällen kann der Arzt einen eigenen Erfahrungsschatz aufbauen, mit dem er oft intuitiv das Richtige empfiehlt. Anders sieht es aus, wenn ich als Arzt einen erhöhten Blutdruck einstelle oder einen Typ-2 Diabetes behandle. In diesen Fällen, kann ich selbst nicht beurteilen, ob mein Patient von der verordneten Behandlung profitiert, ob zum Beispiel in zehn Jahren dadurch ein Herzinfarkt vermieden wird oder eben nicht. In diesen häufigen Fällen muss ich mich als Arzt auf wissenschaftliche Studien verlassen, die heutzutage in Behandlungsleitlinien aufbereitet werden. Und genau in diesen Fällen müssen Patienten davon ausgehen, dass die positiven Wirkungen der Behandlung systematisch geschönt und die wirklichen Nebenwirkungen im großen Stil verschwiegen werden. Allerdings ahnen dies immer mehr Patienten.
Wie finde ich mich als Patient überhaupt den idealen Arzt?
Dazu muss ich mich als Patient schulen. Eine Einschätzung allein nach dem Gefühl kann trügerisch sein, denn das findet immer noch Prof. Brinkmann von der Schwarzwaldklinik toll, den typischen "Gott in Weiß". Moderne Patienten müssen wissen, mit welchen Fragen man den Nutzen einer medizinischen Empfehlung beurteilen und mit welchen Fragen man die Qualität der ärztlichen Antworten einschätzen kann. Dies ist für viele eine ungewohnte Patientenrolle, die man jedoch trainieren kann.
Sie kritisieren Hunderttausende von Falschbehandlungen: Woran liegt das?
Es gibt ein Grundmuster. Die Verordnung von zunächst sinnvollen Therapien, die ganz bestimmten Patienten nützen, wird aus rein ökonomischen Gründen massiv ausgeweitet. Dabei werden in unverantwortlicher Weise Grenzen überschritten und in Folge Tausende therapiert, die dies jedoch gar nicht brauchen und nur den Nebenwirkungen ausgesetzt werden. Eine gängige Methode ist zum Beispiel die Senkung von Normwerten in medizinisch absurde Bereiche. Dafür investieren Pharmafirmen sehr viel Geld, viel mehr als für die Forschung. Und man muss es leider sagen: Das Ganze funktioniert nur unter tatkräftiger Mithilfe der Universitäten und der praktischen Ärzte, die es nicht schaffen Ihre Patienten vor diesen gefährlichen Übertherapien zu schützen.
Haben Ärzte aufgrund des Gesundheitssystems Bedenken, Patienten an Kollegen oder Kliniken "abzugeben"?
Es gibt einige Kollegen, die vorsichtig geworden sind. Doch die meisten erkennen nicht die Dimension des Problems. Das liegt daran, dass wir ja nicht über Kunstfehler sprechen, sondern über systematische Fehler, die im Einklang mit der Lehrmeinung stehen. Also da passieren, wo offiziell korrekt behandelt wird. Diese mit gutem Willen leicht vermeidbaren Fehler haben die ärztliche Behandlung zur Todesursache Nummer 3 werden lassen und die Gesellschaft sollte anfangen, sich für diesen Skandal zu interessieren.
Schreiben Sie Ihr Buch "Gebrauchsanweisung für Ihren Arzt" eigentlich aus Ihrer Sicht als niedergelassener Mediziner oder auch aus Ihrer individuellen Sicht als Patient?
Ich schreibe es vor allem für meine Patienten, die dieser Entwicklung wehrlos ausgesetzt sind. Doch wenn Patienten lernen eine selbstbewusste Rolle einzunehmen, die richtigen Fragen zu stellen und auf hochwertige Information zu bestehen, dann können sie dieser regelrechten Verkrankungslobby einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen, da bin ich mir sicher. Ich schreibe es aber auch für Kollegen, die zunehmend Opfer einer immer groteskeren Ökonomisierung der Medizin werden. Wenn wir in Zukunft noch freie und unabhängige Ärzte sein wollen, dann müssen wir erkennen, dass selbstbewusste Patienten die besten Verbündeten sind.
Werden Sie beim RNZ-Forum auch ärztliche Ratschläge geben?
Ich werde keine individuelle medizinische Empfehlung geben. Das gehört definitiv in die Sprechstunde. Allgemeine Fragen jedoch, die dieses Thema in all seinen Facetten betreffen, beantworte ich sehr gerne, soweit ich das kann.