Die Heidelberger mögen ihre Stadtbücherei
Direktorin Christine Sass im RNZ-Interview – Vermietung von Räumen darf den Regelbetrieb nicht gefährden

Christine Sass ist seit 2011 Chefin der Stadtbücherei. Im RNZ-Gespräch spricht sie über die "Unesco City of Literature", den reparaturanfälligen Bücherbus - und eine Veranstaltung im Hilde-Domin-Saal, die für Schlagzeilen sorgte. Foto: Friederike Hentschel
Von Anica Edinger
Heidelberg. Als Christine Sass vor rund sieben Jahren als Direktorin der Heidelberger Stadtbücherei anfing, war vieles anders: Der Bücherbus fuhr noch weitgehend ohne Probleme und Ausfälle, die Digitalisierung war noch nicht so allgegenwärtig wie heute, Heidelberg noch nicht "City of Literature" und die AfD feierte noch lange keine Wahlerfolge und mietete auch keine Räume für Veranstaltungen an.
Heute steht Sass mit ihrer Bücherei jetzt also vor ganz neuen Herausforderungen, die sie in ihrem sogenannten Tätigkeitsbericht fürs vergangene Jahr thematisierte. Doch eine Konstante lässt sich dabei auch feststellen, wie die 52-Jährige im RNZ-Gespräch berichtet: Und das ist die Wertschätzung, die die Stadtbücherei in der Heidelberger Bürgerschaft genießt.
Hintergrund
Die Heidelberger Stadtbücherei in Zahlen
> 1.188.742 Medien hat die Stadtbücherei im vergangenen Jahr verliehen (2016: 1.190.261 ). Um fünf Prozent steigerte sich der Bereich Kinder- und Jugendmedien, elektronische Angebote legten um 14 Prozent zu,
Die Heidelberger Stadtbücherei in Zahlen
> 1.188.742 Medien hat die Stadtbücherei im vergangenen Jahr verliehen (2016: 1.190.261 ). Um fünf Prozent steigerte sich der Bereich Kinder- und Jugendmedien, elektronische Angebote legten um 14 Prozent zu, rückläufig sind dagegen die Ausleihen im Bereich Sachliteratur (minus 2 Prozent) sowie im Bücherbus (minus 6 Prozent) - wobei dafür die hohen Ausfallzeiten verantwortlich sind.
> 224.276 Medien hat die Bücherei im Angebot. Der Löwenanteil fällt dabei weiterhin mit 65 Prozent auf Bücher, digitale Angebote machen gut 20 Prozent und sogenannte Non-Prints wie CDs und DVDs 15 Prozent aus.
> 18.113 aktive Nutzer waren im vergangenen Jahr in der Stadtbücherei registriert. Da es technische Probleme mit der Besucherzählanlage gab, kann keine Aussage über die realen Nutzer vor Ort in der Bücherei getroffen werden.
> 330.000 Nutzer machten Gebrauch vom digitalen Angebot.
> 17 Tage lang stand der Bücherbus im letzten Jahr komplett in der Werkstatt. Weitere 19 Werkstattbesuche wurden stundenweise am frühen Morgen eingeschoben.
> 50 Mitarbeiter arbeiten derzeit in der Stadtbücherei.
> 4 Abteilungen gibt es seit Ende letzten Jahres in der Stadtbücherei: Bildung, Kultur, Freizeit und EDV sowie die Verwaltung. Damit will die Bücherei auf die Herausforderungen der Zukunft reagieren und eine höhere Spezialisierung in kleineren Teams erreichen. Zuvor gab es nur zwei Abteilungen: Benutzungs- und Bestandsmanagement.
> Von 10 bis 20 Uhr ist die Stadtbücherei, Poststraße 15, von Dienstag bis Freitag geöffnet, samstags von 10 bis 16 Uhr. ani
Frau Sass, Anfang des Jahres schaffte es die Stadtbücherei in die Schlagzeilen wegen der Vermietung des Hilde-Domin-Saals an die AfD. Wie viel Nerven hat Sie das gekostet?
Das war eine sehr anstrengende Zeit für alle Beteiligten. Wir mussten von allen Seiten Kritik einstecken: von den Linken, den Rechten und auch von den Bibliotheksbesuchern. Wir mussten viele böse E-Mails beantworten und natürlich auch am Abend der Veranstaltung selbst für alle - Medien, die Polizei und die Veranstalter - ansprechbar sein. Das hat uns auch an unsere Grenzen gebracht.
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Gibt es auch etwas Positives, das Sie aus der Debatte mitgenommen haben?
Was uns in dem Moment unglaublich gestärkt hat, war die Unterstützung der gesamten Stadtverwaltung. Ob Rechtsamt, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit oder auch das OB-Referat: Man hat uns nicht alleine gelassen.
Und jetzt ist es am Gemeinderat: Der entscheidet, ob Ihre Räumlichkeiten weiter an politische Parteien vermietet werden dürfen. Wie würden Sie entscheiden?
Wir werden uns nach der Entscheidung des Gemeinderats richten. Man muss sich dabei auch die Situation der Gebäude genau anschauen. Bei uns ist diese Situation speziell: Denn wir haben ein Foyer, das als Eingang für alle Services des Hauses genutzt wird. Da gehen die Benutzer der Bücherei rein, aber auch die Gäste von Veranstaltungen. Es muss auch gewährleistet sein, dass Menschen mit Kinderwagen oder Rollstuhl durchkommen. Das war bei der AfD-Veranstaltung nicht mehr möglich. Wir müssen im Auge behalten, dass der Regelbetrieb funktioniert, auch, wenn Veranstaltungen stattfinden. Schließlich haben wir ein klares Selbstverständnis: Wir sind erst Bücherei, dann Vermieter von Räumen.
Ein Blick auf die Nutzerzahlen zeigt: Das Büchereigeschäft läuft gut - trotz digitalem Wandel. Woran liegt das?
Im Gegensatz zu vielen anderen Büchereien bewegen sich unsere Ausleihzahlen auf hohem Niveau. Wir haben da in Heidelberg eine besondere Situation: Zum einen ist das Bildungsniveau sehr hoch. Und andererseits ist die Bücherei sehr gut in der Bürgerschaft verankert. Wir sind ein offenes Haus, die Nutzung ist sehr niederschwellig - das ist in der Bevölkerung auch so angekommen.
Ein Beleg dafür, dass Heidelberg zu Recht "Unesco City of Literature" ist?
Absolut. Daran besteht für mich keinerlei Zweifel. Die Stadtbücherei ist ein Teil davon, ich selbst habe auch an der Bewerbung mitgearbeitet. Mittlerweile zeigt sich: Jeder hat seinen eigenen Blick auf die "City of Literature". Für die einen geht es dabei um Autoren, für andere stehen Buchhandlungen und Verlage im Mittelpunkt. Für mich geht es um das Gesamtbild. Auch der internationale Aspekt ist wichtig. Durch das Netzwerk mit 23 anderen "Cities of Literature" weltweit ergeben sich plötzlich Kooperationen - egal ob mit Krakau, Granada oder Edinburgh -, die vorher noch nicht denkbar waren. Das gibt uns die Möglichkeit, deutsche Titel und auch Heidelberger Literatur in die Welt hinauszutragen.
Hat sich in der Stadtbücherei im Rahmen der Titel-Verleihung etwas ganz konkret verändert?
Tatsächlich war es auch eine Motivation, Dinge, die schon da waren, neu in den Blick zu nehmen - etwa die Heidelberger Autorendokumentation. Wir sammeln seit den 70er Jahren und haben mittlerweile ein großes Archiv mit Fotos, Presseberichten, Literaturpreisen und mehr. Außerdem haben wir auf der Galerie ein Regal mit Werken der Heidelberger Autoren und ihren Porträts eingerichtet, um ihre Wahrnehmung noch weiter zu verbessern. Das wird intensiv genutzt und kommt sehr gut an.
Das klingt alles danach, als hätte die Stadtbücherei nur ein Sorgenkind: den Bücherbus.
Richtige Sorgen haben wir nicht - selbst, was den Bücherbus angeht. Denn es gibt ihm gegenüber ja eine positive Grundstimmung. Der Gemeinderat hat uns bestätigt, dass er eine wichtige Funktion im Stadtgebiet hat. Und: Die Stadträte haben beschlossen, dass wir einen neuen Bus bekommen, sobald unserer nicht mehr zu reparieren ist. Die Frage wird dann sein: Wie schaffen wir es, die wachsende Stadt mit Büchern zu versorgen? Schließlich sind wir die einzige Großstadt in Baden-Württemberg, die die Stadtteile ausschließlich mit einem Fahrzeug versorgt und keine ortsfesten Zweigstellen hat. Bei uns wird aber eher das Thema zweiter Bücherbus diskutiert als der Aufbau eines Zweigstellennetzes.
Was wäre Ihnen denn lieber: Zweigstellen oder ein zweiter Bus?
Wie man es macht, ist am Ende eine politische Entscheidung. Ich kann sagen: Beides hat Vor- und Nachteile. Mit einem Bus ist man flexibel und schnell, in Zweigstellen hätte man eine höhere Aufenthaltsqualität und mehr Platz, etwa für Klassenführungen. Beide Modelle unterscheiden sich natürlich auch in den Kosten sehr. Das alles muss der Gemeinderat diskutieren.
Für den Bücherbus spricht doch auch, dass er etwas Nostalgisches hat.
Das stimmt. Ich bin selbst auch viel in der Stadt unterwegs und wenn ich den Bücherbus sehe, dann freue ich mich. Er ist auch ein wichtiger Botschafter für uns und Sympathieträger. Ich kenne es aus anderen Städten, dass die Bücherbusse angehupt werden, wenn sie im Weg stehen. Das passiert in Heidelberg nicht. Viele Bürger mögen einfach diese ungewöhnliche Art der Literaturversorgung - und stören sich deshalb auch nicht daran, wenn der Bus mal ein paar Minuten im Weg steht.
Aktuell ist der digitale Wandel in aller Munde. Wie reagieren Sie als Bücherei darauf?
Wir setzen nicht auf entweder oder, sondern darauf, die Menschen zu befähigen, jeweils das passende Medium für sie zu finden. Deshalb haben wir in den letzten Jahren auch unsere E-Book-Ausleihe in Kooperation mit anderen Büchereien in der Metropolregion ausgebaut. Sie umfasst mittlerweile gut 50.000 Titel - und die Nachfrage wächst kontinuierlich. Wir könnten jedenfalls noch deutlich mehr ausleihen.
Und woran scheitert es?
Zum einen sind unsere finanziellen Mittel beschränkt. Aber auch manche Verlage machen den Büchereien einen Strich durch die Rechnung, indem sie uns als Bücherei keine Online-Verleih-Lizenzen geben. Deshalb kann es auch vorkommen, dass ein Bestseller nicht zur Verfügung steht.
Die Nachfrage nach Digitalem steigt. Was ist bei den klassischen Medien denn am beliebtesten?
Der Bereich Kinder- und Jugendmedien steigt. Darauf sind wir sehr stolz.
Weil sie in diesem Bereich so gute Arbeit leisten?
(lacht) Das auch. "Lernen" war auch letztes Jahr unser Schwerpunktthema. Wir haben gerade erst einen eigenen Raum für Schülergruppen eröffnet, die hier etwa Referate ausarbeiten. Und sobald die Themen für die mündlichen Abiprüfungen bekannt sind, richten wir auch wieder einen zusätzlichen Beratungspunkt für die Abiturienten und ihre Fragen ein. Aber die steigenden Zahlen zeigen auch schlicht, dass in dieser Stadt viele Menschen leben, denen es wichtig ist, ihren Kindern die Welt der Bücher zu eröffnen.