RNZ-Forum Altstadt Lärm

Existenzielle Fragen – wenige Lösungen (plus Aufzeichnung der Veranstaltung)

Neue Sperrzeiten für die Altstadt? Die Podiumsgäste fanden nicht zueinander. Und Bürgermeister Erichson war am Ende richtig sauer. Die ganze Diskussion können Sie hier nachschauen.

10.10.2019 UPDATE: 12.10.2019 00:00 Uhr 3 Minuten, 17 Sekunden

Beim RNZ-Forum im Karlstorbahnhof diskutierten (v.l.): Christoph Egerding-Krüger (Leben in der Altstadt), Karin Werner-Jensen (Alt-Heidelberg), Wolfgang Erichson (Ordnungsbürgermeister), Holger Buchwald (RNZ-Stadtredaktion), Melanie von Görtz (Hotel- und Gaststättenverband) und Daniel Wilson (Altstadtwirt). Foto: Rothe

Von Philipp Neumayr

Heidelberg. Die Bordsteine in der Altstadt sollen früher hochgeklappt werden - unter der Woche um 0 Uhr und am Wochenende um 2.30 Uhr. So hat es das Verwaltungsgericht Karlsruhe Ende Juli entschieden. Wie geht es nach diesem Urteil weiter? Diese Frage stand im Mittelpunkt beim Forum "Stille Nacht? Neue Sperrzeiten für die Altstadt?", zu dem die RNZ am Mittwochabend eingeladen hatte und bei dem es auch um "existenzielle Fragen" ging, wie Moderator Holger Buchwald, stellvertretender Leiter der Stadtredaktion, zu Beginn klarmachte.

Von Stiller Nacht war zumindest an diesem Abend im Karlstorbahnhof wenig zu spüren. Die 120 Gäste im Saal machten ihrem Unmut immer wieder Luft, raunten, buhten und lachten. Vom Wirt der Traditionskneipe "Destille" über den Türsteher bis zum Bezirksbeirat - alle waren sie gekommen, um mitzudiskutieren und zu streiten.

"Es ist gut, miteinander ins Gespräch zu kommen", sagte Christoph Egerding-Krüger. Er ist Sprecher der Initiative "Leben in der Altstadt" (LindA) und wohnt selbst seit 1981 im Stadtteil. Die dortige Situation habe sich verschlimmert. Sperrzeiten würden weder wahrgenommen noch kontrolliert. Er wäre daher "sehr froh, wenn es eine Lösung gäbe, mit der wir alle friedlich leben können". Doch was dies betrifft, sei er skeptisch. Denn gerade im Frühjahr und Sommer beeinträchtige der Lärm das Wohlbefinden der Altstadt-Bewohner.

Immerhin drei Jahrzehnte, wohnt Karin Werner-Jensen, Vorsitzende des Vereins Alt-Heidelberg, in der Altstadt. Ihrer Meinung nach machen gerade die Bewohner das historische Zentrum lebenswert. "Wenn Familien hier nicht mehr wohnen könnten, würde die Stadt veröden", sagte sie. Für Werner-Jensen sind vor allem die Feiernden das Problem - darunter "viele Leute aus dem Umland, die keinerlei Benehmen haben".

Hintergrund

Stadt will in Berufung gehen

Ein Kompromiss könnte im Sperrzeiten-Streit doch noch möglich sein. Bürgermeister Wolfgang Erichson kündigte beim RNZ-Forum am Mittwochabend an, dass er dem Gemeinderat am nächsten Donnerstag empfehlen wird, gegen das

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Stadt will in Berufung gehen

Ein Kompromiss könnte im Sperrzeiten-Streit doch noch möglich sein. Bürgermeister Wolfgang Erichson kündigte beim RNZ-Forum am Mittwochabend an, dass er dem Gemeinderat am nächsten Donnerstag empfehlen wird, gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe Berufung einzulegen. Diese habe aber nur dann eine Chance auf Erfolg, wenn die Stadträte zugleich neue Sperrzeiten für die Kernaltstadt beschließen. Erichson schlägt in diesem Zusammenhang Sperrzeiten von 1 Uhr werktags und 3 Uhr am Wochenende vor.

Mit welchen flankierenden Maßnahmen der Verwaltungsgerichtshof überzeugt werden könnte, das Urteil der unteren Instanz abzumildern, ließ Erichson offen. Unterdessen beantragen CDU und FDP in einem gemeinsamen Antrag, einen Nachtbürgermeister einzusetzen. "Seine Aufgabe besteht auch darin, zwischen den Anwohnern, der Stadt und den Gastronomen als Moderator zu fungieren", heißt es in der Antragsbegründung. Zudem könne er gezielt mit den Besuchern der Altstadt Kontakt aufnehmen und gleichzeitig den Kontakt zum Ordnungsamt halten. Die Erfahrung aus Mannheim habe gezeigt, dass solch ein Amt zu einem besseren und auch sichereren Nachtleben beitragen könne. (hob)

Info: Der Gemeinderat tagt am Donnerstag, 17. Oktober, um 16.30 Uhr im Großen Rathaussaal, Marktplatz 10. 

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Eine etwas andere Sicht auf die Dinge hatten Altstadtwirt Daniel Wilson und Melanie von Görtz, Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands in Heidelberg. "Von den Betrieben dringen weniger Geräusche nach außen als noch vor zehn Jahren", sagte von Görtz. "Die Situation hat sich deutlich beruhigt", so Wilson. Der Gastronom ist Inhaber dreier Betriebe im Geltungsbereich der aktuellen Sperrzeitensatzung. In und vor seinen Betrieben herrsche Ruhe, sagte er. Alles, was weiter als fünf Meter davon entfernt ist, sei öffentlicher Raum - und für sein Personal nicht zu handhaben. Um für Ruhe zu sorgen, wünscht er sich mehr Unterstützung vom Kommunalen Ordnungsdienst (KOD).

Als Wolfgang Erichson anschließend erstmals zum Mikrofon griff, platzte ihm gleich der Kragen. Es gehe schon wieder los: "Die Stadt ist schuld." Der KOD habe 24 Mitarbeiter, die alle ihren Job machten - auch in der Altstadt. Das Bashing von Stadt und KOD helfe niemandem. Warum die Altstadt ein Lärmproblem hat? Dafür machte Erichson mehrere Ursachen aus. "Das Verhalten im öffentlichen Raum hat sich stark verändert", sagte er. Wenn die Feiernden nachts auf die Straße treten, seien sie "hackevoll". Und: In den Kneipen würden Fenster und Türen oft so lange offen gelassen, bis es beanstandet werde. "Da wird die Musik kurz vor Ende der Sperrzeit noch mal richtig schön aufgedreht."

Hintergrund

Foren-Zitate

> Christoph Egerding-Krüger: "Die Stadt steht voller runder Tische. Da kommt man kaum noch durch."

> Melanie von Görtz: "Wir sind nicht in der Situation, in der wir sagen können: Wir lassen etwas unversucht."

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Foren-Zitate

> Christoph Egerding-Krüger: "Die Stadt steht voller runder Tische. Da kommt man kaum noch durch."

> Melanie von Görtz: "Wir sind nicht in der Situation, in der wir sagen können: Wir lassen etwas unversucht."

> Daniel Wilson: "Wenn man Alkohol nicht im öffentlichen Raum konsumieren dürfte, wäre vieles leichter."

> Wolfgang Erichson: "Wenn mir der Gemeinderat genügend Geld gibt, dann stelle ich auch gerne zehn Streetworker ein."

> Zuhörer: "Die Stadt hält sich raus. Ich verstehe nicht, dass Stuttgart und Karlsruhe Alkoholverbote aussprechen können und Heidelberg nicht."

> Daniel Wilson: "Es ist nicht nur das Umland. Es gibt auch Studenten, die sich daneben benehmen."

> Christoph Egerding-Krüger: "Es ist ein Problem der Wahrnehmung, die immer subjektiv ist."

> Karin Werner-Jensen: "Jeder in der Altstadt hat ein Recht auf mindestens acht Stunden Schlaf."

> Zuhörer: "Die Altstadt ist ein Wohngebiet. Wir brauchen eine andere Stadtpolitik und die gleiche Fürsorge für alle."

> Karin Werner-Jensen: "Mir fällt nicht mehr viel ein." (pne)

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Ginge es nach Erichson, dann müsste über das Thema überhaupt nicht mehr diskutiert werden, hätte der Gemeinderat die von der Verwaltung vorgeschlagenen Sperrzeiten von 1 Uhr unter der Woche und 3 Uhr am Wochenende nicht mehrere Male abgelehnt. Der Konflikt sei so lange gelaufen, dass jetzt eine gerichtliche Entscheidung getroffen werden musste. Viel Spielraum für die Lokalpolitik sieht der Bürgermeister daher nicht mehr. "Das lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig."

Doch wie steht Erichson zu flankierenden Maßnahmen, wie sie teilweise vom Gemeinderat beschlossen wurden? Ein Nachtbürgermeister - eine "Totgeburt". Mehr Streetworker - eine "finanzielle Frage". Der Vorschlag Wilsons, dem KOD einen privaten Sicherheitsdienst an die Seite zu stellen - Nonsens ("Es wäre ein Armutszeugnis für die Stadt, wenn wir private schwarze Sheriffs durch die Stadt laufen lassen.") Und ein Alkoholverbot, wie es andere Städte haben - in Heidelberg keine Option. Die Kriminalitätsstatistik gebe das nicht her, so Erichson.

Die Stadt sei nicht Schuld, so Melanie von Görtz, aber sie sei mit in der Verantwortung. Sie ist überzeugt: "Wir haben noch nicht jede Anstrengung unternommen." Görtz machte sich dafür stark, gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts in Berufung zu gehen. "Eine erstinstanzliche Entscheidung kann nicht das Maß aller Dinge sein." Sollten die verordneten Sperrzeiten umgesetzt werden, würde sich das nicht nur auf das Geschäft der Wirte, sondern auch auf die Attraktivität des Standorts Heidelberg auswirken. In der Sperrzeiten-Frage sieht von Görtz eine Frage mit "Tragweite über die Stadt hinaus".

Und welche Sperrzeiten sind nun angemessen? Karin Werner-Jensen hält es für "falsch, in Berufung zu gehen" und die gerichtlich beschlossenen Sperrzeiten infrage zu stellen. Sie bemerkte, dass die Stadt bereits zwei Prozesse gegen die Anwohner verloren habe. Egerding-Krüger gab zudem zu Bedenken, dass im Falle einer Berufung, die gleiche Kammer entscheide, die bereits 2018 im Sinne der Anwohner entschieden habe. Erichson sieht hingegen den Gemeinderat am Zug. Er halte 1 und 3 Uhr noch immer für eine sinnvolle Lösung und wolle dafür kämpfen. Der Vorschlag der Stadt sei es daher, in Berufung zu gehen. Und die Wirte? "Wir müssen wohl mit 1 und 3 Uhr leben", so Wilson.

Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version des Artikels wurde Christoph Egerding-Krüger irrtümlich als Vorsitzender der Bürgerinitiative "LindA" bezeichnet. 

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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