"Ich freue mich, dass ich wieder geachtet werde"
Bernd Miedrich hat den Sprung aus der Obdachlosigkeit in ein bürgerliches Leben geschafft – Jetzt übernimmt er am Schriesheimer Mühlenhof wieder Verantwortung

Er ist wieder ein Mann mit Würde und Selbstbewusstsein: Bernd Miedrich hat einige Jahre auf der Straße gelebt - nun hat er wieder eine Wohnung und Arbeit. Hilfe bekam er unter anderem im Wichernheim der Evangelischen Stadtmission. Foto: Kreutzer
Von Marion Gottlob
Heidelberg. Auf einer Parkbank in Heidelberg ist Bernd Miedrich eines Tages komplett zusammengebrochen. Er lebte seit Jahren auf der Straße - das trieb ihn in die Verzweiflung. Doch der Zusammenbruch war seine Rettung, denn dann kam der große Wendepunkt. Noch in der Universitätsklinik vermittelten ihm Mitarbeiter mitten in der Nacht den wichtigen Kontakt zu Menschen, die ihm Hilfe anboten. Und: Er hat diese Hilfe angenommen und einen Neuanfang gewagt. Heute hat er eine Freundin, eine Wohnung und Arbeit. Der 49-Jährige sagt: "Ich habe mir dieses neue Leben selbst ermöglicht. Heute macht mir das Leben wieder Freude. Jeden Tag bin ich den Menschen, die mir geholfen haben, dankbar."
DAS PORTRÄT
Offen und ehrlich spricht Miedrich über seinen Werdegang. Es gehört zu seiner Wandlung: "Ich habe diese Ehrlichkeit und Offenheit erlernt." Er schluckt nicht mehr alles mit Alkohol herunter, sondern kann jetzt seine Meinung äußern. Vor allem ist er wieder ein Mensch mit Selbstbewusstsein und Würde: "Das klingt vielleicht blöd, aber ich freue mich, dass ich wieder geachtet werde."
Aufgewachsen ist Miedrich in der damaligen DDR im sächsischen Meißen. Schon als Schüler trank er Alkohol, aber nicht besorgniserregend viel. Nach der Schule machte er eine Schlosser-Lehre, arbeitete einige Jahre in seinem Beruf und machte Karriere. "Das hat Spaß gemacht. Alles lief ziemlich gut." Doch dann stellte er einen Ausreise-Antrag in die BRD. Er war mit den Verhältnissen in der DDR nicht einverstanden, er durfte seine Verwandten im Westen nicht besuchen. Er sagt: "Ich hab’ meinen eigenen Kopf, das war schon immer so." Sowie er den Antrag gestellt hatte, wurde das Leben schwierig. Es dauerte Jahre, bis er kurz vor der Wende endlich ausreisen durfte.
Mit dem Zug fuhr er von Chemnitz in den Westen. Er hatte nur seine Kleider am Leib, kein Gepäck. Erst im bayerischen Hof erhielt er seinen Ausweis. "Dann war man einfach da." Nach einem kurzen Intermezzo im Auffanglager ging er nach Stuttgart. Zunächst arbeitete er in einem Betrieb, dann machte er sich selbstständig. Am Anfang lief alles gut, doch dann musste er mit seinem Unternehmen Insolvenz anmelden - da war Miedrich gerade einmal 28 Jahre alt. "Das war kein Zuckerschlecken", sagt er heute. Rund zehn Jahre später machte er sich nochmals selbstständig. Nach einem sehr guten Start kam die zweite Insolvenz. Dann verfiel Miedrich dem Alkohol.
Über Schönau im Odenwald kam er nach Heidelberg. Seinen Kummer betäubte er mit Spirituosen. Er erinnert sich: "Ich hatte keine Wohnung mehr, ich habe mich um nichts mehr gekümmert. Ich wollte von niemandem mehr etwas wissen." Schließlich kaufte er ein Zelt und übernachtete mit seinem Hund im Heidelberger Wald. Tagsüber war er stundenlang in den Straßen der Stadt unterwegs.
Dann kam die Katastrophe. Jemand klaute sein Zelt. Bei der Rückkehr zu seinem Schlafplatz fand er nur noch einige Taschen, Kissen und Decken. "Ich habe einen riesigen Aufstand gemacht." Doch es half nichts. In seiner Verzweiflung setzte er sich auf eine Bank in der Friedrich-Ebert-Anlage und trank sich in die Bewusstlosigkeit. Als jemand in seine Nähe kam, schlug der Hund an und Miedrich stürzte von der Bank. Passanten wählten die Notrufnummer. "Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Boden, es waren Polizei und Sanitäter da."
Noch in der gleichen Nacht schickten Mitarbeiter der Universitätsklinik Miedrich in das Wichernheim der Evangelischen Stadtmission in der Plöck. Er lächelt: "Ich musste den Weg erst suchen." Am nächsten Tag führte er dort ein Aufnahmegespräch: "Ich wollte wieder auf die Füße kommen." Nach ein paar Tagen bekam er ein eigenes Zimmer. Mit Hilfe einer viermonatigen Therapie in Münzesheim im Kraichgau schaffte er den Entzug. "Ich habe seit 2012 keinen Tropfen Alkohol mehr zu mir genommen."
Nach der Therapie fand er ein Dach über dem Kopf in Schriesheim. Er hat wieder den Führerschein für den Pkw und das Motorrad, er darf wieder den Gabelstapler fahren und mit der Kettensäge arbeiten. Einige Zeit war er als Hausmeister beschäftigt. Seit einem Jahr ist er Vorarbeiter im Mühlenhof von Schriesheim. Der Hof mit Gastronomie ist eine Wiedereingliederungshilfe der Evangelischen Stadtmission Heidelberg, es gibt eine Kooperation mit dem Verein Incluso für Menschen mit Behinderung.
Miedrich mag die Arbeit mit den Menschen und in der Natur: "Ich übernehme wieder Verantwortung und ich arbeite mit Wohnungslosen zusammen." Wer könnte das besser als jemand, der selbst einmal ohne Dach über dem Kopf war?