Am Ende kochten bei der Kandidaten-Vorstellung die Emotionen hoch (plus Video)
Bei der Kandidatenvorstellung zur OB-Wahl im SNP Dome kamen 300 Zuschauern, 600 Menschen sahen es online. Von den Favoriten gab es kaum Neues.

Von Sebastian Riemer
Heidelberg. Alle neun Kandidierenden zur OB-Wahl am 6. November haben sich auf Einladung der Stadt am Donnerstag im SNP Dome vorgestellt. So lief der dreistündige Abend:
> Wenig Interesse: Die rund 300 Zuschauer – davon die Hälfte Wahlkampfteams der Kandidaten, Stadträte, Amtsleiter und andere städtische Mitarbeiter – wirkten in der 5000 Menschen fassenden Großsporthalle verloren. Mehr Menschen sahen von zu Hause aus zu: In der Spitze verfolgten rund 600 Interessierte den Online-Livestream.
> Ermüdender Ablauf: Über weite Strecken herrschte eine Atmosphäre des Erduldens. Applaus gab es fast nur von den Unterstützern der Kandidaten. Schon die neun je zehnminütigen Vorstellungsreden ermüdeten viele. Die Getränkestände schlossen pünktlich zu Beginn (!) um 19 Uhr – mitgebrachtes Wasser musste an der Garderobe abgegeben werden.
Als dann nach über 90 Minuten 14 der vom Publikum schriftlich und anonym eingereichten Fragen ausgelost wurden – darunter unsinnige, extrem spezielle und zahlreiche offensichtlich von den Wahlkampfteams stammende –, verließen viele die Halle.
Auch interessant
Ab und zu wurde gelacht, etwa über Satire-Kandidat Björn Leuzinger (Die Partei), aber auch über rhetorische Fehltritte der weniger bekannten Bewerber – und selten auch aus Häme. Am Ende waren sich alle weitgehend einig: Der Abend war zu lang, der Ablauf viel zu formalisiert – und die Veranstaltung bot kaum Erkenntnisgewinn.
> Favoriten blieben ihrem Stil treu: Die drei wichtigsten Kandidaten überraschten weder inhaltlich noch im Stil. Würzner präsentierte sich als abgeklärter, erfolgreicher Amtsinhaber, Bauer als Herausforderin, die endlich schneller und besser umsetzen werde, was Würzner stets nur ankündige – und Michelsburg gab sich dynamisch und tippte extrem schnell sprechend viele Themen mit Schlagworten an.

> Eckart Würzner – "Sie kennen mich": Der parteilose Amtsinhaber (61) erntete von einigen Hohngelächter, als er mit Angela Merkels "Sie kennen mich" begann. Würzner nutzte seine zehn Minuten, um einmal mehr seine Bilanz nach 16 Jahren als OB herauszustellen.
Er habe sich um Familien gekümmert, um gute Schulen ("und zwar für alle"), habe das "Bündnis für Familie" mitgegründet, den Heidelberg-Pass ausgebaut – die Bertelsmann-Stiftung habe gerade wieder die Erfolge Heidelbergs bei der Bildung bestätigt.
"Dieser Standard ist hoch – es gilt, ihn zu halten, mit aller Kraft." Heidelberg habe ein "großartiges soziales Netz", wer Hilfe brauche, bekomme Unterstützung. Er habe günstigen Wohnraum geschaffen, etwa in der Südstadt, und er kündigte neue Wohnentwicklungskonzepte für Boxberg und Pfaffengrund an.
Zudem will er in einem neuen Referat zum Thema Wohnen "die Kräfte bündeln". Er betonte seinen Einsatz für die Kultur ("neue Tanzsparte, international renommierte Festivals, 20 Millionen für den Karlstorbahnhof") und warb für eine Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt.
Beim Klimaschutz verwies er auf "den konsequenten Ausbau von Radnetz und ÖPNV" – und zwar "mit den Menschen, nicht gegen sie". Und er versprach: "Ich garantiere Ihnen, dass wir in unserem direkten Verantwortungsbereich 2030 klimaneutral sind."

> Theresia Bauer – "Weiter wie bisher ist kein Weg zum Erfolg": Nach einem Lob für die "besonderen Menschen in Heidelberg, die gute Ideen haben, die Stadt am Laufen halten, sich ehrenamtlich engagieren", widmete Grünen-Kandidatin Bauer (57) sich der Würzner-Kritik samt Ankündigungen, was sie besser machen werde: Es gebe viele ambitionierte Ziele, es mangele aber an der Umsetzung, am Tempo.
Die Devise "Weiter wie bisher" sei kein Weg zum Erfolg. Mache die Stadt beim Klimaschutz so weiter, dauere es bis zur Klimaneutralität "bis 2100". Bauer versprach eine "strategische Steuerung", auf allen geeigneten Dächern Solaranlagen und eine komplett klimaneutrale Fernwärme bis 2030.
Statt einer "jahrelangen Großbaustelle Neckarufertunnel", der "null Fortschritt für Sicherheit, Klima, Gesundheit" bringe, wolle sie das Geld lieber für Rad- und Nahverkehr ausgeben. Beim Bauen fehle der Fokus auf Bezahlbarkeit, "siehe Bahnstadt".
Sie als Oberbürgermeisterin werde "das Bauen ausrichten auf diejenigen, die es wirklich brauchen" und eine aktive Wohnungspolitik für "normale Leute mit normalen Einkommen" betreiben. Zudem fehle unter Würzner beim Umsetzen der Politik das Miteinander: So viele "Bürgerentscheide gegen die Stadtspitze kenne ich aus keiner anderen Stadt".

SPD-Kandidat Sören Michelsburg kündigte an, bessere Lösungen für die Probleme in Heidelberg zu finden. Foto: Rothe
> Sören Michelsburg – "Bei mir wissen Sie, dass zwei Amtszeiten möglich sind": SPD-Kandidat Michelsburg (34) sprach so schnell, dass seine Unterstützer es schwer hatten, Stellen zum Klatschen zu finden. Er wollte in zehn Minuten möglichst viel unterbringen, präsentierte viele Slogans aus seinem Wahlprogramm.
Als Stadtrat sehe er, dass die Lösungen in Heidelberg oft nicht zu den Problemen passten. Nach Angriffen auf Bauer ("Hat sich beim Faulen Pelz und der Straßenbahn ins Neuenheimer Feld nicht für Heidelberger Belange eingesetzt") und sowohl die Grünen als auch Würzner ("Geben sich weltoffen, wollten aber Geflüchtete auf den Wolfsgärten zwischen Autobahn und Gleisen ausschließen") versprach er eine Stadt, in der sich jeder das Wohnen leisten könne, "nicht nur die oberen zehn Prozent".
Würzners Referat für Wohnen – ein Vorschlag Michelsburgs – kommentierte er so: "Da frage mich, was in den letzten 16 Jahren passiert ist." Er wolle ein Mobilitätsticket für alle Verkehrsformen, eine Seilbahn über den Neckar, ein sicheres Radwegenetz, ein neues Hallenbad in der Innenstadt, gebührenfreie Kitas und ein selbstverwaltetes Jugendkulturzentrum im alten Karlstorbahnhof. Mit Verweis auf das Alter seiner Mitbewerber warb Michelsburg am Ende damit, dass man bei ihm wisse, "dass zwei Amtszeiten möglich sind".

> Bernd Zieger – "Bleibt Heidelberg eine Stadt der Reichen?": Die-Linke-Stadtrat Bernd Zieger (54) stellte zu Beginn vier Fragen: "Wie geht es weiter in PHV? Wird genügend bezahlbarer Wohnraum geschaffen? Schaffen wir es, bis 2030 klimaneutral zu werden? Bleibt Heidelberg eine Stadt der Reichen?" Weil es bislang keine befriedigenden Antworten gebe, "brauchen wir einen neuen Oberbürgermeister". Deshalb trete er an.
In seiner engagierten Rede, während der Zieger die Aufregung anzumerken war, deklinierte er sein Programm durch – vor allem zu seinem Hauptthema bezahlbares Wohnen: Zieger fordert mehr Sanierung statt Abriss (etwa in PHV) und generell 50 Prozent Sozialwohnungen im Neubau. Er habe lange für ein Sozialticket gekämpft, so Zieger – und freue sich über das Drei-Euro-Ticket für junge Leute und Menschen mit wenig Geld: "Ich setze mich dafür ein, dass es dauerhaft bestehen bleibt."
In Sachen Kultur will Zieger "auch nicht kommerzielle Kultur fördern" – die Großen würden schon genug gefördert. "Und es mag schön sein, wenn es große Sponsoren gibt – aber es kann doch nicht sein, dass Multimillionäre darüber bestimmen, wie unsere Stadthalle künftig aussieht." Wer einen sozialen und ökologischen Wandel in Heidelberg wolle, solle ihn wählen.

> Sofia Leser – "Mir reicht es mit dieser Art von Politik": Die parteilose Sofia Leser (27) verwandte den ersten Teil ihrer Rede auf eine Tirade: "Ich stehe heute hier, weil ich wütend bin!" Sie sei wütend darüber, wie "auf korrupt-legale Art Geschäfte gemacht werden", ohne zu erklären, was sie damit meinte.
Sie sei wütend über den "seine Person glorifizierenden" Amtsinhaber, "der absolut keinen Plan hat, was in Heidelberg wirklich abgeht", der nicht zuhöre und nicht reagiere auf Bitten um Hilfe von Unternehmen, Gastronomen und Kulturtreibenden.
Dann wandte Leser ihre Wut auf Theresia Bauer, die angeblich selbst bei den Grünen "nicht so beliebt" sei. Bauer sei mit ihrer Politik als Wissenschaftsministerin dafür verantwortlich, dass Lesers Freunde aus dem Ausland, die gerne in Heidelberg studieren würden, zehnmal mehr Studiengebühren zahlen müssten.
Gleichzeitig spreche Bauer davon, dass Bildung zugänglicher für alle gemacht werden müsse: "Was für eine Heuchelei!", so Leser. Ihr reiche es mit dieser Art von Politik. Sie glaube daran, "mit Ehrlichkeit, Transparenz, Respekt und Liebe ein sozial und ökologisch gerechtes Heidelberg schaffen zu können". Sie sei nicht auf der Suche nach einer politischen Laufbahn, aber sie kandidiere, weil es dringend mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten für alle und mehr Transparenz in Heidelberg brauche.

> Björn Leuzinger – "Wenn dann Möhren": "Die Partei"-Stadtrat und Satire-Kandidat Björn Leuzinger (33) hielt eine mit Beleidigungen gespickte Rede, bezeichnete etwa den Gemeinderat als "Spielwiese narzisstischer Persönlichkeiten" und die beiden Top-Favoriten mal als "machtbesessene Wahnsinnige", mal als "wahnsinnige Machtbesessene".
Inhaltlich kritisierte er Amtsinhaber Würzner, der "entgegen seiner Wahlkampfbehauptung, alle Flächen erhalten zu wollen, Ochsenkopfwiese und das Gewann Wolfsgärten bebauen" habe wollen. Ersteres habe "eine kluge Flasche Bier" verhindert (damit spielte Leuzinger auf eine Abstimmung im Gemeinderat an, bei der er seine Entscheidung mithilfe einer Flasche "Welde" gefällt hatte), zweiteres ein von ihm unterstützter Bürgerentscheid.
Ansonsten machte Leuzinger sich über den Slogan seines Mitbewerbers Sören Michelsburg ("Wenn dann Möhren" statt "Wenn dann Sören") lustig und brachte seine üblichen Vorschläge: Zeppelinverkehr, Schloss zum Dom umbauen, Bierbrunnen auf allen Verkehrskreiseln, Freibad auf der Thingstätte. Als Leuzinger fertig war, rief eine Zuschauerin laut in Anspielung an eine Fastnachtsveranstaltung: "Tärää, Tärää, Tärääää".

> Angeliki Papagiannaki-Sönmez – "Damit Sie eine Auswahl haben": Die Lehrerin und ehemalige Unternehmerin Angeliki Papagiannaki-Sönmez (53, "Heidelberg in Bewegung") erklärte anfangs: "Demokratie, Inklusion, Vielfalt, Kunst und Kultur ist nichts, was mich erst seit dem Wahlkampf beschäftigt, sondern mich als Bürgerin immer betroffen hat."
Sie sei "beharrlich, mit Herz und Ehrlichkeit, mutig und resilient". Sie versprach, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern und der Stadtverwaltung umzudenken, sie habe "Perspektivwechsel und umsetzbare Lösungen verinnerlicht". Konkrete Themen sprach Papagiannaki-Sönmez kaum an.
Deutlich wurde in ihrer Rede, dass eine frühe Bürgerbeteiligung, die alle anspricht, ihr wichtig ist. Das breit aufgestellte Engagement der Menschen in Heidelberg sei ein Glücksfall für die Stadt – die Expertise der Bürgerschaft sei es gewesen, die "vier große Entscheidungen des Gemeinderats abgewendet hat", sagte die 53-Jährige mit Blick auf die Bürgerentscheide der letzten Jahre.
"Daran war deutlich zu erkennen, wie groß die Kluft zwischen Oberbürgermeister inklusive Stadtverwaltung sowie Gemeinderat und den Bürgerinnen und Bürgern ist." Sie stehe zur Wahl, "damit Sie eine Auswahl haben", sagte sie – aber auch: "Ich stelle mich zur Wahl, um zu gewinnen."

> Mathias Schmitz – "Neckargänse zu Räucherwurst machen": Der parteilose Physiker und selbstständige IT-Fachmann Mathias Schmitz (62) hatte an diesem an Skurrilitäten nicht armen Abend den wohl skurrilsten Auftritt. Der alles andere als geübte Redner kämpfte mit seinem Manuskript und sorgte immer wieder für Gelächter – ob absichtlich oder unfreiwillig, war nicht immer ganz klar. Oft lachte er mit.
Schmitz sprach eine ganze Reihe von Themen an, von denen viele keine Relevanz für eine OB-Wahl haben: So schlug er – statt einer Frauenquote – "eine demokratische Abstimmung nach Geschlecht" vor. Die Wahlurnen der Frauen sollten rot, die der Männer blau sein – so könnten die Gewählten dann spezifisch auf die Belange der Geschlechter eingehen.
Die Gänse auf der Neckarwiese will Schmitz bejagen (was dort rechtlich gar nicht möglich ist) und zu Räucherwurst verarbeiten. In der Altstadt will er eine Bierpreis-Flatrate in den Kneipen einführen – und zugleich den Alkoholkonsum auf öffentlichen Plätzen verbieten.
Der 62-Jährige hatte aber auch einige weniger abwegige Themen: So solle PHV "ohne große Umbauten geöffnet und kurzfristig bewohnt werden". Eine Straßenbahn dorthin brauche es nicht – der Stadtteil sei zu klein, Busse würden ausreichen. Inmitten seiner Ausführungen entwich Schmitz ein lauter Seufzer, womit er den Nerv eines Teils des Publikums traf – manche lachten an dieser Stelle am lautesten.

> Sassan Khajehali – "Ich bin etwas unorthodox": Die verwirrendste Rede hielt der parteilose Übersetzer und Sprachlehrer Sassan Khajehali (57). Zunächst machte er deutlich, dass er und die anderen fünf Außenseiter-Kandidaten keine Chance hätten.
Er sprach aus Erfahrung: 2006 hatte er schon bei der OB-Wahl kandidiert – und 170 Stimmen (0,38 Prozent) geholt. Sein Plan: "Wir können den großen Drei ein paar Hundert Stimmen wegnehmen – und dann müssen Sie vielleicht auf uns zukommen und nach unseren Wählergruppen fragen: Dann werden wir einiges verlangen!"
2006 habe Würzner ihn tatsächlich nach der Wahl um Unterstützung geben. Er, Khajehali, habe "im Gegenzug verlangt", ein viertes Dezernat mit dem Amt eines Integrationsbürgermeisters einzurichten. Und so sei es dann gekommen. "Wer weiß, vielleicht hat Herr Erichson seinen Job mir zu verdanken", sagte Khajehali – und da musste auch Würzner laut lachen.
Dann zog der gebürtige Iraner das Buch "Nicht ohne meine Tochter" hervor, in dem Betty Mahmoody die Flucht vor ihrem Ehemann, der sie und ihre Tochter nicht aus dem Iran ausreisen lassen wollte, thematisiert. Warum Khajehali das Buch dabei hatte, blieb unklar – schließlich warf er es jemandem im Publikum zu. "Ich bin etwas unorthodox", gab der 57-Jährige zu. Seine einzige inhaltliche Idee: Damit Heidelberg internationaler wird, solle das ehemalige Gefängnis Fauler Pelz zum "Zuhause von Studenten und Umweltaktivisten" werden.
> Der emotionalste Moment: Nach zweieinhalb Stunden kochten die Emotionen überraschend hoch. Bei der Frage, wie Bauer dafür sorge, dass leer stehende Gebäude schneller genutzt werden, wandte sie sich direkt an Würzner, der neben ihr saß.
Zur Entwicklung von Patrick-Henry-Village sagte sie: "Manchmal hat man den Eindruck, Sie haben das eigentlich nie gewollt, Herr Würzner" – und spielte auf Würzners USA-Reise 2010 an, bei der er versucht hatte, den Abzug der US-Armee aus Heidelberg zu verhindern.
Wegen der strengen Formalia durfte Würzner auf diesen Angriff nicht antworten. Aber seine Unterstützer – etwa CDU und "Heidelberger" – taten lautstark ihren Unmut kund und riefen Bauer Grobheiten zu. Als stellvertretender Vorsitzender des Gemeindewahlausschusses schritt Veranstaltungsleiter Wolfgang Erichson ein: "Das ist nicht unsere Kultur in Heidelberg, Kandidaten am Reden zu hindern. Wir alle hören heute Dinge, die uns den Kamm schwellen lassen, aber jeder Kandidat hat das Recht zu sagen, was er für richtig hält."