Wenn die Stadt das VRN-Ticket, das Lastenrad oder das Auto sponsert
So fördert die Kommune den Verzicht auf das Auto und den Kauf umweltschonender Fortbewegungsmittel - Umweltforscher lehnt im Interview die Autokauf-Subventionen ab

Von Götz Münstermann
Heidelberg. Ein Jahr mit Bus und Bahn durch die Metropolregion fahren und das Ganze zahlt das Heidelberger Rathaus? Das geht. Einen kräftigen Zuschuss zum neuen – aber umweltschonenderen – Auto aus dem Stadtsäckel erhalten? Auch das ist möglich. Ein schickes Lastenrad für die Einkäufe anschaffen? Selbst das bezuschusst die Stadt Heidelberg. Alles in allem können Einwohner der Stadt auf einen Topf von 235.000 Euro pro Jahr zurückgreifen. Doch der Erfolg des Aktionsprogrammes ist bislang kaum messbar. Im Interview (siehe unten) fordert der Umweltforscher Dieter Teufel vom Umwelt und Prognose-Institut Heidelberg, das Programm erheblich auszubauen - aber nur in wenigen Bereichen.
VRN-Jahresticket als Prämie
Über 1046 Euro kostet das Rhein-Neckar-Ticket für Bus und Bahn im Jahr. Und das gibt es für jeden Heidelberger kostenlos, der auf sein Auto verzichten kann oder verzichten will. Wer sein Fahrzeug stilllegt oder verkauft (und kein neues anschafft), bekommt auf Antrag im Rathaus das Rhein-Neckar-Ticket des VRN quasi als Prämie für ein Jahr.
Es ist zwar gar nicht so leicht, dieses Förderprogramm auf heidelberg.de zu finden. Und im Bürgeramt des Rathauses weiß man auf Anhieb auch nicht Bescheid. Doch die Prämie für den Autoverzicht scheint sich gerade richtig herumzusprechen, nachdem es in den letzten Jahren leichte Rückgänge gab. Allein in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 wurden schon 38 Rhein-Neckar-Tickets von der Stadt gezahlt – mehr als die Hälfte der Anträge im vergangenen Jahr. Eigentlich sind im Rathaus nur 50.000 Euro, also 50 Anträge pro Jahr, für diese Autoverzichtsprämie vorgesehen. "Bisher wurde aber kein Antrag abgelehnt", so Sabine Lachenicht vom Heidelberger Umweltamt. Mehranträge konnten mit anderen Töpfen, die nicht ausgeschöpft wurden, ausgeglichen werden.
Im Umweltamt wird geschätzt, dass etwa 40 Prozent der Antragsteller tatsächlich ihr Auto stilllegen. Ein schlechtes Gewissen braucht man aber nicht zu haben, wenn man stattdessen sein altes Auto verkauft hat. Denn das Auto weiterzufahren anstelle es zu verschrotten sei für die Gesamt-Ökobilanz besser, statt immer neue und mit viel Energie gebaute Autos zu kaufen, so Lachenicht.
Das Antragsformular gibt es online hier und das sendet man mit dem Verkaufsvertrag oder der Stilllege-Bescheinigung ans Umweltamt. Mit dem genehmigten Antrag geht man dann zum RNV-Kundencenter, wo man das Rhein-Neckar-Ticket für ein Jahr ausgestellt bekommt.
Lastenräder- und Anhänger-Zuschuss
Seit Ende 2017 bekommen Heidelberger auch einen Zuschuss für den Kauf eine Lastenrades – egal ob mit helfendem Elektromotor oder nur mit Muskelkraft betrieben - sowie für Radanhänger zum Transport größerer Dinge.
> 33 Lastenpedelecs wurden im vergangenen Jahr mit jeweils 500 Euro bezuschusst. Bei Anschaffungspreisen bis zu 4000 Euro ist so eine Hilfe aus dem Stadtsäckel nicht von der Hand zu weisen. In diesem Jahr wurden von Januar bis März schon 7 Elektro-Lastenräder bezuschusst.
> Bei muskelbetriebenen Lastenrädern ist die städtische Förderung nicht so stark nachgefragt. Kein Wunder: Ist doch eine Voraussetzung für die Förderung, dass bis zu 40 Kilogramm zugeladen werden können. Das kostet Kraft und da hat man lieber einen strombetriebenen Zusatzmotor. Hier wird auch nur mit der Summe von 300 Euro gefördert.
> Lastenanhänger für's Rad hingegen sind beliebt bei den Antragstellern im Rathaus: 42 Mal wurden im vergangenen Jahr 100 Euro für die Neuanschaffung von der Stadt gezahlt. Im ersten Quartal 2019 haben schon 9 Heidelberger ihren Radanhänger mit Rathausgeld sponsern lassen.
Im Heidelberger Umweltamt geht man weniger von einem Hype bei den Lastenrädern, sondern von einer Trendwende aus. "In Heidelberg sind viele Bürger offen für eine andere Mobilität", schätzt Sabine Lachenicht, geht aber auch davon aus, dass die meisten Nutzer der Lastenräder dafür nicht generell auf ihr Auto verzichten.
Wichtig: Heidelberg bezuschusst nur Neuanschaffungen, keine gebrauchten Lastenräder oder Anhänger. Auch Umrüstungen werden nicht bezuschusst.
Förderung von Elektro-, Hybrid-, Erdgas- und Brennstoffzellen-Autos
Die höchsten Fördersätze gibt es bei der Stadt Heidelberg für die Neuanschaffung eines Fahrzeuges (oder Jahreswagens) mit umweltschonenderen Antrieben. Im Gegensatz zur Förderung der Lastenräder werden hier teilweise auch Gebraucht- oder Jahreswagen gefördert (Details hier)
> Autos mit Erdgas-Motor werden seit 2005 mit 1000 Euro gefördert, wobei: Die sind eigentlich nur gut für das städtische Klima wegen der niedrigen Stickstoffdioxid-Abgase. Kohlendioxid-Schleudern sind diese Verbrennungsmotoren trotzdem. Langfristig würde das Heidelberger Umweltamt empfehlen, aus der Förderung der Erdgas-Autos wieder auszusteigen. Mit der Förderung ab 2005 sei es auch darum gegangen, einer neuen Technologie eine Anschubfinanzierung zu geben.
> Die Anschaffung eines Hybrid-Autos, das sowohl einen Verbrennungs- wie auch einen Elektromotor hat, wird mit 1000 Euro bezuschusst. Seit 2011 hat die Stadt Heidelberg hier Neuanschaffungen unterstützt, allein 2017 41 Hybrid-Autos und im Jahr 2018 47. Im ersten Quartal 2019 waren es schon 12. Der Anstieg kann einerseits mit der Diesel-Krise zu tun haben. Seit 2018 können aber auch das städtische und andere Förderprogramme kombiniert werden.
> Für Elektroautos legt das Rathaus beim Neukauf bis zu 2000 Euro (bzw. 10 Prozent des Kaufpreises) drauf - Voraussetzung: Die Batterien werden mit Strom aus erneuerbaren Energien geladen. Doch die geförderten Neuanschaffungen in den vergangenen Jahren lagen weit unter denen der Hybride. In diesem Jahr waren es im ersten Quartal immerhin schon 7 geförderte Elektroautos. Eine Zunahme der Heidelberg-Förderung ist zu erwarten, da diese jetzt mit anderen Förderprogrammen beim Autokauf kombiniert werden kann. Ob es aber zu einem Boom bei den E-Autos kommt, das hängt nach der Einschätzung des Heidelberger Umweltamtes auch mit dem Ausbau der öffentlichen Ladestationen ab. Deswegen kann jetzt auch für den Bau einer öffentlich zugänglichen Ladestation eine Heidelberg-Förderung von bis zu 10.000 Euro beantragt werden.
> Autos mit Brennstoffzellen bekommen in Heidelberg den höchsten Zuschuss von bis zu 10.000 Euro (bzw. 20 Prozent des Kaufpreises) pro Kauf und Heidelberger. In der Brennstoffzelle wird der getankte Wasserstoff beim Verbrennen in elektrische Energie umgewandelt. Das sind zwar die saubersten Motoren, die es derzeit gibt, aber in Heidelberg soll die erste Tankstelle erst in diesem Jahr in Betrieb gehen. So lange muss man noch in Hirschberg an die Wasserstoff-Zapfsäule fahren. Und solch eine Anschaffung hat derzeit ihren Preis: Ein Neuwagen mit Brennstoffzelle kostet um die 70.000 Euro.
Was bringt dieses Heidelberger Förderprogramm?
Wesentlich gesunken ist die Zahl der zugelassenen Autos in Heidelberg nicht. Insgesamt gibt es in Heidelberg mehr Autos als vor zehn Jahren und mit 406 Fahrzeugen pro 1000 Einwohner im Jahr 2017 liegt man 0,8 Prozent unter dem Wert aus dem Jahr 2007 (409). Und die Zahl der Autos mit alternativen Antrieben in Heidelberg macht wohlwollend gerundet etwa 5 Prozent aller zugelassenen Pkw in der Stadt aus. Von fast 60.000 zugelassenen Autos in der Stadt hatten im Januar 2018 155 einen Erdgas-, 353 einen Hybrid- und 94 einen Elektromotor - wobei bei den Elektromotoren im Januar 2019 ein riesiger Sprung zu verzeichnen ist.
Was also bringt das Programm, das der Heidelberger Gemeinderat beschlossen hat, wirklich außer einem teils ansehnlichen Zuschuss beim Kauf eines neuen Autos oder Lastenrades? Für eine Bewertung im Heidelberger Umweltamt will man sich dort nicht so weit aus dem Fenster lehnen. Ziel sei, dass die Förderung des Autoverzichts mit dem Rhein-Neckar-Ticket und die Förderung von Lastenrädern stärker genutzt werde. Bus und Bahn müssten ausgebaut und gerade Pendlern aus dem Umland Umstiegsangebote mit Park&Ride-Parkplätzen gemacht werden. Im Interview unten nimmt der Umweltexperte Dieter Teufel Stellung zu dem Programm.
Interview zum Heidelberger Förderprogramm Umweltfreundlich mobil:
Autos will Dieter Teufel nicht fördern lassen
Heidelberg. (mün) Das Heidelberger Förderprogramm für umweltfreundlichere Mobilität ist verhältnismäßig klein. Trotzdem sieht Dieter Teufel, Diplom-Biologe und Leiter des Heidelberger Umwelt und Prognose-Instituts, die Stadt auf dem richtigen Weg. Allerdings nicht, wenn es um die Zuschüsse zum Kauf von Elektro- oder Hybrid-Autos geht.
Herr Teufel, Heidelberg belohnt mich einmalig mit einer VRN-Jahreskarte, weil ich auf mein Auto verzichte. Ist das ein Schnäppchen oder eine sinnvolle Maßnahme?

Es ist auf alle Fälle sinnvoll, um einen Anreiz für den Umstieg zu geben. Die Maßnahme hat einen Energie- und Kohlendioxid-Spareffekt. Außerdem verbrauchen Sie jetzt weniger Platz auf der Straße mit ihrem Rad, das Unfallrisiko ist geringer und Bus und Bahn sind auch abgasärmer. Das interessante ist, dass es die Stadt nichts kostet.
Wieso? Die Stadt Heidelberg hat für mich jetzt 1000 Euro für die Jahreskarte gezahlt?
Die Stadt gibt dem ÖPNV jedes Jahr 25 Millionen Euro zur Abdeckung des Defizits. Wenn man einen Teil dieses Geldes den Menschen gibt, damit sie sich ein Jahresticket kaufen, dann bekommt der ÖPNV das Geld auch. Viele werden dann umso mehr Bus und Bahn fahren, weil sie eben kein Auto mehr brauchen. Das wäre ökologisch sinnvoll und unter dem Strich kostet es nichts. Mit 25 Millionen Euro könnte man im Jahr 25.000 VRN-Jahrestickets mit Gültigkeit im ganzen Verkehrsverbund kaufen und die zum Beispiel an Menschen vergeben, die hierher ziehen und dann ein Jahr das Leben ohne Auto testen können.
Und dann? Nach einem Jahr müssen die Menschen doch selbst die 1000 Euro für die Jahreskarte zahlen.
Man könnte sich hier am Wiener Modell orientieren: 1 Euro am Tag bzw. 365 Euro im Jahr. Das wurde zum Erfolg, die Zahl der Jahreskarten hat sich mehr als verdoppelt und hat die Einnahmen nicht verringert. Das würde sich lohnen, wenn man schaut, was das eigene Auto kostet. Die SPD hat diesen Vorschlag in Heidelberg gemacht.
Was nutzt die Förderung von Lastenrädern und -anhängern? Ist das nur ein Hype?
Das ist schick, aber es ist vor allem praktisch. Man kann schnell und flexibel Lasten transportieren, den Kindern macht es auch Spaß, wenn sie drin sitzen. In Holland hat sich das schon seit Jahrzehnten durchgesetzt. Wenn man am Hang wohnt oder hohe Lasten transportieren will, ist der E-Antrieb eine sinnvolle Sache.
Wie beurteilen Sie das Förderprogramm für Privat-Autos mit umweltschonenderen Motoren?
Das ist im Vergleich ökologisch nicht sinnvoll. Elektro- und Hybrid-Autos erhöhen in Deutschland die CO2-Emissionen.
Das verstehe ich nicht: Jedes Elektroauto soll doch besser als ein Benziner sein?
Das stimmt für ein einzelnes Auto gerechnet: Der CO2-Ausstoß ist fünf bis sieben Prozent geringer als bei einem Benziner - Herstellung und Betrieb mit eingerechnet. Das Problem sind die EU-Regelungen für die Autoindustrie.
Die EU hat festgelegt, dass Elektroautos für die Konzerne "Null-Emissions"-Autos sind. Das steht auf dem Papier, ist aber nicht die Realität. Mit jedem angeblichen "Null-Emissions"-Auto werden die Grenzwertüberschreitungen der neuen SUV im Autokonzern verrechnet. So kann ein Autohersteller mit einem Elektroauto fünf bis sieben schwere und umweltschädliche SUV verkaufen, die den CO2-Grenzwert überschreiten, bei einem Hybridauto sind es etwa drei. So wird es mehr Autos mit höheren CO2-Emissionen geben.
Und deswegen sind Sie gegen die Förderung beim Kauf von Autos mit diesen neuen Antrieben?
Damit wird letztlich der Absatz der Autoindustrie angekurbelt. Und durch den oben erklärten rechnerischen Trick wird es zu mehr Kohlendioxid-Emissionen kommen. Der Klima-Effekt ist gleich Null. Diese Zusammenhänge werden übrigens in den meisten Ökobilanzen für E-Autos ausgeklammert. Nur wenn man kleinere, leichtere und sparsamere Autos herstellt oder weniger mit dem Auto fährt, haben wir einen Effekt für das Klima und die Umwelt.
Erdgas, Hybrid, Elektro und Brennstoffzelle - welche Förderung könnte sich Heidelberg sparen?
Heidelberg sollte das Geld lieber sinnvoller ausgeben: Für eine Verkehrswende, damit die Menschen andere Verkehrsmittel nutzen können. E-Scooter sind zum Beispiel viel sinnvollere Verkehrsmittel: Sie verbrauchen weniger Platz auf der Straße, haben nur ein Dreißigstel der Emission eines Autos. Und wenn sie sich Madrid oder Paris anschauen, dann muss auch der Straßenraum neu verteilt werden. Die Radwege in Heidelberg werden dafür nicht ausreichen. Da wäre es sinnvoll, Geld auszugeben.
Das wird die Autofahrer nicht freuen.
Man muss halt an die Privilegien des Autoverkehrs ran. Die Autofahrer verursachen in Heidelberg rund 90 Prozent aller CO2-Emissionen des Personenverkehrs.
Wie beurteilen Sie dieses Heidelberger Förderprogramm insgesamt?
Bei Lastenrädern und Autoabschaffungsprämie halte ich das für sinnvoll. Immerhin 280 Fahrzeuge wurden bisher schon abgemeldet und das ist ökologisch und ökonomisch sinnvoll.
Trotzdem ist die Gesamtzahl der Autos in Heidelberg nicht gesunken, die Zahl der Autos mit alternativen Antrieben ist im Vergleich verschwindend gering.
Wir sind noch weit von einer Verkehrswende entfernt. Positiv ist immerhin, dass sich die Zahl der Autos pro 1000 Einwohner leicht verringert hat. So ein Förderprogramm kann die fast 60.000 Pkw in der Stadt nicht erheblich verringern. Aber die Richtung stimmt. Ein konkreter Vorschlag wäre, die positiven Erfahrungen mit einem Jahresticket bei Autoverzicht in die Nachbargemeinden zu übertragen. Die Hälfte des Autoverkehrs in Heidelberg kommt von Menschen, die außerhalb wohnen. Gerade dort, wo es ein gutes S-Bahn-Netz gibt, könnten Pendler dann ein Jahr auf Probe den Umstieg auf Bus und Bahn ausprobieren. Das sollte man in der Region zur Sprache bringen.
Und wie würden Sie das Mobilitätsverhalten der Heidelberger fördern und beeinflussen?
Ich würde die Subventionen nutzen, um Jahrestickets zu kaufen; die Tarife senken wie beim Wiener Modell; mehr Busse und Bahnen kaufen und auf die Straße bringen. Es ist ja ein Treppenwitz, wenn Heidelberg die Linie 24 für die Pendler nach Schriesheim und Weinheim verlängern will und die RNV sagt, sie habe nicht genug Bahnen dafür. Und der Radverkehr und die neuen Verkehrsmittel haben ein Riesenpotential in der Stadt und im Umland.