Mediziner entwickelte Apps für Haut- und Intimkrankheiten
Modellprojekt in Heidelberg - Der Online-Doc kann effizienter arbeiten

Von Birgit Sommer
Heidelberg. In Zeiten, in denen Kassenpatienten wochenlang auf einen Facharzttermin warten müssen, schlagen die von Dr. Titus Brinker entwickelten Apps richtig ein. Bei "AppDoc" und "Intimarzt" kann man Fotos und ausgefüllte Fragebögen über Smartphone oder Internetseite (hier aber nicht mit Klarnamen-E-Mail) anonym und datengeschützt an Ärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten senden. Man bezahlt eine Service-Gebühr von 24,95 Euro und bekommt im Idealfall schon nach einer Stunde, spätestens aber nach acht Stunden die Rückmeldung.
Dahinter stecken drei erfahrene Hautärzte aus Heidelberg, Hendrike und Benjamin Durani sowie Martin Jansen. Die Landesärztekammer Baden-Württemberg hat den digitalen Facharztbesuch als Modellprojekt genehmigt. Wie gut er funktioniert – bei "AppDoc" wurden seit 2018 über 3000 Patienten gezählt, bei "Intimarzt" seit März 2019 über tausend aus ganz Deutschland und darüber hinaus –, hat die Uniklinik in Essen untersucht. "In über 90 Prozent der Fälle ist eine sichere Diagnose möglich", sagt Titus Brinker, "rund 70 Prozent der Patienten müssen nach der Online-Beratung nicht mehr in die Praxis kommen." Bei ihren Hautproblemen tun es dann die Tipps des Arztes, etwa der Erwerb von freiverkäuflichen Medikamenten oder auch mal Umschläge mit Schwarztee.
Krankheiten im Intimbereich sind oft mit Schamgefühlen verbunden und werde gerne verschleppt. Hier hofft der App-Entwickler, dass der Online-Zugang den Arztbesuch einfacher macht. Die Befundung sei sogar effizienter, sagt Brinker: "Ein digitales Bild hat mehr Pixel, als die Netzhaut auflösen kann. Man kann in die Hautläsionen richtig reinzoomen."
Titus Brinker ist nicht nur Assistenzarzt in der Universitätshautklinik, sondern auch Leiter der Abteilung App-Entwicklung am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) mit neun Mitarbeitern. "Smokerface" und "Sunface" waren die ersten Apps, die der 29-Jährige entwickelte. Und schon zuvor hatte ihn die Bundeskanzlerin für seine studentische Vereinsgründung "Aufklärung gegen Tabak" ausgezeichnet, die inzwischen in 14 Ländern existiert.
Auch interessant
Mit Lungenkrebs-Warnungen, das wusste Brinker, lassen sich junge Menschen nicht beeindrucken. Er packt sie über die Eitelkeit. Seine App "Smokerface" zeigt die Folgen des Rauchens im Gesicht in 3D, an Oberlidern, Mundwinkel, Teint. Was er besonders beeindruckend findet, ist der Verlust an Lippenvolumen. 700.000 Menschen hat bis jetzt interessiert, wie alt das Rauchen macht. Und weil Sonnenbräune immer noch als schön und gesund gilt, schob Brinker gleich die ebenfalls kostenlose App "Sunface" nach. Damit kann man simulieren, wie die eigene Haut, mit Sonnenstrahlen und Solarium traktiert, in 15 oder 25 Jahren aussehen wird – auch sie mit Runzeln, Leberflecken, schmalen Lippen. In Zeiten von Instagram und Schönheitswahn ist das durchaus ein Argument. "Schon vor einem Sonnenbrand kommt es zu DNA-Mutationen in der Haut", weiß der Mediziner, "90 Prozent der Melanome entstehen durch hohe UV-Bestrahlung. Die könnte man vermeiden." Auch den weißen Hautkrebs sieht Brinker täglich in der Hautklinik, meist bei Männern mit wenigen Haaren auf dem Kopf. Seine Empfehlung: Immer, auch in der Wintersonne, Cremes mit mindestens Lichtschutzfaktor 15 auftragen.
Pharmafirmen und Hersteller von Sonnenschutzmitteln haben Titus Brinker längst Verträge angeboten. Er sollte in Thinktanks eintreten, Vorträge halten oder für Sonnenschutzmittel werben. Das hat er immer abgelehnt: "Ich will als neutral wahrgenommen werden." Doch hart sei es schon, Tausende von Euros auszuschlagen, wenn man als Assistenzarzt elf Euro pro Stunde verdiene, lacht er dann.
Die Ideen gehen ihm nicht aus. So soll man künftig über die Apps auch ein E-Rezept ausgestellt bekommen. Dazu will er mit lokalen Apotheken zusammenarbeiten. Und das Thema Einsamkeit treibt ihn um. Der junge Mediziner würde gerne digitale Selbsthilfegruppen beispielsweise für Tumorpatienten schaffen.