Idylle in der Parklücke - wem gehört die Straße?
Larissa Weigel schuf sich einen Sonnenplatz am Straßenrand, wo sonst Autos parkten. Ein Nachbar informierte daraufhin die Polizei.

Von Anica Edinger
Heidelberg. Von 15 bis 16 Uhr scheint die Sonne in Larissa Weigels Auffahrt in der Türmergasse in Kirchheim. Sie packt dann ihren Bistrotisch aus, stellt sich einen Stuhl dazu, macht sich einen Kaffee und liest Zeitung. Das ist für Larissa Weigel die perfekte Idylle, vor allem, wenn der Frühling sich in Heidelberg von seiner schönsten Seite zeigt – wie in den vergangenen Tagen. Doch was, wenn die Sonne aus der Auffahrt verschwindet? "Die meiste Zeit sitze ich im Schatten", berichtet Weigel.
Und das, während auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Sonne auch noch nach 16 Uhr strahlt. Nur: Dort parken Autos am Fahrbahnrand. Als Larissa Weigel eines Tages also wieder im Schatten saß und gegenüber die Sonne in eine Parklücke schien, fasste sie sich ein Herz, nahm Tisch und Stuhl, Zimmerpflanze, Kaffee und Zeitung – und baute sich einen Sonnenplatz in der Parklücke auf. "Das war toll", schwärmt die 52-Jährige. Nachbarn seien vorbeigekommen, um sich zu unterhalten – natürlich mit Abstand. Sie stellte sogar zeitweise einen zweiten Stuhl auf.
Am nächsten Tag das gleiche Spiel: Die Sonne schien in eine Parklücke, Larissa Weigel baute sich ihr Idyll auf. Dann kam die Polizei. Ein Nachbar hatte die Beamten informiert. Denn natürlich war das, was sie da machte, nicht rechtens. Denn um einen Parkplatz umzunutzen, braucht man eine Sondernutzungsgenehmigung. Die hatte Weigel nicht. Doch sie sagt: "Wäre ein Auto gekommen und hätte den Parkplatz benötigt, wäre ich natürlich gegangen." Das sei aber nicht der Fall gewesen – weder am ersten noch am zweiten Tag.
Welcher Nachbar sich an die Polizei wandte, weiß Weigel bis heute nicht. Dabei hätte sie sich gewünscht, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Denn seit dem Vorfall beschäftigt Weigel die drängende Frage: "Wem gehört eigentlich die Straße?" Offensichtlich habe sich der Nachbar durch ihr Idyll angegriffen gefühlt, "als wäre ihm etwas weggenommen worden, auf das er einen Anspruch hat", sagt Weigel. "Wenn man Parkflächen für irgendetwas anderes nutzt als zum Parken, macht sich scheinbar Wut breit. Das nehmen die Menschen einem übel."
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Dabei sei es ihr nie um Konfrontation oder um eine Art von Protest gegangen. Dennoch möchte sie nun auf die Thematik der Nutzung des öffentlichen Raums aufmerksam machen. Immerhin subventioniere sie selbst die Autoinfrastruktur mit – ohne sie zu nutzen. Seit gut einem halben Jahr hat Larissa Weigel kein Auto mehr. Sie hat es im Zuge der Corona-Krise abgeschafft – "weil ich beruflich viel weniger unterwegs bin". Weigel ist Dolmetscherin und Übersetzerin, und alles, was aktuell gedolmetscht oder übersetzt werden müsse, geschehe online. Wenn sie jetzt jobmäßig doch mal weiter fahren muss, nutzt sie die öffentlichen Verkehrsmittel – oder Carsharing.
Der Platz, den ihr Auto einnahm, wurde nun zwar nicht umgenutzt, doch geht es nach der Stadt, könnte Larissa Weigels Ansinnen durchaus Vorbildcharakter haben. Auf RNZ-Anfrage heißt es aus dem Rathaus: "In Kürze wird in den städtischen Gremien diskutiert, wie in Heidelberg künftig sogenannte Parklets ermöglicht werden könnten." Parklets: Das ist der Fachbegriff für kreativ gestaltete Aufenthaltsräume für die Allgemeinheit, die auf Parkplätzen oder anderen öffentlichen Flächen aufgestellt werden.
Grundsätzlich fände die Stadtverwaltung diesen Ansatz positiv, "wenn Menschen die Aufenthaltsqualität in ihrer näheren Umwelt mitgestalten und aufwerten möchten", so eine Stadtsprecherin. Deshalb wolle die Verwaltung dem Gemeinderat nun einen Vorschlag unterbreiten, unter welchen Rahmenbedingungen die Beantragung von Parklets möglich sein soll. Natürlich müssten dann bestimmte verkehrsrechtliche Vorschriften beachtet und insbesondere eine Sondernutzung beantragt werden.
Larissa Weigel wird eine solche zwar nicht beantragen, doch sie freut sich, dass der Diskurs in der Stadt über öffentlichen (Park-)Raum beginnt. Weigel: "Das ist ein Anfang."