Heidelberg

Die SPD lädt mit viel Prominenz zu einer ungewöhnlichen Kundgebung auf den Marktplatz

Das Konzept der Kundgebung: Die Spitzenkandidatin für die Europawahl, ganz nah.

19.05.2019 UPDATE: 20.05.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 20 Sekunden

Gefrotzel unter Genossinnen: Beate Weber-Schuerholz (l.) erinnerte sich an schöne Zeiten "auf dem Balkon da oben" - gemeint ist das Rathaus, ihr früherer Amtssitz als OB. SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley (r.): "Wieso, wart ihr mal deutscher Fußballmeister?" Foto: Rothe

Von Daniel Bräuer

Heidelberg. Man darf doch eine Justizministerin nicht so einfach duzen. Doch, muss man sogar, sagt Katarina Barley. "Die ist nämlich auch SPD-Mitglied." Und deshalb soll sich Martin Helm, Vorstandsmitglied der SPD Mosbach, bitte das Sie abgewöhnen, wenn er seine Frage an sie loswerden will.

Die lautet schließlich: Wie lassen sich die Menschen, parallel zum Kommunalwahlkampf, für europäische Themen begeistern, wenn das Schwimmbad und die Busfahrpläne vor Ort viel mehr interessieren? Vor allem, wenn die wirtschaftspolitische Musik in Zukunft ohnehin in Asien spielen wird?

In Barleys Antwort fällt, zum zweiten Mal an diesem Samstag auf dem Heidelberger Marktplatz, ein Zitat von Paul-Henri Spaak, früherer belgischer Ministerpräsident: "Es gibt in Europa zwei Arten von Ländern: Kleine Länder, und Länder, die noch nicht wissen, dass sie klein sind." Schon Landeschef Andreas Stoch hat es zuvor angebracht. Die Folgerung daraus ist gleich das Motto der ganzen Veranstaltung: "Europa ist die Antwort", steht auf den beiden Wagen, die unablässig belgische (!) Waffeln und Kaffee ausschenken. "Schaut auf den Brexit", warnt Barley. "Wenn uns Europa egal ist, kann es auch hier passieren, dass Rechtspopulisten alles kurz und klein schlagen", sagt sie, und an Martin Helm gerichtet: "Du hast völlig recht, wir haben nur zusammen überhaupt eine Chance." Freundschaftlicher Klapps auf den Rücken.

Die Spitzenkandidatin für die Europawahl, ganz nah. So ist das Konzept für die Kundgebung, bei der sich in einem Rondell, um das sternförmig Bierbänke stehen, viel Parteiprominenz das Mikro in die Hand: Die Bundesvorsitzende Andrea Nahles, ruft zur Richtungsentscheidung für Europa auf, fordert eine stärkere Besteuerung von Internetkonzernen und stichelt wegen der österreichischen FPÖ-Affäre gegen die CDU. Auch Landeschef Stoch ätzt: "Da sieht man, wie die Rechten ticken." Evelyne Gebhardt, langjährige Abgeordnete und derzeit Vizepräsidentin des EU-Parlaments, betont: "Dafür müssen wir kämpfen, dass die keine Chance kriegen." Dominique Odar als regionale Kandidatin beschreibt ihre Vorstellung von einem jungen Europa mit mehr Frauen im Parlament und Erasmus für alle.

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Und eben Barley, "Europa auf zwei Beinen", wie sie sich selbst beschreibt: Deutsch-Britin, zu Hause in Trier, wo vier Staaten in Fahrraddistanz liegen. Ihre Söhne haben Großeltern aus Spanien und den Niederlanden. Man hat ihr unterstellt, sie betreibe einen entpolitisierten, gefühligen Wahlkampf. Natürlich erzählt sie auch in Heidelberg von ihren "Erasmus-Babys", lobt den "wundervollen Spitzenkandidaten" Frans Timmermans, ihre "wunderbare Partei", die sie nach 25 Jahren immer noch liebe, wenn auch "nicht jeden Tag gleich dolle".

Doch skizziert die amtierende Justizministerin auch ein Programm. Auf Frage von Alt-OB Beate Weber-Schuerholz etwa die Vision einer kernkraft-freien EU. Auf Frage der Juso-Hochschulgruppen, die zeitgleich in Heidelberg ihr Bundestreffen haben, ein auch auf Azubis ausgeweitetes Erasmus-Programm ("Jeder junge Mensch soll in Europa einen Teil seiner Ausbildung im Ausland verbringen können") und europäische Hochschulen, die vollständig international besetzt Zukunftsthemen erforschen. Oder auf Frage einer Gruppe von Geographie-Studenten das Bild vom kostenlosen ÖPNV. "Das darf Olaf jetzt nicht hören", scherzt sie im Gedanken an Finanzminister Scholz, der in der Koalition über die Schwarze Null wacht.

Der Spagat zwischen Regierungspraxis und Maximalforderung bestimmt auch Barleys ausführlichste Antwort auf die Frage nach "Artikel 13". Barley hat für die umstrittene Urheberrechtsreform gestimmt und diese zugleich öffentlich kritisiert. Den Widerspruch erklärt sie so: Vieles habe die SPD verbessern können, nur Artikel 13 eben nicht ganz streichen. Um die Stärkung von Autoren oder Musikern aber dennoch zu ermöglichen, habe sie im Rat, wo es nur Ja oder Nein gibt, zugestimmt und auf eine Änderung im EU-Parlament gehofft. "Aber da haben wir verloren, weil es in anderen Ländern viele anders sehen. Das gehört auch zu Europa", so Barley. "Wenn man es ernst meint mit dem Europäischen Parlament, dann muss man das auch akzeptieren."