Deshalb demonstrierten Hunderte für mehr Inklusion
Jede Barriere ist eine zu viel - "Es sind oft kleine Dinge des Alltags, aber sie kosten unendlich viel Kraft"

Menschen mit und ohne Behinderung demonstrierten am Sonntag in der Hauptstraße für Barrierefreiheit und Inklusion. Foto: Philipp Rothe
Von Maria Stumpf
Heidelberg. Die Gesellschaft lässt sie nicht gerecht teilhaben. Denn Menschen mit Behinderungen stoßen nicht nur auf bauliche Barrieren in Schulen, Universitäten oder in Restaurants, sie stoßen auch auf Barrieren im Kopf ihrer Mitmenschen. Häufig stellen Unverständnis und Vorurteile auch bei Arbeitgebern ein großes Hindernis dar. Rund hundert Menschen mit und ohne Behinderung demonstrierten deshalb am Sonntag in Heidelberg für mehr Inklusion im Alltag.
"Wir werden doch meist auf unsere Defizite reduziert", sagte ein Demonstrationsteilnehmer, der im Rollstuhl sitzt. Manchmal seien das ganz triviale Situationen: "Einem Rollstuhlfahrer begegnet man nicht auf Augenhöhe."
Der Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen entstand 1992. Seitdem finden zu diesem Anlass jährlich Aktionen zu den diversen Themen der Inklusion statt. Heidelberg trägt mit über 20.000 Bürgern mit Behinderung Verantwortung auch für diese Themen. Der Heidelberger Jochen Wier, der bei einem Unfall beide Beine und einen Arm verloren hat, organisierte den Protestzug vom Bismarckplatz über die Hauptstraße zum Universitätsplatz. "Es wird Zeit für Barrierefreiheit. Überall. Man muss etwas dafür tun", ist seine Motivation.
Mit Transparenten, Info-Flyern und viel Radau sorgte der Demonstrationszug für Aufmerksamkeit bei den Passanten. Stefanie Aeffner, Landes-Behindertenbeauftragte in Baden-Württemberg, hatte ein Grußwort geschickt. Der Tenor war eindeutig: "Jede Barriere ist eine zu viel", las Wier vor.
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Obwohl sich die Bundesrepublik bereits im Jahre 2009 verpflichtete, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen und in allen Bereichen der Gesellschaft behinderten Menschen eine Teilhabe zugesichert hat, ist die Realität eine andere. Darauf machten zahlreiche Redner am Bismarckplatz, am Anatomiegarten und auf dem Universitätsplatz aufmerksam. Ihr Motto: "Dinge zur Sprache bringen", wie es Henri Rippel als Koordinator des Arbeitskreises Barrierefreiheit in Heidelberg zu Beginn schon ankündigte.
Den Referenten ging es bei ihren Beispielen aus dem Heidelberger Alltag um die Themenfelder Gerechtigkeit und Arbeit, Öffentlicher Nahverkehr, Wohnen, Bildung, Feminismus, Pflege und allgemeine Barrierefreiheit. Es sprachen Vertreter politischer Parteien und Initiativen wie Johannah Illgner (SPD), Sahra Mirow (Linke), Gerd Guntermann (GAL), Elisa Hippert ("Heidelberg in Bewegung"), Julian Sanwald (B90/die Grünen), Werner Zieger (Linke), Maria Boerner (SPD) und Patrick Alberti, Kommunaler Behindertenbeauftragter des Rhein-Neckar-Kreises.
Zum Beispiel "Arbeit": Die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland zieht es vor, statt Behinderte zu beschäftigen, eine Ausgleichsabgabe zu zahlen. Das ist legal. Arbeitgeber mit mindestens 20 Beschäftigten müssen mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze mit Behinderten besetzen. Oder sie zahlen zwischen 125 und 320 Euro monatlich. Schon seit vielen Jahren wird die gesetzliche Beschäftigungspflichtquote von fünf Prozent nicht erfüllt. "Ist das etwa gerecht?!", rief Redner Justin Drescher als "Aktivist für die Rechte von Behinderten" den Demonstranten zu.
Es folgten Heidelberger Beispiele: Hier ist die Bushaltestelle nicht erreichbar, dort der Behindertenparkplatz zugeparkt, um die Ecke lauern Schlaglöcher. "Es sind oft kleine Dinge des Alltags, aber sie kosten unendlich viel Kraft", so Drescher. Wie auch die anderen Redner forderte er laut und deutlich: "Die Barriere in unseren Köpfen muss weg!"
Info: Im September wird der Beirat für Menschen mit Behinderungen neu gewählt. Wer sich dafür interessiert, kann sich noch bis Freitag, 10. Mai, bewerben. Mehr Infos: www.bmb.heidelberg.de