Heidelberg

Clarisse und Shelly programmierten Software zur Schrifterkennung

Die Schülerinnen Clarisse aus Montpellier und Shelly aus Rehovot waren in diesem Sommer zu Gast in Heidelberg.

28.08.2023 UPDATE: 28.08.2023 06:00 Uhr 3 Minuten, 33 Sekunden
Shelly Haya Shomron (l.) und Clarisse Huchet-Marliacy waren vier Wochen lang im Rahmen der „International Summer Science School Heidelberg“ in der Stadt. Foto: mio

Von Marion Gottlob

Heidelberg. Clarisse mag die Sängerin Adele, und Shelly Haya verfolgt die Karriere von Taylor Swift. Die 17 Jahre alten Schülerinnen Clarisse Huchet-Marliacy aus Montpellier und Shelly Haya Shomron aus Rehovot sind Teenager wie andere auch. Aber sie gehörten zu dem Team naturwissenschaftlich besonders begabter Schüler aus Heidelbergs Partnerstädten, die in diesem Sommer die "International Summer Science School Heidelberg" besuchten. Die Gruppenmitglieder forschten vier Wochen lang an einer der wissenschaftlichen Einrichtungen der Stadt. So experimentierten Clarisse und Shelly am Heidelberger Institut für Theoretische Studien (Hits) mit Ideen zur Künstlichen Intelligenz. Sie waren sich einig: "Uns fasziniert Mathematik."

Die Schülerinnen sind mit ihrer Gruppe auf dem Boxberg untergebracht. Regelmäßig pendeln sie mit dem Bus in die Stadt und zum Hits. Das Hits, 2010 von dem Physiker und SAP-Mitbegründer Klaus Tschira als privates, gemeinnütziges Forschungsinstitut ins Leben gerufen, betreibt Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik. Zu den wichtigsten Themen gehören unter anderem die sinnvolle Nutzung von Daten und die Ermöglichung von Wissenschaft durch computergestützte Forschung. Die Anwendung reicht von der Molekularbiologie bis zur Astrophysik.

Während ihres Heidelbergaufenthalts waren die Jugendlichen Teil der Forschungsgruppe zur Astroinformatik von Dr. Kai Polsterer. Sie arbeitet an der Entwicklung von Methoden und Werkzeugen zur Analyse einer exponentiell wachsenden Datenmenge im Bereich der Astronomie – und Clarisse und Shelly machten mit.

Sie verwendeten Daten aus der Modified National Institute of Standards and Technology Database, einer im Internet öffentlich zugänglichen Datenbank mit handgeschriebenen Ziffern. Jede per Hand geschriebene Zahl weist individuelle Unregelmäßigkeiten auf. So gleicht etwa keine Eins der anderen. Für den Menschen ist es das Leichteste auf der Welt, jeweils die richtige Zahl zu erkennen. Für den Computer jedoch stellt diese Aufgabe ein riesiges Problem dar – denn aufgrund der individuellen Abweichung erkennt er die Zahl zunächst nicht. Die Teenager schrieben nach einem Vorbild ein eigenes Programm, mit dessen Hilfe die Künstliche Intelligenz lernt, die Zahlen korrekt zu lesen. "Die KI braucht für diese Leistung große Mengen an Daten", erklärt Shelly.

Mit Hilfe des Programms der Mädchen kann die KI nun die Daten auf einen kleinen Speicherplatz komprimieren, ohne dass Informationen verloren gehen. Das bedeutet, dass jederzeit jedes Bild mit seiner ursprünglichen Datenmenge abrufbar ist. Und das Programm kann noch mehr: Es kann in Rekordgeschwindigkeit Zehntausende von Zahlen-Bildern miteinander vergleichen und Muster und gemeinsame Strukturen erkennen. "Das kann kein Mensch leisten. Es ist eine Möglichkeit für vollkommen neue Erkenntnisse", sagt Clarisse. Über ihr Projekt lernten sie die Konzepte kennen, die die Forschungsgruppe verwendet, um große Datenmengen aus der Astronomie Forschern aus der ganzen Welt intuitiv zugänglich zu machen.

Ihren Aufenthalt in Heidelberg nutzten die beiden Mädchen, um ein eigenes Programm zu schreiben. Es zielt darauf ab, dass Künstliche Intelligenz menschliche Handschrift korrekt liest. Symbolfoto: dpa

Die Jugendlichen sind vom Hits begeistert. "Wir konnten Fehler machen und daraus lernen", sagt Shelly. Die wichtigste Erfahrung für die jungen Frauen war jedoch der Teamgeist in ihrer Forschungsgruppe. Die Wissenschaftler nahmen sich Zeit für ihre Gäste, um ihnen das Grundlagenwissen zur KI ausführlich zu erklären. "Wir durften hinter die Kulissen der KI schauen", sagt Shelly aus Rehovot, die sich schon als kleines Kind für Mathematik interessierte. "Für mich ist Mathematik eine Sprache, mit der man die Welt präzise beschreiben kann – sie spiegelt für mich die Logik des Universums."

Noch ist Shelly Schülerin am Gymnasium mit dem Schwerpunkt Physik. Doch sie besucht auch Kurse für Informatik und Cybernetic am Weizmann-Institut, einer der berühmtesten Forschungseinrichtungen für Naturwissenschaften der Welt. So beschäftigt sie sich mit dem Phänomen von Lichtwellen. Am Spatial Light Modulator (Modulator für Licht) erprobt ihr Team Ideen, die vielleicht in Zukunft die Technologie von Satelliten und Fernsehgeräten verbessernwerden. Sie nimmt gleichzeitig an weiteren Programmen teil und sammelt schon jetzt Punkte für ihr künftiges Studium.

Clarisse stammt ursprünglich aus Moussan, einem winzigen Dorf bei Montpellier. "Ich habe zwei große Leidenschaften: Wissenschaft und Sport", erzählt sie. Auch ihr mathematisch-naturwissenschaftliches Talent wurde früh entdeckt und gefördert. So nahm sie an der französischen Mathematik-Olympiade teil. An ihrem Gymnasium in Montpellier beschäftigte sie sich intensiv mit "Blob" – das ist ein Schleimpilz, der in Nadel-, Misch- und Laubwäldern lebt. Mit ihrer Gruppe entwarf sie eine Box, in der die Mischform aus Pilz und Tier im Weltall überleben kann. Im Zuge des Projekts kam sie das erste Mal mit Computertechnologie in Kontakt.

Inzwischen hat sie neben der normalen Schule zahlreiche Kurse in den Bereichen Computerwissenschaften, Mathematik und Physik besucht. Mit einer Gruppe hat sie eine etwa zwei Meter große Klein’sche Flasche entworfen. Das ist ein Objekt, das erstmals 1881 von dem Mathematiker Felix Klein beschrieben wurde. Bei dieser Flasche kann man das "Innen" und "Außen" nicht unterscheiden.

Daneben ist Clarisse ihrer Liebe zum Sport treu geblieben, und auch Shelly hat sich ein Leben neben dem intensiven Interesse an Naturwissenschaften bewahrt. Sie malt gerne mit Acryl oder gestaltet aus Holz Skulpturen. In Heidelberg haben die Mächen auch schon manches erlebt. Sie ließen sich etwa durch die Hauptstraße treiben, entdeckten auf eigene Faust Lieblingsplätze für Fotos und die Alte Brücke. Neu war für sie der Wurstsalat auf der Speisekarte der Restaurants, was in ihren Heimatländern nicht üblich ist, und auch, dass es fast überall Wasser mit Kohlensäure gibt.

Clarisse möchte nach der Schule eine zweijährige "Classe préparatoire" besuchen und anschließend Mathematik oder Physik studieren. "Ich möchte Wissenschaftlerin und Forscherin werden." Für Shelly gilt in Israel nach dem Abschluss der Schule die Pflicht zum zweijährigen Militärdienst. Sie möchte Ingenieurwissenschaften oder Physik studieren und dann ihr Studium mit dem Fokus auf die Nukleartechnologie fortsetzen. "Ich beschäftige mich dann mit Quantenphysik, mit dem Einsatz der Kernenergie in der Medizin oder mit der Gewinnung von sauberer Energie", erklärt sie. "Diese Vielfalt mag ich."