Bis zuletzt in Würde leben - und sterben
Das Hospiz Louise in der Weststadt wurde vor genau 30 Jahren gegründet - "Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt"

Von Marion Gottlob
Heidelberg. Der Begriff "Hospitium" war schon im Mittelalter bekannt. Hospize waren damals Herbergen für Reisende und Pilger, sie waren Stätten der Gastfreundschaft. Heute versteht man unter "Hospiz" ein "Haus des Lebens" für Menschen, die nicht mehr zu Hause oder im Krankenhaus gepflegt werden können oder wollen. In einem modernen Hospiz finden Sterbende ein "Zuhause". Was heute selbstverständlich ist, war vor 30 Jahren revolutionär. Damals gründete Schwester Anna Lioba vom Orden der Barmherzigen Schwestern vom heiligen St. Vinzenz von Paul (siehe Hintergrund) in der Weststadt das erste allgemeine Hospiz in Baden-Württemberg. Schwester Birgitta, Generaloberin des Ordens, sagt: "Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt, damit er bis zuletzt in Würde leben und dann sterben darf."
Seit seiner Gründung wurden im Hospiz Louise mehr als 2000 Menschen begleitet – von 25- bis zu über 100-Jährigen. Häufig leiden sie unter einer Krebs-Erkrankung. Hospizleiter Frank Schöberl betont allerdings, "dass das Hospiz für alle erwachsenen Menschen am Lebensende zu Verfügung steht, die unsere Form der Hilfe benötigen, unabhängig von ihrer Erkrankung." Manche Gäste bleiben einige Monate im Hospiz, andere nur wenige Wochen oder Tage.
Die 71 Jahre alte Anna (Name geändert) etwa lebte fünf Monate dort. Die gelernte Physiotherapeutin litt unter einer unheilbaren Lungenerkrankung. Als Hobby-Pilotin schwärmte sie von dem Blick aus dem Flugzeug auf unsere Region. So wandte sich das Hospiz an den Malteser Hilfsdienst mit seinem Projekt "Herzenswünsche". Und so konnte Anna noch einmal im Flugzeug über ihre Heimat fliegen. An dem Tag war es bewölkt, und Anna überrascht: "Sogar bei diesem Wetter ist der Blick wunderbar", berichtete sie dem Pflegedienstleiter Manuel Kahl. Sie wirkte zufrieden mit sich und ihrer Situation – bis zu ihrem Tod ein paar Wochen später.
Hintergrund
> Der Orden der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul ist Träger des Hospiz Louise. Vinzenz von Paul (1581 bis 1660) wirkte in Paris und teilte sein Leben mit den Armen. Die vinzentinische Spiritualität gilt als eine der Tat: Liebe handelt! Louise de
> Der Orden der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul ist Träger des Hospiz Louise. Vinzenz von Paul (1581 bis 1660) wirkte in Paris und teilte sein Leben mit den Armen. Die vinzentinische Spiritualität gilt als eine der Tat: Liebe handelt! Louise de Marillac gründete mit ihm die Gemeinschaft der "Töchter der christlichen Liebe". 1846 kamen die ersten sechs Schwestern von Straßburg nach Freiburg und begannen ihren Dienst für die Kranken und Armen. Der Orden breitete sich in der Erzdiözese Freiburg aus. Auf Initiative von Schwester Anna Lioba wurde 1992 das Hospiz Louise in Heidelberg gegründet. Der Name bezieht sich auf Louise de Marillac. mio
Auch Markus (Name geändert) litt an einer Lungenerkrankung. Der Fan des FC Bayern wünschte sich, noch einmal ein Spiel seiner Bayern "in echt" zu sehen. Wegen Corona war das nicht möglich. Doch er durfte bei einem Spiel der Hoffenheimer dabei sein. Pflegedienstleiter Kahl sagt: "Markus sprach zwei Wochen lang von diesem Ereignis." Letzten Heiligabend ist Markus friedlich gestorben.
Manfred Albrecht vom Orden erklärt: "Natürlich sind wir nicht nur dafür da, letzte Wünsche zu erfüllen." Aber genau das passiert häufig: Ein Musiker durfte noch eine letzte CD einspielen, eine Mundart-Dichterin eine CD besprechen. Ein Gast hat sich eine Cabrio-Fahrt durch seinen geliebten Odenwald gewünscht. Andere genießen noch einmal den Duft von frisch gebackenen Plätzchen in der Weihnachtszeit. Manche wünschen sich einfach jemanden, der bei ihnen sitzt und das Schweigen teilt. Für solche Aufgaben sind unter anderem ehrenamtliche Mitarbeiter dabei. "Haupt- wie ehrenamtliche Mitarbeiter werden durch Supervision begleitet", erklärt Leiter Schöberl. "Wir haben auch Rituale des Abschieds. Wenn Begleiter den Raum bekommen, sich von einem Verstorbenen zu verabschieden, können sie sich auch wieder gut neuen Gästen zuwenden."
Als das Heidelberger Hospiz gegründet wurde, war die Finanzierung ungewiss. So investierte der Orden in den ersten drei Jahren rund 1,5 Millionen Euro in das Projekt. Inzwischen müssen die Hospize nur noch fünf Prozent ihrer Ausgaben über Spenden aufbringen. Wichtig ist der Förderverein, der ebenfalls 30 Jahre alt wird und das Hospiz mit mehreren Millionen Euro unterstützt hat. Erster Vorsitzender und Gründungsmitglied Roland Blatz sagt: "Mir war die Hospizarbeit von Anfang an wichtig, damit Menschen nicht einsam und vergessen sterben, sondern in der letzten Phase ihres Lebens medizinisch und seelisch begleitet werden."
Zunächst war das Hospiz mit fünf Plätzen in der Kaiserstraße. Das Haus war jedoch zu klein. So entstand 2011 die Idee, das ordenseigene, mehr als 100 Jahre alte Haus in der Wilhelmstraße 3 in ein Hospiz zu verwandeln. Drei Jahre später begann der denkmalgerechte Umbau. Es entstanden acht Einzelzimmer, jeweils mit Bad. Auch ein Aufzug wurde in den Altbau integriert. Die Kosten von 3,2 Millionen Euro wurden durch Orden, Förderverein, Stiftungen und Einzel-Spenden finanziert. Baudirektor Heinzpeter Schmieg: "Ziel war eine Atmosphäre, in der sich Menschen wohlfühlen. Das Hospiz soll für die Gäste ein Zuhause sein."
Das Hospiz hat heute 25 Mitarbeiter. "Die Pflegekräfte gehen auf körperliche, seelische und lebenspraktische Bedürfnisse der Sterbenden ein", erklärt Pflegedienstleiter Kahl. Seelsorge, Musik- und Physiotherapie sind ebenso Teil des Angebots. "Unsere Mitarbeiter haben viel Erfahrung bei der Linderung von Beschwerden am Lebensende." Schwester Birgitta betont: "Die Arbeit im Hospiz ist nicht einfach ein Job. Es ist ein Dienst, getragen vom christlichen Geist, für Menschen aller Nationen und aller religiösen Richtungen. In einem Hospiz sind wir mitten im Sterben vom Leben umfangen."